Immer noch mit melancholischer Grummelstimme: Leonard Cohen Foto: AFP

Ihn gibt es auch noch: Eine Woche nachdem Bob Dylan den Literatur-Nobelpreis gewonnen hat, legt Leonard Cohen ein neues Album vor. Der kanadische Singer-Songwriter blickt in „You want it darker“ auf ein langes Leben zurück.

Stuttgart - Eigentlich sollte es, eine Woche nach der Bekanntgabe, jetzt gut sein mit den Debatten über das Für und Wider der Verleihung des Literaturnobelpreises an Bob Dylan. Doch wie es der Zufall will, hat in diesen Tagen Leonard Coheneine kleine Audienz in Los Angeles gegeben, um sein neues Album vorzustellen. Bei dieser Gelegenheit wurde er auch nach der Nobel-Entscheidung befragt, woraufhin er einen interessanten Satz sprach: „Für mich ist das in etwa so, als würde man ein Schild vor dem Mount Everest errichten, auf dem ,höchster Berg der Welt‘ steht.“

Der war gut, in zweierlei Hinsicht. Erstens in der Eindeutigkeit der Cohen‘schen Aussage, dass man dem monolithischen Dylan sein Können nicht noch eigens beglaubigen müsse. Und zweitens in der zurückgelehnten Zweideutigkeit, dass die Herren Juroren sich womöglich des Irrwitzes ihres Tuns und der vergebenen Liebesmüh‘ gar nicht bewusst waren, als sie einen Künstler ehrten, der seine Poesie in ein Schallplattencover gesteckt statt zwischen zwei Buchdeckel gepresst hat und sie obendrein eher als Akt der Rebellion denn als frackbewehrte Königshuld sehen will.

Herr, es ist Zeit zu gehen!

Vielleicht hat sich Leonard Cohen, der vor fünf Jahren mit dem Prinz-von-Asturien-Preis in der Kategorie Geisteswissenschaften und Literatur ausgezeichnet wurde, ähnlich Keckes gedacht, als er sein an diesem Freitag erscheinendes Werk mit dem Titel „You want it darker“ versehen hat. Denn wer will’s denn noch dunkler als zuvor, noch düsterer, noch verhangener, noch sinistrer und noch kabbalistischer? Der Künstler oder sein Publikum? Der Künstler natürlich. Und so singt er im gleichnamigen Titelsong den Lord an, dass er nun bereit sei zu kommen respektive zu gehen. So raunt er in „Leaving the Table“, dass er „Out of the Game“ sei; da barmt er in „Treaty“ dass er wütend und müde und enttäuscht sei. Tja, und dann fragt man sich natürlich, ob es sich hier um das selbst verfertigte Requiem, den letzten Abgesang des 82-jährigen Kanadiers handelt.

I wo! Der Schalk im Nacken hat auch schon bei seinen letzten beiden Albumtiteln „Old Ideas“ und „Popular Problems“ zweideutig gefeixt – und der quicklebendige Cohen selbst verkündete bei der Audienz in L. A. im Brustton der Überzeugung, 120 Jahre alt werden zu wollen. Bei aller Melancholie durchweht das nunmehr dritte Cohen-Album binnen sechs Jahre trotz der würzigen Kürze von nicht einmal vierzig Minuten in allen neun Stücken eine durch und durch lebensbejahende Haltung. Herrlich geruhsam ist das Album „You want it darker“ instrumentiert, ein zartes Schlagzeug und ein sanfter, fast schon melodieführender Bass grundieren die Nummern, darüber sprenkeln ein Piano und eine elegische Gitarre ein paar Töne, dazu kammerreduzierte Streichersätze, hier und dort ein paar Gospelgesangseinlagen, alles in extrem gemessenem Tempo, das allerdings mitnichten sediert. Schön gelungen ist dem ihm seit langem verbundenen Komponisten Pat Leonhard die musikalische Ausgestaltung des gesamten Albums, geschmeidig statt kantig, spartanisch, aber nicht karg und in jedem Fall weit entfernt von gestanzter Gesichtslosigkeit. Und akkurat in Szene gesetzt ist „You want it darker“ von Cohens Sohn Adam, der als Produzent fungiert.

Mit buddhistischer Ruhe

Über allem thront Leonard Cohens tiefer und staubtrockener Grummelbass, mal im Sprechgesang die Verse deklamierend, mal über die Musik schmirgelnd, mal in Watte packend. Eine Stimme der Sonderklasse, die dieses Album – wie schon einige seiner dreizehn Studio-Vorgänger – prägt und veredelt. Und wieder einmal strahlt Cohen jene buddhistische Kontemplation aus, die er sich spätestens in seinen Klosterjahren angeeignet hat. Verhandelt wird, siehe oben, seeelenschwarze Lyrik, mal sepulkral gefärbt, mal von Verlustängsten kündend wie in dem wunderbaren Stück „Treaty“, in dem er einer Verflossenen hinterher weint. Alles ganz schön traurig, aber segensreicherweise alles ohne Larmoyanz vorgetragen.

Schon klar und andernorts bereits bemerkt: Wer 82 Jahre alt ist, schaut eher auf einen langen Weg zurück als auf das voraus, was noch vor ihm liegt. Retrospektiv scheint der große Dichter Cohen, der erst Mitte dreißig als auch kommerziell längst erfolgreicher Lyriker zur Musik fand, noch viel zu erzählen haben. Die nach langer Durststrecke in rascher Folge erschienenen letzten drei Alben legen buchstäblich Zeugnis davon ab. Und in der Vorausschau? Nun, sechs Live-Alben hat Leonard Cohen bereits veröffentlicht, die letzten beiden in ungewöhnlich zügiger Abfolge 2014 und 2015. Dokumentiert dieser Doppelschlag nun das Ende seiner Bühnenkarriere? Oder ist es der lockende Herold für weitere Konzerte? Dazu hat sich große Versschmied Leonard Cohen bislang noch nicht äußert.