Erich Hauser: „Stahl 7/64“ (1964) Foto: Galerie

Völlig überraschend ist Mitte Dezember der Galerist Harry Schlichtenmaier im Alter von 69 Jahren gestorben. Eine von ihm initiierte Schau zum Schaffen des Bildhauers Erich Hauser wird nun zum Vermächtnis – und signalisiert zugleich unmissverständlich: Der Weg der Galerie Schlichtenmaier geht weiter.

Stuttgart - Da legt sich etwas quer, wölbt sich, wirkt zugleich gedehnt und gequetscht, ist voller Energie – zum Bersten bereit. Auf kleinstem Format bricht Erich Hauser 1962 seine plastischen Formungen auf: Wie bei vielen Künstlern seiner Generation nutzt Hauser die Radierung, um die im ewigen Widerstreit so rüde wie zärtlich vorangetriebene, aber doch gefasste Form freizugeben.

Von diesen Radierungen aus erschließt sich alles, was kommt im Schaffen des 2004 gestorbenen Bildhauers, und von diesen Radierungen aus erschließt sich auch die Hauser-Hommage der Galerie Schlichtenmaier in ihren Stuttgarter Räumen. „Erich Hauser – Dialoge in Stahl“ ist die Ausstellung betitelt, die an diesem Donnerstag um 19.30 Uhr eröffnet wird.

Harry Schlichtenmaier, ältester der drei Kunsthistoriker- und Galeristenbrüder Schlichtenmaier, stößt das Projekt des Hauser-Konzentrats in der Ladengalerie am Kleinen Schlossplatz an. Doch der Vordenker des Trios stirbt Mitte Dezember 2016 völlig überraschend. So ist die Schau nun zugleich eine Hommage an Harry Schlichtenmaier – und dies gerade dadurch, dass sie weitaus konsequenter den inneren Gesetzen des Schaffens des Künstlers folgt als den Erwartungen des Publikums.

Erich Hauser ist der bekannteste Künstler der „Müller-Mannschaft“

Kein Ruhepunkt, nirgends. Stattdessen eine monumentale Sperre. Da stellt sich etwas auf, wirkt zugleich – ja, richtig – gedehnt und gequetscht, ist voller Energie, zum Bersten bereit. Hausers „Stahl 9/65“ macht sich im besten Sinne breit, geht zugleich aus dem Weg, biegt sich weg und fährt doch trotzig die stählernen Ellbogen aus. Ein Museumsstück aus Privatbesitz. Ein Kraftzentrum, eine Kraft im Zentrum eines auf ständige Perspektivwechsel zielenden Hauser-Konzentrats.

Erich Hauser? Neben dem Farbfeldmaler Georg Karl Pfahler und dem Objektkünstler Thomas Lenk ist er der bekannteste der in den 1960er Jahren berühmten „Müller-Mannschaft“. Der Stuttgarter Galerist Hans Jürgen Müller und der in Rietheim geborene Erich Hauser: Jahrzehnte bleibt dies eine spannungsvolle Konstellation. Mit eigenem Kopf beide, verbunden durch den Willen, eine (Form-)Idee durchsetzen zu wollen.

Die Fähigkeit, Stahl tanzen zu lassen, macht der gelernte Stahlgraveur Hauser zu einem künstlerischen Gewicht, und im Umkehrschluss machen die sich drehenden, knickenden, umschlingenden Röhrengeflechte Hauser zu einer internationalen Größe. Spätestens mit dem Großen Preis der X. Biennale in São Paulo 1969 sind Künstler und Galerist am Ziel; von hier aus gewinnt ihre Arbeit weithin beachtetes Gewicht.

Hauser sprengt leidenschaftlich die Kunstfesseln

Immer schärfer zieht Pfahler bald schon auf Papier seine Linien – der Wandel hin zu jenen kühnen, spitzwinkligen Figurationen, die ihm bald zum Markenzeichen zu geraten drohen, kündigt sich an. Schier unübersehbar ist die Menge an Zeichnungen, in denen Hauser sich den Spaltungen, Schnitten, aber eben auch einem lachenden Tanz nähert.

In nahezu jeder Größe sind die Werke bald zu haben – und doch verfängt sich Hauser nicht in der Vervielfachung einer Grundidee. Klein beigeben ist seine Sache nicht, und so sprengt er leidenschaftlich die Formatfesseln, wagt er die ganz große Umarmung der Einzelformen. Die singuläre Plastik, von der Kunstszene gern als überkommen gescholten, erlebt in Hausers teilweise spät realisierten Konzeptionen einen Gegenentwurf, der mit der Zeit zunehmend eine starke Kraft entwickelt.

Der späte Stelen-Widerhall auf dem Kernerplatz in Stuttgart und die aus Bonn nach Stuttgart (vor das Finanzamt) geholte wunderbare Röhrenplastik stecken als Antipoden das Kraftfeld Hausers im Stadtraum ab. Doch hier nun, in den Schlichtenmaier-Räumen am Kleinen Schlossplatz, auf eigentlich viel zu kleiner Fläche, schlägt der Tanz mit dem Stahl buchstäblich Funken. Höchste Akkuratesse und deren bewusstes Unterlaufen wagen die ständige Kraftprobe – in der Radierung und in der Zeichnung nicht weniger als in der Skulptur.

Die Schau ist eine Aufforderung zum Weiterdenken

So wird das Gedenken an Harry Schlichtenmaier unversehens zu einer Aufforderung zum Weiterdenken. Und dies bis hinein in die Preisgestaltung. Intensiv beschäftigte ja den so plötzlich Verstorbenen die Entwicklung eines Marktes, der, wie er es sah, haltlos geworden sei, keinen Halt mehr biete. Zeuge von Hausers Sprengung des Volumens in der Radierung wird man hier für 280 Euro, zwei der seit langem schönsten Hauser-Zeichnungen von 1965 gibt es für jeweils 1500 Euro. Wenn zugleich am oberen Ende locker 150 000 Euro überschritten werden, ist dies kein Widerspruch – der Klassiker Hauser zeigt sich nicht nur in „Stahl 9/65“ so strahlend wie widerborstig, so filigran wie bewusst ungelenk, kurz: so bewegt, wie man sich große Kunst schlicht wünscht.

Mit seinen Brüdern Bert und Kuno hat Harry Schlichtenmaier den Weg des 2004 gestorbenen Erich Hauser auf dem Gelände der ehemaligen Saline in Rottweil – mitsamt den Gebäuden des Stuttgarter Architekten Roland Ostertag schon zu Lebzeiten Hausers in eine Stiftung umgewandelt – seit den 1990er Jahren verfolgt. Doch erst und gerade mit dieser Schau „Dialoge in Stahl“ wird vielleicht in aller Unmittelbarkeit die Behauptung eingelöst, die der 22-jährige Hauser 1952 auf einem Schild an eine Garage in Dunningen nagelt: „Erich Hauser, Bildhauer“. Kunst ist Antritt. Die Botschaft dieser Ausstellung verwandelt das Gedenken an Harry Schlichtenmaier in ein Weiterdenken an der Kunst entlang.