Wo kommen die Verben her? Foto: StN

„Bei der Konstruktion: ‚I han helfa butzt‘ beziehungsweise ‚Du soddsch oofanga senga‘ bin ich immer davon ausgegangen, dass ‚helfa‘ bzw. ‚oofanga‘ hier adverbiale Konstruktionen sind, zu übersetzen etwa mit ‚helfenderweise‘, ‚beginnenderweise‘. Stimmt das, oder sind es Infinitive oder gar verkümmerte Vergangenheitsformen des Verbs?“

Stuttgart - „Bei der Konstruktion: ‚I han helfa butzt‘ beziehungsweise ‚Du soddsch oofanga senga‘ bin ich immer davon ausgegangen, dass ‚helfa‘ bzw. ‚oofanga‘ hier adverbiale Konstruktionen sind, zu übersetzen etwa mit ‚helfenderweise‘, ‚beginnenderweise‘. Stimmt das, oder sind es Infinitive oder gar verkümmerte Vergangenheitsformen des Verbs?“ – Dies schreibt Birgid Weller aus Winnenden und führt uns damit in ein besonderes Gebiet der schwäbischen Grammatik.

Wenn wir diese Beispielsätze analysieren, stellen wir fest, dass jeweils zwei Verben nebeneinander auftreten, wobei wir wissen, dass in einem Satz nur ein Verb vorkommen kann, es sei denn ein weiteres Verb wird mit „und“ beziehungsweise „oder“ in den Satz aufgenommen. Untersuchen wir den Satz „Du soddsch oofanga senga“. Welches ist hier das unbedingt erforderliche Verb, „oofangå“ oder „sengå“? Eindeutig „sengå“, denn das sollte die andere Person tun, „oofangå“ weist nur darauf hin: „Jetzt ist es (höchste) Zeit anzufangen“; das Verb „oofangå“ wird hier rein adverbial gebraucht. Zur Erklärung: Das Adverb, auch als Umstandswort bekannt, hat die Aufgabe, die im Satz genannten Umstände näher zu bezeichnen.

Zum Wort „oofangå“ ist zu bemerken, dass nach der phonetischen Schreibweise in Fischers Schwäbischem Wörterbuch die Sprechweise „õfangå“ dem fränkischen Dialekt angehört, im schwäbischen Sprachraum heißt es „ãfangå“. Dieser Hinweis ist in diesem Zusammenhang auch deshalb von Bedeutung, weil in der Bemerkung „Etz soddåsch åfangå ãfangå“ die unterschiedliche Sprechform für die beiden „anfangen“ zum Ausdruck kommt: während das Verb „ãfangå“ mit einem gedehnten nasalen „ã“ für „an“ gesprochen wird, weil die Betonung auf diesem „ã“ liegt, so liegt die Betonung bei „åfangå“ auf der Silbe „fang“, der sogenannte Indifferenz- oder Schwalaut „å“ am Anfang wird grundsätzlich kurz und unbetont gesprochen, teilweise sogar weggelassen: „Däår konnt fangå äwl z’schbòt.“

In unserem Schwäbisch können wir noch einige dieser außergewöhnlichen Raritäten anbieten. So kann auch das Verb „anheben“, gesprochen „ãhebå“, das neben der Bedeutung „anhalten“ auch für „anfangen“ steht, in dieser Funktion auftreten. „Dess gòht-mr åhebå z’weit“ zeigt die Betonung auf der Silbe „heb“ aufgrund des kurzen und unbetonten „å“ am Anfang. Beide Wörter „åhebå“ wie „åfangå“ werden für „endlich, allmählich“ verwendet.

In diese höhere Loge hat es auch das Wort „gehen“, gesprochen „gãõ“, gebracht. „Dò kêêt-s gãõ glei noo haglå.“ Hier steht das adverbiale „gãõ“ für „wohl, jetzt, bald, demnächst, allmählich, am Ende gar“. „Etz wuud-s gãõ nemme lang mit-åmm gãõ“ – eine Aussage, die „das endgültige Gehen“ deutlich vorhersagt. Birgid Weller führt auch das Verb „helfen“ an. Dazu ein Beispiel mit adverbialer Verwendung: „Hilf-mr ao hälfå schbiålå!“ „So ond etz isch Schluss, i muåss gãõ gãõ!“ Der schwäbische Spruch des Tages kommt von Edgar Bauer aus Welzheim. Er verbindet damit eine Frage: „Meine Mutter und meine Dote sagten früher immer wieder folgenden Spruch – leider weiß ich nicht aus welchem Anlass: ,D’ Zeit vergôht, ’s Licht verbrennt, ond da Mâ stirbt et.‘ Unter Licht versteht man hier Kerzen, die früher teuer waren und deshalb sparsam verwendet wurden. Wer aber kennt den Hintergrund des Spruchs? Meines Wissens nach war er nicht so ernst gemeint, wie er sich anhört.“ Bei dieser Gelegenheit ein Hinweis aus der „Auf gut Schwäbisch“-Redaktion: Erfreulicherweise erreichen uns weiterhin viele Zuschriften, in denen uns Leserinnen und Leser nach der Herkunft und Bedeutung bestimmter schwäbischer Begriffe fragen. In Zusammenarbeit mit unserem Sprachforscher Roland Groner arbeiten wir diese nach und nach ab und veröffentlichen die Ergebnisse jeweils montags in „Auf gut Schwäbisch“.