Eduard Zimmermann, 1972 im Studio von „Aktenzeichen XY“ Foto: ZDF

Vor 50 Jahren hat Eduard Zimmermann „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ erfunden. Die Sendung hat in all den Jahren nichts von ihrer Faszination eingebüßt.

Stuttgart - Die Idee war so einfach wie brillant. Der Journalist Eduard Zimmermann, ein Mann mit schillernder Vergangenheit, war dem Fernsehpublikum Mitte der sechziger Jahre vor allem durch seine Warnungen vor „Neppern, Schleppern, Bauernfängern“ aus der ZDF-Reihe „Vorsicht Falle!“ bekannt. Der Erfolg dieses Formats ließ einen Plan in ihm reifen, der sich, wie Innenminister Thomas de Maizière heute mit Respekt feststellt, als „Weltneuheit“ entpuppte: Zimmermann, der sich in der Nachkriegszeit als Schwarzmarkthändler durchgeschlagen hatte, war überzeugt, dass das Fernsehen der Polizei bei der Suche nach Verbrechern eine große Hilfe sein könnte. Tatsächlich erwies sich „Aktenzeichen XY ... ungelöst“, seit fünfzig Jahren eines der populärsten und dienstältesten Markenzeichen des deutschen Fernsehens, auf Anhieb als Riesenerfolg, und das in jeder Hinsicht: Die Einschaltquote war beeindruckend, die Aufklärungsquote auch; sie liegt bis heute bei vierzig Prozent.

Das Spektrum der Delikte, über die „XY“ berichtet, ist so groß wie die kriminelle Fantasie. Regelmäßige Zuschauer der Sendungen wissen: Die Seele des Menschen kann ein Abgrund sein. In dem wohligen Gruseln, das ein Blick in diese Abgründe mit sich bringt, besteht auch der Reiz der Reihe; die Verbrecherjagd ist ein willkommener Nebeneffekt. Das Konzept ist im Grunde nie variiert worden: Der Moderator, seit 15 Jahren Rudi Cerne, führt in den Fall ein, es folgt ein kurzer Spielfilm, in dem das Verbrechen nachgestellt wird, und dann spricht Cerne im Studio mit dem zuständigen Kripo-Beamten. Selbst das Muster der Filme hat sich kaum gewandelt. Sie orientieren sich heute wie zu Zimmermanns Zeiten an dessen Leitlinien, die ZDF-Intendant Thomas Bellut so beschreibt: „ein hohes Verantwortungsbewusstsein, ein klarer moralischer Kompass und journalistische Sorgfalt“.

Die Gefahr in unmittelbarer Nähe

Die Beiträge rekonstruieren nicht einfach den Tathergang, sondern erzählen stets kleine Geschichten. Die Protagonisten bekommen auf diese Weise mehr Tiefe, so dass man sich besser mit ihnen identifizieren kann. Früher waren diese Filme mitunter unfreiwillig komisch, weil die engagierten Darsteller zwar eifrig, aber nicht besonders talentiert waren. In dieser Hinsicht hat sich vielleicht am meisten verändert. Die Beiträge stammen zum Teil von versierten Krimiregisseuren; sie mögen immer noch nicht filmpreisreif sein, sind aber handwerklich sehr solide. Aus der Sicht des BKA-Präsidenten Holger Münch ist ohnehin wichtiger, dass die Würde der Beteiligten gewahrt bleibt. Ähnlich wie de Maiziére würdigt auch er die Leistung des 2009 verstorbenen Zimmermann als „bahnbrechende Pionierarbeit“. Der Innenminister ist Schirmherr des seit 2002 vom ZDF und der Produktionsfirma Securitel vergebenen „XY“-Preises. Die Auszeichnung, an deren Juryarbeit auch das Bundeskriminalamt mitwirkt, honoriert laut Münch „Zivilcourage, Verantwortungsbewusstsein und Hilfsbereitschaft.“

Aktenzeichen XY“ war seinerzeit das erste „Reality“-Format im deutschen Fernsehen. Anders als heutige Sendungen dieses Genres, mit denen etwa RTL und Sat1 („Betrugsfälle“, „Auf Streife“) ihr Nachmittagsprogramm bestreiten, stellt die Reihe dank der authentischen Fälle eine Art Bedrohung der eigenen Lebenswelt dar: Weil die Beiträge stets suggerieren, die Gefahr befinde sich in unmittelbarer Nähe. Das bestätigt auch die Redaktionsleiterin Ina-Maria Reize-Wildemann: „Die bei uns gezeigten Verbrechen spielen sich gewissermaßen vor der eigenen Haustür ab; was wir zeigen, könnte theoretisch jeden treffen. Andererseits öffnen wir ein Fenster in eine Welt, die dem Zuschauer normalerweise verborgen bleibt und vor der man sich eigentlich fürchtet.“ Über die Auswahl der vorgestellten Fälle entscheiden jedoch andere Kriterien: „Es kommen ausschließlich schwere Verbrechen in Frage. Reine Diebstahldelikte zum Beispiel sind für uns meist nicht von Interesse.“ „XY“ stelle zudem nur Fälle vor, bei denen die Polizei „alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ausgereizt hat und nun auf die Unterstützung der Öffentlichkeit setzt“. Bei der Umsetzung arbeitet die Redaktion eng mit den zuständigen Ermittlern zusammen.

Mehr als fünf Millionen Zuschauer

Kritik am Konzept der Sendung oder der Kooperation zwischen öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Ordnungshütern gibt es überhaupt nicht mehr. Das war vor fünfzig Jahren, als es in der Republik ohnehin brodelte, ganz anders, wie sich der stellvertretende ZDF-Programmdirektor Reinhold Elschot erinnert: Damals sei die Sendung „Gegenstand eines wahren Kulturkampfes“ gewesen; die Kritiker hätten in ihr „einen Pranger und ein Instrument des Polizeitsaats“ gesehen. Dem Erfolg tat das keinen Abbruch: In jenen Jahren, als die meisten Haushalte nur drei Programme empfingen, hatte die Reihe bis zu 18 Millionen Zuschauer. Heute sind es immerhin noch regelmäßig über 5 Millionen; das ZDF hat mit „Aktenzeichen XY“ mehr Erfolg als mit so manchem Fernsehfilm.