Winfried Kretschmann Foto: dpa

Der Ministerpräsident über sein Bild von Baden-Württemberg und sein Verständnis von Heimat.

Stuttgart - Von den 60 Jahren Landesgeschichte wurden fast 58 maßgeblich von den Christdemokraten bestimmt. Seit Mai 2011 bestimmt eine grün-rote Koalition die Geschicke des Landes. Fragen an den ersten Grünen-Regierungschef.


Herr Ministerpräsident, eine Frage, die wir auch Ihren vier Amtsvorgängern gestellt haben: Fühlen Sie sich als Baden-Württemberger?
Ja, ich fühle mich als Baden-Württemberger, wenn auch zuvörderst als Schwabe.

Empfanden Sie das schon immer so?
Ja, und ich denke, das Land ist heute wirklich zu einer Einheit zusammengewachsen, ohne dass die Regionen ihre Identitäten verloren haben. Sie stehen jetzt nicht mehr nebeneinander, sondern unter dem Dach Baden-Württemberg.

Was verbindet die Landesteile?
Das starke Engagement der Bürgerschaft! Wir sind das Land mit den meisten ehrenamtlich tätigen Menschen. Verbindend wirkt auch die starke mittelständische Wirtschaft in allen Regionen des Landes. Sie ist die Grundlage unserer Prosperität.

Was bedeutet Heimat für Sie?
So schön Baden ist, beheimatet fühle ich mich erst mal da, wo Schwäbisch gschwätzt wird. In einem traditionellen Sinn ist Heimat für mich auch, wenn ich auf der Schwäbischen Alb mit ihrem freundlichen hellen Jura wandere. Aber wir haben ja immer mehrere Heimaten. Ich fühle mich beispielsweise auch beheimatet, wenn ich Hannah Arendt lese. Heimat ist dort, wo der Mensch sich selbst wiederfindet und sich wohlfühlt.

Lokale Verankerung und globales Denken, wie geht das zusammen?
Das eine bedingt das andere. Unser Wohlstand in Baden-Württemberg beruht darauf, dass wir unsere Premiumprodukte in alle Welt exportieren. Dazu muss man weltoffen sein. Insofern muss man immer auch ein Stück Kant’scher Weltbürger sein. Gleichzeitig gilt: Wenn ich mich nirgendwo sicher und behaust fühle, kann ich auch den Schritt in die weite Welt praktisch und geistig nicht wagen.

Ist Baden-Württemberg ein weltoffenes Land?
Auf jeden Fall haben wir da noch Nachholbedarf. Sicher sind bei uns die Einwanderer erst mal gut integriert, sobald es aber in höhere Führungsetagen geht oder in den öffentlichen Dienst, gibt es eine unsichtbare Schwelle. Dort trifft man kaum Einwanderer an. Da müssen wir uns schon noch nach der Decke strecken und weltoffener werden.

Warum ist das so?
Es ist viel zu lange ignoriert worden, dass wir ein Einwanderungsland sind. Heute redet jeder selbstverständlich von „Migranten“. Noch vor wenigen Jahren erkannte man einen Grünen und einen CDUler daran, dass der eine „Migrant“ und der andere „Ausländer“ sagte. Jetzt endlich sieht man Zuwanderung auch als Chance. Schließlich kämpfen alle Industrienationen um die besten Köpfe.