Mehr Verkehr auf die Schiene. Das gilt auch für Pendler, die

Mehr Verkehr auf die Schiene. Das gilt auch für Pendler, die in Ballungsräumen mit ihrem Auto täglich im Stau stecken. Pforzheim und der Enzkreis haben beim Kampf um die knappen Finanzmittel für den Nahverkehr inzwischen Tickets erster Klasse bei der Landespolitik gelöst.

Von Frank Schwaibold

STUTTGART. Der Spieltrieb stirbt nie. Auch Gert Hager ist im Grunde ein Junge geblieben. "Vor Ihnen sitzt ein alter Hobby-Eisenbahner", hat der parteilose Pforzheimer OB in lockerer Runde schon mal seiner Lokalzeitung anvertraut. Größere Ambitionen in Sachen Bahn hätte der Mann ansonsten kaum - zumal frühere Stadtbahnpläne schon unter seiner Vorgängerin Christel Augenstein (FDP) jahrelang in der Schublade verstaubten. Wenn da nicht ganz andere Politgrößen in Pforzheim was zu sagen hätten - im Gegensatz zu Hager weit über die Grenzen der Schmuckstadt hinaus bekannt.

Denn dort sind auch der neue Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) und der Fraktionschef der Landtags-FDP, Hans Ulrich Rülke, zu Hause. Die beiden einflussreichen Landespolitiker im Südwesten haben eine Vision: Sie träumen von einer Stadtbahn in ihrem Wahlkreis, die von Pforzheim in den Enzkreis hinein bis nach Ittersbach fährt. Sollte ihnen dieser Coup gelingen, wäre das für sie wahrlich kein Schaden. Die nächste Landtagswahl steht 2011 vor der Tür.

Also drückt man in der Goldstadt mächtig aufs Tempo. Der Journalist und Sprecher der CDU-Kreistagsfraktion, Günther Bächle, mahnt zur Eile, weil "die Förderung nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz in der jetzigen Form 2013 ausläuft". Der Landeschef des ökologisch orientierten Verkehrsclubs Deutschland (VCD), Matthias Lieb, macht ebenfalls Dampf. Ein Gesamtkonzept mit 15-Minuten-Takt, neuen Haltepunkten und einer neuen Strecke nach Ittersbach müsse rasch aufbereitet werden. Denn das Konzept soll unbedingt noch im neuen Generalverkehrsplan des Landes aufgenommen werden, dessen Verfasser momentan letzte Hand an "die Bibel der Verkehrsplanung" anlegen.

Schließlich gibt es jede Menge Konkurrenz in den Nachbarregionen. In Stuttgart ist seit zwei Jahren eine Debatte über eine Stadtbahn von Markgröningen bis mindestens Ludwigsburg, noch besser aber weiter über Remseck bis nach Waiblingen aufgekommen. Es wäre wahrscheinlich das wichtigste Landesprojekt im Nahverkehr auf der Schiene. Aber die Planungen stocken - unter anderem, da ein neuer Gutachter gefunden werden musste. Die mit den ersten Studien beauftragte Switch Transit Consult GmbH, an der auch die Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) mit 49 Prozent beteiligt sind, wurde im Sommer 2009 auf Betreiben ihres Mehrheitsgesellschafters liquidiert. Im Raum Tübingen und Reutlingen dagegen wird schon in Kürze das Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Berechnung für eine Regionalstadtbahn Neckar-Alb erwartet.

Wer das Rennen um die Fördertöpfe von Bund und Land macht, ist offen. Nur eines ist klar: Es werden nicht alle bedient. Angesichts der hohen Staatsverschuldung ist dies so sicher wie das Amen in der Kirche. Auch wenn man nicht gleich so skeptisch sein muss wie Matthias Lieb. Der VCD-Landesvorsitzende prophezeit: "Wegen Stuttgart 21 gibt es in den nächsten zehn Jahren kein einziges Stadtbahnprojekt in Baden-Württemberg." Ein Geschäftsführer eines württembergischen Verkehrsunternehmens meint dagegen: "Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst." Zumindest politisch sieht der Experte die Pforzheimer am besten aufgestellt. "Das ist das neue Machtzentrum im Land", schätzt er die Lage ein. Nicht nur wegen Mappus und Rülke. Auch der verkehrspolitische Sprecher der Landtags-CDU, Winfried Scheuermann, ist ein Vertreter des Enzkreises, ebenso die ehemalige SPD-Chefin Ute Vogt, und auch VCD-Chef Lieb hat dort seine Wurzeln.

Allerdings ist dies nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist die Kosten-Nutzen-Berechnung. Und da sehen die Pläne für eine Stadtbahn von Markgröningen nach Waiblingen voraussichtlich deutlich besser aus als in Pforzheim. Der Gutachter Switch fand heraus, dass auf der möglicherweise bis zu 26 Kilometer langen Tangentialstrecke durch die Region Stuttgart jährlich sechs Millionen Fahrgäste unterwegs sein dürften. Pro Tag, so die Prognose, könnten dann bis zu 6000 neue Fahrgäste vom Auto auf die Bahn umsteigen.

Im täglich vom Verkehrskollaps heimgesuchten Nordosten von Stuttgart käme dies einem Befreiungsschlag gleich. Zumal sich beim Ausbau des Straßennetzes keine vernünftige Lösung abzeichnet. Allerdings wird das Stadtbahnprojekt - je nachdem, ob in Remseck, Waiblingen oder gar erst in Fellbach Endstation ist - zwischen 160 und 210 Millionen Euro kosten.

Ein Verfechter dieser Stadtbahn-Tangentiale ist der Ludwigsburger Landrat Rainer Haas. "Der derzeitige Schienenpersonen-Nahverkehr in der Region leidet sehr unter der sternförmigen Ausrichtung auf Stuttgart", sagt er. Es fehle eine "Circle line" wie in London - also ein Ringschluss auf der Schiene rund um die Landeshauptstadt.

Inzwischen sind sich alle Beteiligten einig, dass die Tangentiale sinnvoll wäre. Doch es ist schon viel Zeit auf der Strecke geblieben. Landrat Haas spricht von einer "mangelnden Begeisterung in der Vergangenheit in Ludwigsburg und Möglingen", die man inzwischen aber "glücklicherweise überwunden hat". Dazu kommt: Nachdem der Gutachter Switch den Betrieb eingestellt hat, konnte erst im Dezember 2009 die Firma Intraplan Consult GmbH/BPR mit den weiteren Untersuchungsschritten beauftragt werden.

Pikant: Intraplan soll im Gegensatz zu Switch statt der sperrigen SSB-Stadtbahnzüge andere Fahrzeugtypen, die wie Slalomfahrer für die engen Kurvenradien geeignet sind, ins Gespräch gebracht haben. Die Ergebnisse der aktuellen Untersuchung sollen offiziell erst nach den Sommerferien vorliegen. Erst danach soll die sogenannte standardisierte Bewertung folgen.

Da ist man in der Region Neckar-Alb wesentlich weiter. Hier ist diese Bewertung bereits kurz vor dem Abschluss. Sie ist Voraussetzung, um an die Fördergelder von Bund und Land zu kommen. Zudem hat die Region mit dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer und dem Vorsitzenden des Verkehrsausschusses im Bundestag, Winfried Hermann (Grüne), ebenfalls zwei gewichtige Fürsprecher und Bahnexperten in ihren Reihen.

Dazu kommt: Der neue SPD-Landesvorsitzende Nils Schmid tritt bei der nächsten Landtagswahl nicht mehr für den Wahlkreis Nürtingen an, sondern für Reutlingen. Prompt hat ihm die Tübinger SPD-Kreischefin Dorothea Kliche-Behnke zum Jahresbeginn gesagt, was die Region Neckar-Alb von ihrem künftigen Abgeordneten erwartet. "Wir brauchen die Stadtbahn", rief sie Schmid unmissverständlich zu. Zumal Ex-Regierungschef Günther Oettinger (CDU) bei den Reutlingern und Tübingern im Wort steht: "Wir wollen das Projekt stufenweise in den nächsten Jahren über die Rampe bringen", hatte er einst versprochen.

Beim Ringen um künftige Stadtbahnprojekte im Land ist also Tempo und politischer Einfluss gefragt. Auf beiden Feldern muss die Region Stuttgart mächtig aufpassen, damit sie nicht von benachbarten Regionen abgehängt wird.