Schüler des letzten Jahrgangs des neunjährigen Gymnasiums (G9) beginnen in Regensburg in einer Turnhalle des Musikgymnasiums der Regensburger Domspatzen im März 2011 mit ihren schriftlichen Abiturprüfungen Foto: dapd

Offenbar wollen mehr als 50 Gymnasien im neuen Schuljahr den Parallelbetrieb einführen.

Stuttgart - Der Stichtag 1. März ist vorbei. Bis zu diesem Tag konnten Gymnasien im Land einen Antrag auf Wiedereinführung eines neunjährigen Zuges stellen – kurz G 9 genannt. Im Koalitionsvertrag hatte die grün-rote Landesregierung einen Parallelbetrieb von acht- und neunjährigen Zügen zugesagt, verbunden mit dem Hinweis, dass die von Schwarz-Gelb beschlossenen achtjährigen Züge der Normalfall bleiben sollten. Später präzisierte das Kultusministerium: Höchstens 44 der 377 Gymnasien im Land sollten sich an einem auf eine Dauer von 15 Jahren angesetzten Schulversuch beteiligen können – 22 im kommenden Schuljahr und weitere 22 im Schuljahr 2013/14. Die Zahl 44 entspricht den 35 Land- und neun Stadtkreisen im Land. Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) hatte gleichzeitig suggeriert, dass pro Land- oder Stadtkreis ein Gymnasium für einen Parallelbetrieb G 8/G 9 infrage komme.

Nun, nach Ablauf des fünfmonatigen ersten Bewerbungsverfahrens zeigt sich, dass offenbar deutlich mehr Gymnasien die partielle Rückkehr zu G 9 wollen. Norbert Brugger, Schuldezernent des baden-württembergischen Städtetags, erklärte am Freitag, ihm lägen gesicherte Informationen vor, dass sich mehr als 50 Gymnasien beworben hätten. Bliebe es bei der Zahl von 22 sogenannten Schulversuchen im kommenden Schuljahr, hieße dies, mehr als die Hälfte der interessierten Gymnasien kämen nicht zum Zuge. Entschieden würde dann nach pädagogischen Gesichtspunkten. Ein Kriterium ist die Vierzügigkeit, mithin die Größe der Schule. Ausnahmen sind allerdings erlaubt, denn in den Ausschreibungsunterlagen steht ausdrücklich, die Schulen müssten „in der Regel“ vierzügig sein. Das Kultusministerium bestätigte die vom Städtetag genannten Zahlen nicht. Sie sollen offiziell erst nächste Woche veröffentlicht werden.

„Ein bisschen schwanger geht nicht“

Während die Grünen beim Thema G 9 restriktiv sind und an der Begrenzung auf 22 Gymnasien festhalten wollen, gibt es in der SPD Stimmen – nicht zuletzt die von SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel –, großzügiger zu verfahren. Das bedeutete zwangsläufig höhere Kosten. Für die vereinbarten 44 Schulversuche veranschlagt die Landesregierung 133 zusätzliche Lehrerstellen. Kehrt G 8 an mehr Schulen zurück, steigt entsprechend der Lehrerbedarf.

Brugger nennt das Ganze „hochärgerlich“. Der Städtetagssprecher sieht ein Zurück zum neunjährigen Gymnasium grundsätzlich kritisch: „Mir tun die Schulen leid, die diesen Parallelbetrieb organisatorisch bewältigen sollen.“ Angesichts der propagierten Durchlässigkeit des baden-württembergischen Schulsystems sei es zudem paradox, dass sich Schüler und Eltern in der fünften Klasse auf einen acht- oder neunjährigen Zug festlegen müssten. Da der Parallelbetrieb nun aber beschlossen sei, müsse man zumindest auf eine adäquate Umsetzung achten. „Ein bisschen schwanger geht nicht“, sagte Brugger. Das Land müsse entweder sagen, es tut uns leid, wir haben zu viel versprochen oder das Programm ausweiten – mit allen finanziellen Konsequenzen. Zu Letzterem sieht der Verbandssprecher keine Alternative, weil die Regierung in der Öffentlichkeit Erwartungen geweckt habe. Dazu passt die Wortmeldung des Landeselternbeirats; er pocht auf die Einhaltung des Wahlversprechens. „Viele Eltern hatten erwartet, dass es umgesetzt wird“, sagte sein Vorsitzender Theo Keck am Freitag.

Im Stuttgarter Finanzministerium bemüht man sich, den heraufziehenden Konflikt herunterzudimmen. Noch sei überhaupt nicht klar, wie viele Schule sich beworben hätten und ob alle Bewerbungen den Ausschreibungskriterien entsprächen, sagte der Sprecher von Finanzminister Nils Schmid (SPD) auf Anfrage. Man werde abwarten, zu welcher Einschätzung das Kultusministerium komme. Ein Nein zur Ausweitung des G-8-Programms ist das nicht. „Aber auch kein Ja“, sagte der Sprecher.