Auch inhaltlich und ästhetisch hochwertige TV-Serien können Themen für ein neues Kommunales Kino Stuttgart sein: January Jones und Jon Hamm in „Mad Men“ Foto: ZDF/Doug Hyun/AMC/Lionsgate

Das Neue Kommunale Kino ist ein Verein gewichtiger Institutionen - ein Gespräch mit Markus Merz.

Stuttgart - Vor genau drei Jahren war das alte Kommunale Kino (KoKi) insolvent. Stuttgarter Kultur- und Bildungseinrichtungen, die sich mit Film befassen, haben 2010 ein Konzept für ein neues KoKi vorgelegt und nun einen Verein gegründet, der dafür wirbt, den Bewegtbildern in der Stadt wieder einen Ort zu geben. Wir haben mit Markus Merz, Rektor der Merz-Akademie und Erstem Vorsitzenden des Neuen Kommunalen Kinos, gesprochen.

Herr Merz, hätten Sie sich träumen lassen, nochmal Erster Vorsitzender eines Vereins zu werden?

Ich habe den Prozess für ein Neues Kommunales Kino in Stuttgart seit 2009 intensiv verfolgt und begleitet. Überraschenderweise wurde mir der Vorsitz angetragen, und weil es mir wichtig ist, dass Film und Medien wieder großgeschrieben werden in dieser Stadt, habe ich angenommen.

Was macht das neue KoKi im Kern aus?

Wir müssen uns wohl vom Begriff Kommunales Kino lösen. Ziel ist ein Haus der Film- und Medienkunst, das deutlich mehr ist als ein Kino: Labor, Werkstatt, Galerie und offener Treffpunkt zur Diskussion von bewegten Bildern. Aktuell testen wir die Möglichkeiten kommunaler Filmarbeit. Gerade hatten wir den Regisseur Cem Kaya mit dem Film "Arabesk - Gossensound und Massenpop" zu Gast, abgestimmt mit dem Sommerfestival der Kulturen und in Kooperation mit dem Forum der Kulturen und dem deutsch-türkischen Forum. Zum Thema Vermittlung hat die Volkshochschule eine Kinderfilmwerkstatt mit regionalen Filmemachern veranstaltet, die sehr gut gelaufen ist. Da staunt man, welches Potenzial 120 junge Menschen unter professioneller Anleitung offenbaren, aber auch, welche Bilderwelten in ihnen wüten. Nach drei Stunden Workshop konnten die Kinder spannende Ergebnisse in einer Art Fernsehshow präsentieren.

Ridley Scott hat gerade den ersten You-Tube-Film produziert, die Kultusministerin denkt über ein Schulfach "Medienkompetenz" nach - welche Rolle spielen in einem neue KoKi die Neuen Medien?

Eine zentrale. Ein Haus für Film- und Medienkunst muss diskursiv verfolgen, wie Bewegtbilder produziert und rezipiert werden in all ihren Facetten, vom Handyvideo bis zum Computergame. Es muss den öffentlichen Diskurs begleiten und kompetenter Partner der Schulen, Hochschulen und anderer kultureller Einrichtungen werden. Stuttgart muss wieder ein Ort sein, an dem über das bewegte Bild diskutiert wird. Ich sehe die Kultur- und Bildungspolitik in der Pflicht zu erkennen, welche Bedeutung dieses Thema in der Lebenswirklichkeit der Menschen tatsächlich hat.

Die Merz-Akademie hat ein Symposium zu großen US-TV-Serien gemacht, die dem Spielfilm teilweise den Rang ablaufen - wäre auch das ein Thema?

Absolut, solche Symposien könnten in einem neuen Haus für Film- und Medienkunst stattfinden. Als gebündelte Aktion von KoKi, Merz-Akademie und weiteren Partnern wie etwa Schloss Solitude und Filmakademie. Hier zeigt sich der Vorteil des vernetzten Vereinsansatzes. Ein weiterer wichtiger Punkt für alle Film- und Kunsthochschulen in der Region ist die Möglichkeit, hervorragende Studentenarbeiten in einem angemessenen Rahmen öffentlich zu zeigen und den Nachwuchs an die Region zu binden. Wir müssen unsere Kreativwirtschaft attraktiv positionieren. Stellen Sie sich vor, Stuttgart will Kulturhauptstadt werden und verpasst mit dem Thema Bewegtbild und Audiovisualisierung einen zentralen Trend der nächsten Zeit.

Wie koordinieren Sie im Verein die Zusammenarbeit?

Es herrschte eine ausgesprochen konstruktive Atmosphäre und eine Aufbruchstimmung, wie ich sie selten erlebt habe. Um den Aufwand in der jetzigen Startphase im Rahmen zu halten - wir machen das ja alle ehrenamtlich -, sind momentan eine begrenzte Anzahl gemeinnütziger Institutionen Mitglied und keine Personen oder Unternehmen. Für die Weiterentwicklung ist ein Verwaltungsbeirat mit Vertretern aus Kulturpolitik und -verwaltung vorgesehen, aber auch ein Programmbeirat, in dem auch die regionalen Kinobetreiber vertreten sein sollen. Kooperation und Ergänzung sind uns grundsätzlich sehr wichtig.

Wie ist bisher die Resonanz auf Ihre Veranstaltungen?

Es kommen rund 100 bis 150 Leute. Die KinderFilmWerkstatt könnten wir bei der erlebten Resonanz wahrscheinlich wöchentlich durchführen, bei unserem Auftakt im Literaturhaus mussten wir einen Zusatzraum öffnen und am Samstag, bei Interkultur, die Location wechseln - das Interesse der Bürger ist spürbar, obwohl es ja noch gar kein Haus gibt.

Haben Sie denn einen Ort im Auge?

Derzeit sind wir in Gesprächen über eine etwa zweijährige Zwischennutzung des Wilhelmspalais, wenn die Stadtbücherei ausgezogen ist und bevor der Umbau zum Stadtmuseum beginnt. Die Kulturbürgermeisterin bemüht sich erfreulicherweise um schnellstmögliche Klärung. Was mir dauerhaft vorschwebt, sozusagen die große Vision? Ein Haus für Film- und Medienkunst direkt an der Kulturmeile, mit dem wir zeigen, welche Relevanz das Thema Bewegtbild für die Stadt hat. Es geht eben nicht um eine Blackbox, einen dunklen Kinosaal, sondern um ein Haus, das als kreatives Labor, als Zentrum für Medienpädagogik, als Archiv und als Shop funktioniert. Warum nicht gemeinsam mit dem Haus des Dokumentarfilms? Mit den Festivalveranstaltern Filmbüro, Wand 5 und Film- und Medienfestival gGmbH? Mit der Filmgalerie 451 als Shop und Videothek?

Was sind Ihre nächsten Schritte?

Im Moment geben wir einer Finanzplanung den letzten Schliff und hoffen im September auf einen interfraktionellen Antrag im Gemeinderat. Die Vorgespräche mit den kulturpolitischen Sprechern sind bisher vielversprechend verlaufen. Dann wollen wir Erfolge und Sorgen Kommunaler Kinos in ganz Deutschland untersuchen, um unsere Initiative auf noch solidere Beine zu stellen. Wir haben Unterstützung beantragt beim Kulturamt, das die Notwendigkeit dafür momentan leider nicht erkennt. Ab Oktober wollen wir in "Programmmacher-Workshops" mit interessierten Bürgern und Initiativen, begleitet von Kuratoren, unsere programmatischen Positionen verdeutlichen. Uns erreichen fast täglich E-Mails und Anrufe von Initiativen, die einen Bedarf formulieren, der momentan in der Stadt keinen Nährboden findet.

Wenn Sie denn einen Ort bekommen - kann der Verein in seiner jetzigen Form einen regelmäßigen Spielbetrieb aufbauen?

Nein, das geht nicht ehrenamtlich. So ein Haus braucht, wie Theater oder Museen auch, eine professionelle Führung, die integrativ wirkt und Strahlkraft entfaltet, gerade auch um mittelfristig einen gesunden Mix aus öffentlicher und privater Finanzierung zu realisieren. Auch die Betreuung der komplexen Projektionstechnik und die medienpädagogische Arbeit verlangt nach Experten. Wenn man diesen Schritt nicht macht, wird auch keine Nachhaltigkeit entstehen, und die Idee verliert sich am Ende in einzelnen Projektanträgen. Ich denke, wir haben einen überzeugenden Ansatz gefunden, in Stuttgart einen neuen und interessanten Kulturbetrieb zu starten - nun erwarten wir die Unterstützung von Politik und Verwaltung.