Das Bier auf dem Cannstatter Wasen wird teurer. Foto: dpa

Er ist der einzig wahre Konjunkturindikator. Wie gut es der Wirtschaft geht, erkennt man nicht am Gerede von Experten, den Aussagen von Lobbyisten und Politikern oder dem Geschäftsklimaindex, nein, der Bierpreis auf dem Wasen beschreibt die Lage der Nation. Und der steigt auf 10,20 Euro für die Maß.

Stuttgart - Die Kunde sprach sich schnell herum. Die Bürger waren empört und forderten Abhilfe, erst mit Worten, dann mit den Fäusten. Das Bier sollte teurer werden, einen ganzen Pfennig. Also stürmten die Menschen die Brauereien, schlugen sie kurz und klein. Die herbeigerufenen Soldaten verbrüderten sich mit den Protestierern. Schließlich kuschte König Ludwig I., machte das Bier wieder billiger. Diese Episode aus dem Jahre 1844 ging als Bierkrieg in die Münchner Stadtgeschichte ein. Immer wieder entzündete sich dort an teurem Bier der Volkszorn. Zuletzt gab’s ein Bürgerbegehren für die „7,10-Euro-Maß“ auf dem Oktoberfest. Das scheiterte. Und weil Horst Seehofer sich an Angela Merkel abarbeitet, anstatt sich um den Bierpreis zu kümmern, steigt dieser in lichte Höhen. 10,70 Euro kostet die Maß Bier auf der Wiesn. So weit ist man beim Volksfest noch nicht, doch in Bad Cannstatt holt man auf: Jetzt ist man bei 10,20 Euro für die Maß gelandet.

Um bis zu 40 Cent haben die meisten Wirte die Preise erhöht. Im Vorjahr kostetet das Bier in den sieben Festzelten zwischen 9,60 Euro und 9,80 Euro. Nun kratzen fast alle an der Grenze von zehn Euro und verlangen 9,90 Euro. Ein Einheitspreis, fast so als sei der Sozialismus wieder auferstanden. Nur Wirtesprecher Werner Klauss und sein Bruder Dieter durchbrechen die Schallmauer und erhöhen den Preis auf 10,20 Euro, 40 Cent mehr als im Vorjahr.

„Das ist ein kalkulatorischer Preis“, sagt Klauss. Soll heißen, der seriöse Kaufmann weiß zwar um die Wirkung des Überschreitens der Zehn-Euro-Marke, aber beim Rechnen kann er keine Rücksicht darauf nehmen. Die Kosten erhöhen sich, also müssen sich auch die Einnahmen erhöhen. Und da man davon ausgehen kann, dass sich weder die Besucherzahlen von vier Millionen beim Volksfest exorbitant erhöhen noch der Durst plötzlich zunimmt, die sieben großen Zelte also weiterhin zusammen knapp zwei Millionen Liter Bier ausschenken, bleibt zum Ausgleichen der Bilanz ein Mittel: Die Preise für Speis und Trank erhöhen.

Zelt wird generalüberholt

Das Dinkelacker-Zelt der Gebrüder Klauss wird dieses Jahr generalüberholt. Das kostet mehr als eine Million Euro. Die Brauerei zahlt dies. Aber über eine höhere Miete tragen die Wirte ihr Scherflein. Doch das ist bei weitem nicht alles. Aufbau und Abbau kosten 1,5 Millionen Euro, Programm und Marketing 400 000 Euro, Strom und Wasser 50 000 Euro, Künstlersozialkasse und Gema 25 000 Euro, die Ordner 150 000 Euro. Dann hat man der Sicherheit wegen an den Eingängen Lautsprecher montiert, den Anwohnern am Veielbrunnenweg zahlt man Ordner und Toilettenanlagen um des nachbarschaftlichen Friedens willen. „Das sind hier ein paar tausend Euro, da ein paar tausend Euro“, sagt Klauss, „das summiert sich.“

Beschwert über den Preis hat sich bei ihm keiner. Im Gegenteil, bisher haben die Zecher noch jede Preiserhöhung geschluckt und rennen unverdrossen auf den Wasen. Auch bei Kollege Karl Maier vom Göckelesmaier gab es keine Proteste. „Das ist kein Thema“, sagt er, „wir Wirte sind unseren Preis wert und das merken die Leute.“ Man biete ein gutes Produkt mit Unterhaltung und erstklassiger Küche. „Das bekommen sie so nirgends“, sagt Maier, deshalb würden auch immer mehr Firmen mit ihren Mitarbeitern kommen. „Wir organisieren alles, von der speziellen Speisekarte über die Deko bis zur Musik. Wenn sie das selber organisieren, kostet sie das deutlich mehr Geld.“

Für Marcus Christen von der Wasenveranstalterin in.Stuttgart ist „die Diskussion über den Bierpreis so alt wie das Volksfest“. Weder Stadt noch Veranstalterin mischen sich in die Preisgestaltung ein. „Das ist Sache der Wirte.“ Natürlich seien zehn Euro nicht günstig, aber gehe man in der Innenstadt aus, merke man, da „kommt der Liter Bier auch an die zehn Euro ran“. Und man habe keine Musik und keine Deko wie im Festzelt. Dass die 10,20 Euro das Ende der Fahnenstange ist, glaubt weder er noch die Wirte. In München ist man ja heuer bei 10,70 Euro. Dort allerdings gehen die Besucherzahlen zurück. Der Terrorangst wegen rechnet man mit weniger als den ohnehin bescheidenen 5,9 Millionen Gästen aus dem Vorjahr. So sagt man. Doch nicht wenige glauben, das liege daran, dass man den Bogen überspannt hat. In drei Schichten reservieren die Wirte dort die Zelte. Nach ein paar Stunden heißt es: Auf Wiedersehen, die nächsten kommen. Und die Preise tragen vielleicht doch ihren Teil bei, 15 Euro für einen Liter Weizen sind ein Wort.

So weit ist man in Bad Cannstatt noch nicht. Dort ist übrigens das halbe Hähnchen teurer als die Maß Bier. Bis zu 10,90 Euro kostet es. Beim Volksfest ist es somit nicht die Gans, sondern das Göckele, das goldene Eier legt.