Regiert mit den schwarzen Partnern harmonischer als zuvor mit den roten: Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Foto: dpa

Baden-Württembergs grün-schwarzes Regierungsbündnis hat in seinem ersten Jahr viele Skeptiker Lügen gestraft. Warum seine Strahlkraft über das Land hinaus dennoch gering bleibt, erklärt StN-Chefredakteur Christoph Reisinger.

Stuttgart - An Warnern hat es nicht gemangelt: Eine Koalition aus Grünen und CDU werde in Baden-Württemberg nicht funktionieren. Nie und nimmer wird sie zum echten Bündnis, schallte der große, laute Chor der Skeptiker. In beiden Landtagsfraktionen, in beiden Parteien – und weit darüber hinaus. Er sieht sich widerlegt nach einem Jahr des gemeinsamen Regierens.

Lesen Sie hier das Zwischenzeugnis zur Grün-Schwarzen Regierung in Baden-Württemberg.

Geräuscharmut und ein unaufgeregtes Miteinander sind Markenzeichen der zweiten von Winfried Kretschmann geführten Regierung. Zwei Beispiele: Definitiv nicht alle Abgeordneten der CDU und auch nicht alle schwarzen Kabinettskollegen teilen die Liebe des grünen Umweltministers Frank Untersteller zur Windenergie. Aber sie tragen seinen an Fahrt gewinnenden Ausbau der Infrastruktur mit. Was dadurch erleichtert wird, dass Untersteller nach einem schlüssigen Konzept vorgeht.

Keine neuen Glaubenskriege

Das zweite Beispiel: CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann stärkt die Realschule und hat die Lehrerempfehlung auf dem Weg der Grundschüler Richtung weiterführende Schule zumindest etwas aufgewertet. Das eine passt so wenig zu grüner Schulpolitik wie das andere. Aber quasi zur Tür ins Ministeramt herein hat Eisenmann klargemacht: Sie wird keine neuen Glaubenskriege um die grün-rote Hinterlassenschaft bei den Gesamtschulen vom Zaun brechen, sondern versuchen, das Beste draus zu machen. So kann man arbeiten. Und zwar zusammen.

Hier zahlt sich aus, dass beide Partner gleich zu Beginn drei Dinge richtig gemacht haben. Das Thema Augenhöhe hat es zwischen ihnen nie gegeben, sie ist halt da. Was für ein Kontrast zur Vorgängerregierung, gegen deren Ende Kretschmann offen zeigte, wie genervt er vom Dauer-Streben der Sozialdemokraten nach Augenhöhe mit den Grünen war.

Frühe Weichenstellung

Dass es zwischen Schwarz und Grün entspannter läuft, hat mit einer zweiten frühen Weichenstellung zu tun: CDU-Landeschef Thomas Strobl ist es nach der Wahl gelungen, das Wundenlecken in seiner Fraktion, das nach dem Machtverlust 2011 mindestens drei Jahre angehalten hatte, 2016 auf wenige Tage zu begrenzen. So tritt die Union von Anfang an kompakt und handlungsfähig auf. CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart gebührt das Verdienst: Obschon nicht der größte Strobl-Verehrer, hat er nach anfänglichem Knirschen die Fraktion als Stütze der Regierungsarbeit positioniert.

Ein Drittes: Kein Partner belastet die Koalition durch absurde Personalien. Wer an die lange Pannenserie der SPD-Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer in Kretschmanns erstem Kabinett zurückdenkt, weiß, was das bedeutet.

Mangel an Durchschlagskraft

Zeit, schon ein Goldrähmchen um Grün-Schwarz zu schlagen, ist es dennoch nicht. Der Vorwurf, die am Rande der Lautlosigkeit arbeitende Landesregierung habe kein zentrales Anliegen und werde deshalb leicht übersehen, mag arg verzwungen sein. Aber Tatsache ist: Ihren Initiativen für Start-ups und deren Finanzierung in Baden-Württemberg mangelt es noch an Durchschlagskraft. Die überfällige Stärkung der dualen Ausbildung hat leider nicht eingesetzt. Und der fehlende Ehrgeiz, mit den aktuellen Rekordeinnahmen den Haushalt zu sanieren, bleibt die größte Schwachstelle dieser Regierung.

Dass Baden-Württembergs grün-schwarzes Modell kaum Strahlkraft über das Land hinaus entwickelt, steht in einem Missverhältnis zu seiner vorzeigbaren ersten Zwischenbilanz. Aber das ist der Preis der Lautlosigkeit. Gepflegt von beiden Seiten – gerade so, als trauten sie selber dem Frieden noch nicht, der zwei Partner zusammenhält, die sich so lange so herzlich befehdet haben.