Unter hier lebenden Juden herrscht Verunsicherung Foto: dpa

Der Gaza-Konflikt schlägt Wellen bis nach Baden-Württemberg und in die Landeshauptstadt, wo an diesem Freitag 2500 Menschen gegen die israelische Politik demonstrieren wollen.

Der Gaza-Konflikt schlägt Wellen bis nach Baden-Württemberg und in die Landeshauptstadt, wo an diesem Freitag 2500 Menschen gegen die israelische Politik demonstrieren wollen.

Stuttgart/Berlin - Der Protest ist massiv. In den kommenden neun Tagen sind allein in Baden-Württemberg acht Kundgebungen gegen das israelische Vorgehen im Gazastreifen geplant. Die Schauplätze: zweimal Stuttgart, Mannheim, Waldshut-Tiengen, Tuttlingen, Heilbronn, Haigerloch, Ulm. Das führt unter den in Baden-Württemberg lebenden rund 8300 Juden zu massiver Verunsicherung. Nicht dass demonstriert wird, beunruhigt sie, sondern wie.

„Wir sind ein freies Land und jeder hat das Recht im Rahmen der Gesetze zu demonstrieren“, sagt Barbara Traub, Vorstandssprecherin der Israelischen Religionsgemeinschaft Württemberg unserer Zeitung. Allerdings werde bei diesen Gelegenheiten zum Teil „extrem emotional reagiert. Leider kippt die Reaktion dann häufig um ins vollkommen Irrationale wie Hasstiraden, im Extremfall gar Volksverhetzung oder Aufrufe zum Mord an Juden“, sagt Traub. Durch die aufgeladene Stimmung fühlten sich diejenigen die Kippot tragen – die traditionelle jüdische Kopfbedeckung – stark verunsichert.

Johannes Heil, Leiter der Jüdischen Hochschule in Heidelberg, an der rund 160 Studenten eingeschrieben sind, bestätigt diesen Eindruck. „Es haben schon vor den Demos viele Juden in Deutschland gezögert, öffentlich die Kopfbedeckung zu tragen – dieses Gefühl hat sich jetzt noch verstärkt“, sagte er. Als Jude fühle man sich angesichts der Demonstration persönlich ausgegrenzt und habe Angst, „weil man nicht weiß, was passiert, wenn man in die Hände dieses Mobs fällt“.

Insbesondere die Tonlage macht der jüdischen Gemeinde Sorge – wie etwa bei einer Demonstration am vergangenen Samstag in Mannheim mit rund 4500 Teilnehmern. Die Polizei registrierte dort zwar keine besonderen Vorkommnisse. Allerdings wurden nach Polizeiangaben Parolen skandiert wie „Israel Kindermörder“. Der Leiter der Jüdischen Hochschule hält das für hochproblematisch: Wenn unfriedliche Parolen gerufen werden, stelle sich die Frage, ob man von einer friedlichen Demonstration sprechen könne: „Ich würde sagen, die Mannheimer Demo war gewaltlos – aber nicht friedlich.“

Der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, kritisierte derweil scharf die angekündigten sogenannten Al-Kuds-Demonstrationen gegen Israel. „Bei den Demonstrationen werden jedes Jahr unter dem Deckmantel von angeblichen Solidaritätsbekundungen für die Palästinenser antisemitische Hassparolen verbreitet, die Vernichtung Israels gefordert und der Holocaust geleugnet“, sagte Özdemir. Dies habe nichts mit berechtigter Kritik an Israel zu tun, sondern mit Rassismus, Fundamentalismus und Verherrlichung von Terrorismus. „Der Al-Kuds-Tag ist Hass pur“, ergänzte er. Wer tatsächlich Frieden im Nahen Osten wolle, der müsse sich die Mühe machen, die Verantwortung beider Seiten zu betrachten. Am heutigen Freitag wollen Islamisten anlässlich des Al-Kuds-Tag in einem Aufmarsch durch Berlin ziehen.

Zugleich richtet sich der Blick auf Stuttgart, wo an diesem Freitag rund 2500 Menschen unter dem Motto „Stoppt den Krieg in Gaza – Freiheit für Palästina“ gegen die israelische Politik demonstrieren wollen. Um 16.30 Uhr ist eine Kundgebung auf dem Schlossplatz geplant, danach folgt gegen 17.30 Uhr ein Protestzug durch die Innenstadt. Die Abschlusskundgebung findet wieder auf dem Schlossplatz statt. Veranstalter ist die „Palästinensische Gemeinschaft in Deutschland“ (PGB), unter deren Dach sich nach Angaben eines Sprechers der Stuttgarter Polizei verschiedene Gruppierungen zusammengefunden haben.

Laut Verfassungsschutz weist die PGB Verbindungen zur islamistischen Hamas auf, der in Deutschland etwa 300 Personen zugerechnet werden. „Aus diesem Umfeld finden in Deutschland regelmäßig – ohne größere Zwischenfälle – Demonstrationen statt“, teilte ein Sprecher des Verfassungsschutzes unserer Zeitung mit. An den jüngsten antiisraelischen Demonstrationen hätten sich auch andere islamistische Gruppierungen beteiligt. „Zudem haben sich in der vergangenen Woche mehrere Rechtsextremisten Demonstrationen unter dem Motto ,Freiheit für Palästina‘ angemeldet, so der Sprecher. Aus dem linksextremistischen Spektrum seien dagegen bisher nur vereinzelt Personen im Umfeld der Demonstrationen aktiv.

Die Stuttgarter Polizei ist nach eigenen Angaben an diesem Freitag mit mehreren Hundert Beamten im Einsatz. Auch Dolmetscher und ein Staatsanwalt sind dabei. Zwar rechne man nicht mit Problemen, sagte der Sprecher, man achte jedoch darauf, ob zu Straftaten aufgerufen werde. Generell gelte seit Ausbruch der Kriegshandlungen in Gaza auch in Stuttgart eine erhöhte Aufmerksamkeit für israelische Einrichtungen. Wie überall im Land habe man auf die entsprechenden Gebäude „ein Auge drauf“.

Verschärfte Auflagen für die Demonstration in Stuttgart gibt es nicht. „Volksverhetzung ist ohnehin verboten“, sagte ein Sprecher des Ordnungsamts unserer Zeitung. Den Organisatoren habe man klargemacht, dass man in solchen Fällen einschreiten werde. Im Rathaus wird ein reibungsloser Verlauf erwartet: „Wir haben mit den Veranstaltern bisher gute Erfahrungen gemacht.“ Traub lobt Stadt und Land ausdrücklich. sie stünden uneingeschränkt zur jüdischen Gemeinde: „Wir haben ein großes Vertrauen zur Polizei. Wir sind sicher, dass sie die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen trifft.“

Bassam Muqbel, der Vorsitzende der Palästinensischen Gemeinde Deutschland-Stuttgart, tritt derweil den Befürchtungen auf jüdischer Seite entgegen: „Wir protestieren gegen die Angriffe Israels auf Gaza und nicht gegen die jüdische Gemeinde oder Religion“, sagte „Wir haben einen politischen Konflikt und keinen religiösen.“