Die Waisenhäuser waren überfüllt und verdreckt, die Lebensumstände unwürdig. Anfang der

Die Waisenhäuser waren überfüllt und verdreckt, die Lebensumstände unwürdig. Anfang der 90er Jahre wurden rumänische Kinder durch Adoptionen erlöst - so schien es. Doch was tatsächlich aus ihnen wurde, ist ungewiss. Die Befürchtung: Viele könnten in Händen von Menschenhändlern gefallen sein.

Von Andreea Pocotila

und Dan Alexe

BUKAREST. Als die Zwillinge Zoe und Mikaela Radford im Jahr 1991 in einer Entbindungsstation der kleinen rumänischen Stadt Puciosa von ihren leiblichen Eltern zurückgelassen wurden, waren sie erst wenige Tage alt. Sie wurden adoptiert und zogen mit ihren Pflegeeltern nach Kanada - heißt es. Der kleine Jonathan Yourtee wurde wohl von seinen Eltern in einem Krankenhaus in Constanta abgeliefert. 1991 übernahm ihn eine Familie aus den Vereinigten Staaten. Später adoptierten die neuen Eltern auch Jonathans Bruder Matthew. 1995 verließ er die Heimat, der Zielort ist unbekannt.

Vergeblich haben Reporter der rumänischen Zeitung "Romania Libera" versucht herauszufinden, was aus Zoe und Mikaela, Jonathan und Matthew wurde. Sie sind nur vier von Tausenden Fällen, von denen keiner weiß, wie sie schließlich aufwuchsen und wo genau sie leben. Heute müssten sie junge Erwachsene sein - Rumäniens vergessene Kinder, die nach dem Zerfall des Kommunismus vor über 20 Jahren aus den überfüllten Waisenhäusern des Landes verschwanden. Damals wurde der Handel mit den Kindern zum internationalen Geschäft.

Jeder konnte sich in Rumänien ein Kind "abholen", wenn er wollte. Ohne großen bürokratischen Aufwand und lange Wartezeiten, wie es sonst bei Adoptionen der Fall ist. Sobald die Kinder die rumänische Grenze hinter sich gelassen hatten, verloren sich jedoch ihre Spuren. Nicht wenige, so steht zu fürchten, könnten in die Hände von Menschenhändlern gefallen und zur Prostitution gezwungen worden sein.

Der einzige Weg, über den Verbleib der Kinder Auskunft zu erhalten, führt über die Bezirksgerichte und die Waisenhäuser. Jede Adoption musste von einem Richter des Verwaltungsbezirks genehmigt werden, zu dem das jeweilige Waisenhaus gehörte. "Wenn Sie Auskunft über ein bestimmtes Kind haben wollen, sollten Sie wissen, in welcher Stadt es zur Welt kam. Dann gehen Sie zum entsprechenden Gericht und bitten um Erlaubnis, Einsicht ins Archiv zu nehmen", erklärt Gabriela Petrescu, Generalsekretärin des rumänischen Adoptionsamts.

Doch auch dann sind die Chancen, mehr über das Schicksal eines Verschwundenen zu erfahren, äußerst gering. Vor dem Jahr 1997 wurden nämlich keine Namen, sondern nur Zahlen adoptierter Kinder erfasst.

Genau 16 041 Fälle sollen es zwischen 1990 und 1997 gewesen sein. Doch die offizielle Zahl der Kinder, die in den 1990er Jahren zur Adoption freigegeben wurden und mit ihren neuen Eltern das Land verließen, spiegelt ein exaktes Wissen vor, das es nicht gibt. Theodora Bertzi, früher als Staatsekretärin zuständig für das Adoptionsamt, wundert sich: "Die Adoptionen wurden zu dieser Zeit nicht zentral erfasst, es kann keine genauen Zahlen geben. Ich schätze, dass es mindestens 30 000 waren, die zwischen 1991 und 2001 in Rumänien adoptiert wurden." Tausende würden also in den offiziellen Statistiken gar nicht erscheinen. Ana Muntean, Professorin an der Universität von Timisoara, hat mit ihrem Team die Adoptionspraxis der 90er Jahre untersucht, allerdings nur die nationalen Fälle. Was die internationalen anlange, gebe es konkrete Hinweise auf organisierte Kriminalität, sagt Muntean. "Ein amerikanischer Psychologe hat mir berichtet, dass es damals auf den Fluren des Interconti-Hotels in Bukarest einen regelrechten Handel mit Kindern gab."

Die schlechte Informationslage wirkt sich auch in umgekehrter Richtung aus: Die Kinder - selbst wenn sie von wohlmeinenden Adoptiveltern in Obhut genommen wurden - können nur in Ausnahmefällen ausfindig machen, wo sie einst herkamen. "Diese Kinder haben keinen Zugang zu ihrer Herkunft", sagt Nigel Cantwell von der Organisation Defence for Children International. "Das ist eine Verletzung ihrer verbrieften Menschenrechte!" Die Haager Konvention zum Schutz von Kindern verpflichtet Staaten, hinreichende Daten über Abstammung und Herkunft von Kindern festzuhalten. Was aus Zoe und Mikaela Radford wurde, könnte also für immer ungeklärt bleiben.