In der Ruoff-Stiftung zu sehen: Arbeiten aus Willikens’ „Floß“-Serie Foto: Atelier Ben Willikens Foto:  

Werke des Malers Ben Willikens sind international gefragt. Umso mehr freut man sich in Nürtingen über eine „ganz besondere Ausstellung“. An diesem Sonntag wird in der Ruoff-Stiftung die Willikens-Schau „Denkräume“ eröffnet.

Stuttgart - Der Titel war Programm: „Die Anmaßung der Räume und Orte“ überschrieb Götz Adriani das von ihm jüngst für die Kunsthalle Weishaupt in Ulm erarbeitete Ben-Willikens-Panorama von den frühen Anstaltsbildern bis hin zu jüngsten Zyklen. Neues Gewicht bekam in der äußerst erfolgreichen Ausstellung Willikens’ „Orte“-Serie zu zentralen Bauten Hitler-Deutschlands.

Kann nach diesem großen Auftritt in Ulm eine Ausstellung im kleinen Format eigene Akzente setzen? Wie schon 2016 bei der Präsentation zum Schaffen der Objekt- und Bühnenkünstlerin Rosalie setzt die Fritz- und Hildegard Ruoff-Stiftung in Nürtingen auf eine „Nahaufnahme“. „Wir versuchen“, sagt Stiftungslenkerin Hildegard Ruoff, „künstlerische Arbeitsverfahren deutlich zu machen.“ „Denkräume“ heißt die Schau denn auch, die an diesem Sonntag um 11 Uhr eröffnet wird.

Was Walter Grasskamp fasziniert

Was aber fasziniert grundsätzlich an der Bildwelt des 1939 in Leipzig geborenen Malers? Walter Grasskamp, bis 2016 Ordinarius für Kunstgeschichte an der 1999 bis 2004 von Willikens geleiteten Kunstakademie in München, zählt zu den wichtigsten Wegbegleitern des Malers. „Willikens“ heißt schlicht seine jüngst bei Hatje Cantz erschienene Werkübersicht.

„Seine Arbeit“, sagt Grasskamp unserer Zeitung, „kenne ich seit Anfang der 1970er Jahre, als eine ‚Spind‘-Druckgrafik bei der zu Unrecht vergessenen Künstlerkooperative ‚zehn neun‘ verlegt wurde. Die gab es von 1969 bis 1977 – und wer ein Dissertationsthema sucht: ‚zehn neun‘ ist eines.“ „Der Spind“, so Grasskamp weiter, „hat mich sehr irritiert, und daher habe ich ihn nicht gekauft. Damals war ich mehr für Klaus Staeck oder Arakawa zu haben, für die ,Zebra‘-Gruppe oder die Equipo crónica, also ziemlich unsortiert.“

„Einige Jahre später“, erzählt Walter Grasskamp, „war das leergeräumte ,Abendmahl‘ eine nachhaltige Herausforderung. Persönlich kennengelernt haben wir uns erst 1995, als Ateliernachbarn der bröckelnden Münchner Kunstakademie, die sich dann die überfällige Renovierung und den Ausbau dieser Bestandsruine auf die Fahnen schrieben: Da wurde der Raummaler zum Bauherrn. Und genau das ist es, was mich auch an dem Werk interessiert: der Maler als imaginärer Bauherr seiner Erinnerungen und Empfindungen, der angenehmen wie der unwillkommenen.“

Biografische Spuren

Willikens überraschte in den vergangenen 30 Jahren immer wieder mit bildnerischen Veränderungen. Wie hat Walter Grasskamp, der sich bei seinen Atelierbesuchen als zurückhaltenden Beobachter sieht, diese Neuansätze erlebt? „Die ,Floß‘-Serie“, sagt er, „war eine schlüssige malerische Reaktion auf eine gravierende Veränderung seiner Lebenslage, genauso wie es Jahrzehnte zuvor die ‚Anstalts‘-Bilder gewesen waren. Die Bilder von Willikens sind immer biografischer, als man es ihnen ansieht oder ansehen soll.“

Raum als Lebensmetapher

Ben Willikens hat den Raum früh zu einem Eigenwesen gemacht. Immer wieder eignet sich der Maler Räumliches an sich neu an, formuliert so scheinbar Bekanntes neu. Sieht man Bauten, Orte, Räume mit „Willikens-Augen“ grundsätzlich anders als zuvor?

„Ich habe“, sagt Walter Grasskamp hierzu, „erst sehr spät gelernt, Räume wahrzunehmen, zumal ich nicht Baugeschichte, sondern Kunstgeschichte studiert habe. Bis heute habe ich kein räumliches Vorstellungsvermögen, weswegen auch das frühe Berufsziel Architekt mir und anderen erspart geblieben ist. Mich hat aber immer auch der Grundriss der ,Gegenräume‘ von Willikens interessiert, weil die Bilder immer mehr versprechen als sie im Einzelnen liefern: Alle gehen so in die Tiefe, als wollten sie sagen: ,Fortsetzung folgt‘. Doch denkt man sie zu Ende, wirken sie wie vereinzelte Ausschnitte aus einem unmalbaren Labyrinth – der Lebensmetapher schlechthin, unter anderen auch meines Lieblingsautors Jorge Luis Borges und meines gerade verstorbenen kunsthistorischen Lehrers Hans Holländer.“

Herausforderung Wandbild

Der Schritt vom Thema Raum zum raum- beziehungsweise wandfüllenden Bild – von Willikens wiederholt gewagt – scheint konsequent. Aber nur wenige Künstlerinnen und Künstler gehen ihn. „Immerhin aber angesehene und gefragte“, sagt Walter Grasskamp, „denken Sie nur an Katharina Grosse, Gerhard Merz oder Palermo“. Ist der Schritt nicht gleichwohl schwierig? „Im 19. Jahrhundert“, sagt Grasskamp, „war es ehrenvoll und üblich, Aufträge für wandfeste Malereien anzustreben und zu erledigen. Heute sind bewegliche Bilder gefragter und für alle Beteiligten – Künstler wie Käufer, Sammler wie Spekulanten – auch wesentlich günstiger, wobei sie immer öfter wandgroß ausfallen.“ Und Grasskamp macht deutlich: „Ein Unternehmen wie das im Leipziger Kunstmuseum fest installierte Deckenbild von Ben Willikens ist ohne einen Förderer wie Siegfried Weishaupt sowieso kaum finanzierbar, am allerwenigsten von den Museen selber.“

Walter Grasskamp und Ben Willikens

Walter Grasskamp und Ben Willikens

Walter Grasskamp zählt seit den 1980er Jahren zu den wichtigsten deutschen Publizisten zur internationalen Gegenwartskunst. Seit 1985 Professor für Kunstwissenschaft in Münster und Aachen, ist er 1995 bis 2016 Ordinarius für Kunstgeschichte an der Kunstakademie in München. Zu seinen wichtigsten Büchern zählt der Band „Das Kunstmuseum. Eine erfolgreiche Fehlkonstruktion“. Der Band „Willikens“ (Herausgeber: Siegfried Weishaupt) ist für 49,80 Euro im Buchhandel erhältlich.

Ben Willikens arbeitet nach seinem Studium an der Kunstakademie Stuttgart in London und Florenz. Die erste umfassende Ausstellung konzipiert Götz Adriani 1975 für die Kunsthalle Tübingen. International bekannt wird er 1977 mit seiner ganz auf den Raum konzentrierten Version des Leonardo-Gemäldes „Abendmahl“.

Die Ausstellung „Denkräume“ in der Fritz-und-Hildegard-Ruoff-Stiftung in Nürtingen (Schellingstraße 12) wird an diesem Sonntag um 11 Uhr eröffnet. Ben Willikens wird anwesend sein. Zu sehen ist die Schau bis zum 2. Juli (Do 15 bis 18 Uhr und So 14 bis 18 Uhr). „Ich freue mich“, sagt Hildegard Ruoff, Leiterin der Stiftung, „auf besondere Akzente in Willikens’ Schaffen“. „Der Maler ist auch als Fotograf zu erleben“, sagt Ruoff. Zudem bietet die Ausstellung eine Premiere: Erstmals sind öffentlich Arbeiten aus der „Winterbilder“-Serie zu sehen – „ganz überraschende Aquarelle, die auch die Landschaft zum Denkraum machen“, so Ruoff.