Als die Straßenbahn noch auf der Straße fuhr ... Foto: Stuttgart-Album

48 Jahre lang rumpelte sie durch Stuttgart und wird heute mit ihren Schnappsitzen, ihren Pfeilen und gelben Knöpfen von vielen vermisst: Das Stuttgart-Album erinnert an die gute alte Strampe mit vier Achsen.

48 Jahre lang rumpelte sie durch Stuttgart und wird heute mit ihren Schnappsitzen, ihren Pfeilen und gelben Knöpfen von vielen vermisst: Das Stuttgart-Album erinnert an die gute alte Strampe mit vier Achsen.

Stuttgart - 1959 – 2007. Ruhe in Frieden. Auf dem Grabstein könnte stehen: „Danke für die Zeit mit dir.“ Oder: „Deine Spur wird bleiben.“ Aber es gibt kein Denkmal, weil der gelbe Gelenktriebwagen 4, kurz GT 4, der 1959 in Stuttgart ins Licht der Welt rumpelte, zwar 2007 unsere Stadt für immer verlassen hat, aber nicht dahingeschieden ist.

Die gute alte Strampe schaukelt und quietscht seit der schwäbischen Ausmusterung in Arad in Rumänien.

Liebe Strampe, du hast uns über Jahrzehnte begleitet, von Wendeschleife zu Wendeschleife, die nutzlos geworden sind, weil die Stadtbahn, die dich ersetzt, keine Umkehrkurve braucht. Jetzt begleiten uns die Erinnerungen an dich. Je länger du weg bist, desto mehr fehlst du in Stuttgart.

Der Knopf wird heiß geliebt - und vermisst

Besonders schmerzlich vermisst wird ein gelber Knopf, der in manchen Bahnen am Ende etwas bräunlich war. Auf diesen Knopf zeigte ein Pfeil, über dem stand: „Aussteigen bitte Knopf drücken.“ Das Foto davon war kein Meisterwerk. Jemand hatte diese etwas dunkle Aufnahme auf der Facebook-Seite unseres Geschichtsprojekts Stuttgart-Album gepostet. Die Frage dazu lautete: „Wer kennt diesen Knopf?“ Was für eine Frage!

Bereits am ersten Tag hatten 14 000 Besucher auf dieses Foto geklickt. Viele von ihnen stimmten Lobeshymnen an. „Tausendmal in der Strampe berührt“, schrieb Tim Weiß, „jetzt, da dies nicht mehr passiert, fehlt es mir sehr.“ Für Lee Kienle war’s ein sinnliches Erlebnis: „Da steigt mir der Geruch der Strampe in die Nase. Und ich höre das Geräusch der Pressluft beim Öffnen der Türen. Am liebsten saß ich hinten auf der Ablage.“

Andere bevorzugten den Platz in der schwankenden Mitte. „Oh ja, das freihändige Stehen auf dem beweglichen Mittelteil fand ich als Kind aufregend“, gestand Carmen Lindner auf unserer Facebook-Seite. Es gab dort einen Klappsitz, genannt Schnappsitz, der zum Experimentieren einlud. Jugend forscht. Michael Burkhardt erinnert sich: „Der Klappsitz hatte es in sich. Beim Aufstehen knallte er mit gefühlten 100 Stundenkilometer an die Wand, was zu einem sofortigen Hörsturz führte. Ein Kleinkind hatte gar keine Chance, den Sitz runter zu klappen. Und falls es doch gelang, klappte das Ding samt Kleinkind wieder zu.“ Kathrin Käfer hat nicht vergessen, wie man im Sommer an den weinroten Kunststoffsitzen des GT 4 klebte. Die grauen Heizkästen unter den Sitzen waren auch wichtig: „Sie heizten zwar immer nur, wenn es warm war, aber man konnte gut die Füße darauf abstellen.“

Heißt es nun Strambe oder Strampe?

Die Internetgemeinde diskutierte auf der Seite des Stuttgart-Albums, woher das Wort Strampe kommt und wie man es vor allem schreibt – mit p oder b? „Die Strampe ist eine Verkürzung von Straßenbahn und Trambahn“, wusste Thomas Böhm, „man müsste daher Strambe schreiben.“ René Hauf plädierte für orthografische Freiheit: „Strampe ist Umgangssprache und kann geschrieben werden, wie man will.“ Durchgesetzt hat sich das p – auch in den Publikationen der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB), die immer noch das Wort Straßenbahnen im Namen führt, obwohl doch längst nur noch Stadtbahnen fahren. Hat sich ein Sozialwissenschaftler oder Psychologe jemals mit dieser Frage beschäftigt: Warum gibt es für die Stadtbahn keinen Spitznamen? Und überhaupt: Ist der gelbe Klassiker ein Zwitter? Man sagt die Strampe, aber der GT 4.

Speziell für Stuttgart ist der GT 4 Ende der 1950er Jahre entwickelt worden, der vier Achsen hat, was die 4 nach dem G und T erklärt. Zwischen 1959 und 1965 verließen 350 Stück die legendäre Maschinenfabrik Esslingen. Die erste Fahrt war am 10. August 1959, die letzte des GT 4 als Fünfzehner am 8. Dezember 2007. Hier nun die Daten fürs Straßenbahn-Quartett: Der GT 4 ist 19 Meter lang und 2,20 Meter breit, wiegt 19 Tonnen und hat 48 Sitzplätze. Seine Höchstgeschwindigkeit ist 60 Stundenkilometer.

Die Konkurrenz kam 1985: Ihre Jungfernfahrt feierte die Stadtbahn auf der Strecke von Vaihingen nach Plieningen. Die Umstellung dauerte lang, weshalb die SSB weiterhin einen robusten Bestand an Meterspurwagen brauchte, ohne noch mal neue Fahrzeuge kaufen zu müssen. Andernfalls wäre der GT 4 viel früher ausgemustert worden.

Wer die Strampe sehen will, muss aber nicht nach Rumänen fahren (vom dortigen Einsatz gibt es bei You tube Beweisvideos) : In der 2009 eröffneten Straßenbahnwelt, in einem restaurierten Depot in Bad Cannstatt, kann man weiterhin den gelbe Knopf drücken. Zwischen den roten Sitzen gibt’s ein halbrundes Tischchen, um das einst regelmäßig Wettkämpfe ausgetragen wurden: Wer darf darauf zuerst was abstellen? „Die Hausaufgaben, die man auf diesem Fensterbrettchen schrieb, waren besonders leserlich“, hat Bianca Ehmat gepostet. „Im 15er hat mal ein älterer Herr Fleischwurst, Brot und ein Küchenmesser ausgepackt“, berichtet Magda Hentschel-Toekoely, „und auf dem Tischchen mit dem Vespern angefangen – dies, sagte er, mache er immer so.“

Um nicht in nostalgischer Verklärung zu versinken, sei auch noch erwähnt: Mitunter war die Strampe etwas bockig – bei starkem Schneefall kam sie kaum die Hänge hoch. Und immer wieder gab es Probleme mit den Weichen. Die heutige Stadtbahn ist nicht nur schneller, sondern auch für Senioren zum Einsteigen bequemer. Aber es rumpelt halt nicht mehr so – dafür rumpelt es in den Erinnerungen um so schöner. Eine Liebe in Gelb. Nach 48 Jahren trennten sich die Strampe und Stuttgart. Nach dem Abschied hat sie noch viel mehr Verehrer.

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Das Stuttgart-Album gibt’s als Buch im Silberburg-Verlag. Siehe auch:

www.facebook.com/Album.Stuttgart