Foto: Filmhaus/Archivfoto

Ein Gespräch mit Christiane Schleindl, Vorsitzende des Bundesverbandes kommunale Filmarbeit.

Stuttgart - Dreieinhalb Jahre sind seit der Insolvenz des altes Kommunalen Kinos (KoKi) vergangen, 2010 haben Stuttgarter Kultur- und Bildungseinrichtungen ein Konzept für ein neues vorgelegt. Die Stadt zögert. Wir haben Christiane Schleindl befragt, die in Nürnberg erfolgreich ein Filmhaus leitet.

Frau Schleindl, was verbinden Sie mit dem Begriff Kommunales Kino?
Einen kulturellen Ort der Filmgeschichte wie der filmischen Gegenwart für Kino aus der ganzen Welt. Einen Ort, an dem es nicht um schnellen Konsum und Masse geht, sondern um Konzentration und Reflektion.

Wie sehen Sie die Situation in Stuttgart?
Es ist bedauerlich, dass es überhaupt so weit gekommen ist. Eine Stadt hat eine Verantwortung - Teilhabe an Kultur ist ein Menschenrecht, und der Film gehört dazu. In Baden-Württemberg leisten viele Kokis fantastische Arbeit, und in Stuttgart könnte man nun eine Art Austauschzentrale etablieren. Das ist eine große Chance.

Die Kulturverwaltung findet das Konzept des Vereins für eine Neues Koki sehr teuer . . .
Die Frage ist immer: Wie weit muss sich das rechnen? Viele Kulturpolitiker erwarten eine Mindestauslastung und jährliche Steigerungen. Dann aber kann ein Koki kaum mehr sein als ein Programmkino. Es ist ein Vabanque-Spiel, einerseits möglichst viele Zuschauer anzusprechen und andererseits die Qualität zu halten, Leute zu konfrontieren.

Fühlen Sie sich missverstanden?
Für Theater, Literatur, Kunst und Musik wird ganz selbstverständlich Geld ausgegeben. Zum Kurator einer Kunst-Ausstellung sagt niemand: Könnten Sie das vielleicht günstiger machen, statt der Gemälde Poster aufhängen? Von uns wird das verlangt, ausgerechnet in einer Zeit, in der wir uns so viel mit Bewegtbildern beschäftigen wie nie zuvor, in der das Internet alles absorbiert. Damit muss man sich doch öffentlich auseinandersetzen! Da sieht man, wie viel Vermittlung wir noch leisten müssen.

Besonders die Personalausstattung des neuen Koki mit viereinhalb Stellen erscheinen manchen zu hoch angesetzt.
Die Seele einer Einrichtung hängt immer mit den Leuten zusammen, die sie gestalten. Wer gute Arbeit möchte, muss sich gute Leute leisten. Koki bedeutet eben nicht, dass sich ein paar Cineasten mit ihren Lieblingsfilmen einen schönen Abend machen, sondern dass Profis qualitativ am Thema Film arbeiten, Vermittlungsformen entwickeln, sich mit dem Publikum auseinandersetzen, es ernstnehmen. Eine Filmreihe will wohl durchdacht sein wie eine Ausstellung.

In Stuttgart schlägt die Kulturverwaltung vor, der Verein Neues Koki solle projektbezogen Förderung beantragen. Was halten Sie davon?
Ein Koki braucht den kontinuierlichen Betrieb an einem festen Ort, wie soll man sonst einen Besucherstamm aufbauen und Schulkino etablieren? Projektarbeit ist schön, wenn man etwas Neues durchsetzen möchte. Im Dauerbetrieb funktioniert sie nicht, und es wird am Ende viel teurer, weil man jedes Mal bei null anfängt und viel mehr Werbeaufwand betreiben muss.

Das alte Koki in Stuttgart wirkte zuletzt eher anachronistisch - wie verhindert man das?
Kommunale Filmarbeit bleibt eine ständige Herausforderung. Man macht nicht einmal ein Konzept und bleibt dabei, sondern wandelt sich permanent, wie das Medium selbst. Wir können die digitale Entwicklung reflektieren, wir können Livestreams einrichten, experimentieren. Zugleich haben wir eine museale Funktion, Filmgeschichte bekommt man nur noch bei uns. Für all das braucht man Ruhe und Konzentration - und nicht einen starren Blick aufs Geld.

Müssen Sie um Ihren Etat kämpfen?
2004 hat der Kämmerer zuletzt versucht, uns etwas wegzusparen. Aber das lohnt sich nicht, wenn man den Gegenwert anschaut, allein in der Schularbeit: Über 10 000 Schüler im Jahr sehen bei uns Filme, die sie sonst nicht sehen würden, dazu bekommen sie Vor- und Nachbereitung mit Pädagogen.

Gerade Jugendliche bewegen sich viel im Internet. Wie begeistern Sie die fürs Kino?
Viele haben "Panzerkreuzer Potemkin" noch nie gesehen, aber sie kennen die Treppenszene, weil die im Internet steht. Da kann man ansetzten, und meiner Erfahrung nach springen Jugendliche darauf an. Nichts ersetzt einen Kinosaal, in dem man Bildmedien mit einer ganz anderen Konzentration betrachtet, nichts ersetzt die reale Auseinandersetzung. Bei Werkstattgesprächen berichten Filmemacher aus erster Hand, da kann man nachfragen und ins Gespräch kommen. Das geht im Internet nicht.

Der technische Aufwand ist sehr hoch - wie rechtfertigen Sie den?
Ein Koki ist ein Hybridkino für alle Formate, die neueste Technik und die ganz alte. Mit Rücksicht auf manche Materialien braucht es eine Klimatisierung. Dafür bietet es exklusive Erlebnisse. 35-Millimeter-Film wird bald etwas Besonderes sein, jede Aufführung ein ähnliches Erlebnis, wie ein Kunstwerk im Original zu betrachten.

Sind die Kokis also auch Bewahrer?
Eine große kinopolitische Frage lautet: Was passiert mit der Filmgeschichte? Es gibt in Deutschland keine Pflicht, Kopien für Filmkunsttheater zur Verfügung zu halten, und eine Digitalisierung ist nicht selbstverständlich. Der Bundestag hat vor kurzem die Frage nach unserem Filmerbe wieder aufgegriffen, aber sind da noch ganz am Anfang in Deutschland, auch was die Rechte angeht. In anderen Ländern zahlen Kinos, die Filmbildungsarbeit betreiben, maximal 150 Euro für eine Kopie. In Belgien dürfen sie jeden Film auf DVD zeigen und müssen keine Rechte abgelten. Das wünschen wir uns auch, da wäre eine allgemeinverbindliche europäische Regelung gut.