Denkmalschutz liebt Grau und verhindert Kunstaktion - dabei wird der Tunnel bald abgerissen.  

Stuttgart - Offenbar hängt alles, was mit Stuttgart 21 zu tun hat, in einer Warteschleife. Nicht nur der Bahnhof lässt auf sich warten. Auch Künstler, die Freiräume nutzen wollen, die das Projekt bietet, werden gebremst. Einen rosa Tunnel wollen sie der Stadt bescheren, doch die sagt: Nein! Grau ist schöner!

Die Stadt, die immer baut, tut sich schwer mit Brachen. Klar, es ist wenig Platz im gottgegebenen Amphitheater, der Grund ist teuer, die Leute suchen Wohnungen, die Geschäftemacher Büros. Geld gibt's mehr als Platz. So hat sich in Stuttgart ein Verständnis entwickelt, dass Kunst vor allem Geld brauche. Das Staatstheater Stuttgart bekommt gut 72 Millionen Euro im Jahr von Stadt und Land. Zum Vergleich: Das sind in zehn Jahren 720 Millionen Euro, fast so viel wie Stuttgart 21 das Land kostet. Doch manche wollen gar keine Subventionen. Statt Geld brauchen sie Platz und Wohlwollen.

Pop-up - Kunst soll in der Stadt aufpoppen

Solche gibt es in der Tat. Statt wie früher nach Berlin auszuwandern, bleiben sie mittlerweile hier. Und wollen ihre Stadt gestalten, Freiräume ausloten. Wie Demian Bern, Helmut Dietz, Pablo Wendel und Kestutis Svirnelis. 2007 haben sie sich in der Marienstraße 15 eingemietet, den "Interventionsraum" geschaffen. Mit Schauraum im Erdgeschoss und Ateliers im ersten Stock. Als im Quartier zwischen Paulinenbrücke, Tübinger Straße, Sophienstraße und Marienstraße, das bald Gerber heißen soll, im Frühjahr die Bagger auffuhren, entwickelten sie den "Utopia Parkway", einen Abenteuerspielplatz für Künstler. Aus aller Welt kamen sie, tobten sich dort aus, zeigten ihre Werke, spielten mit dem Ort. Einige Wochen lang. Während anderswo vermeintlich Kreative um Steuergeld und Bestandsschutz betteln, war für Dietz klar: "Das hier ist auf Zeit. Sobald es etabliert ist, ist es nicht mehr interessant." Man zieht weiter. Das ist für Beamte immer noch schwer zu glauben. Zwar hat sich viel getan, hat sich mittlerweile auch im Rathaus ein Bewusstsein entwickelt, dass Kunst nicht immer staatstragend sein muss, dass sie eine Stadt prägen kann, sie spannend macht. Doch den jährlichen Scheck zu überweisen ist einfacher, als in der Bürokratie Schneisen zu schlagen ins Gesetzesdickicht. Mit Brandschutzverordnungen und Fluchtwegen lässt sich jedes Projekt stoppen. Oder mit dem Denkmalschutz.

So wie es gerade David Baur, Philipp Dittus und Markus Nießner erleben. Sie wollen ihre Stadt verzieren, mit ihr spielen. Und den Tunnel über der Wolframstraße rosa streichen. 2008 haben sie gemeinsam mit Lukas Lendzinski und Peter Weigand ein Gelände beim Ufa-Kino auf Zeit urbar gemacht. Sie bauten Container auf und eine Plattform, errichteten ein kleines Freibad, Autoren lasen, Künstler musizierten oder stellten Skulpturen aus. Nach vier Wochen verschwanden sie wieder.

Pop-Up hieß dieses Projekt, "weil Kunst überall in der Stadt aufpoppen soll". Liebend gerne auch auf dem Stuttgart-21-Gelände. Da haben sie keine Berührungsängste. "Ideen haben wir genug", sagt David Baur. "Wir wollen mitgestalten, kreativ mit diesem Prozess umgehen", ergänzt Lendzinski, "eine Stadt wird sich immer verändern, die Frage ist: Was machen wir daraus?" Aufs Gelände dürfen sie bisher nicht, doch bei einer Heimfahrt im Taxi am frühen Morgen kamen sie auf die Idee mit dem rosa Tunnel.

"Ein rosa Tunnel kann nur privat sein"

"Anstelle eines grauen, lebensfeindlichen Tunnels tritt dann ein surrealer Zustandsraum, der aufs Einfachste die Lebensqualität hebt." Oder um's einfacher zu sagen: "Öffentlicher Raum wird privater Raum. Denn ein rosa Tunnel kann nur privat sein." Und siehe da: Die Bahn macht mit. Die Stadt in Teilen auch. An zwei Wochenenden muss der Tunnel fürs Malen gesperrt werden. Das sei kein Problem. Vom Maler Kauderer gibt's die Farbe, das Gerüst ist organisiert, Freiwillige zum Streichen gibt's auch. Rosa Aussichten also? Von wegen. Zwar ist das Umleiten des Verkehrs kein Problem, doch die Denkmalschützer lieben es Grau. "Wir sollen den Tunnel nach der Aktion wieder Grau streichen", sagt David Baur, "obwohl er in einigen Jahren abgerissen wird, das ist doch widersinnig." Die Stadt fordere nun eine Bankbürgschaft über 35000 Euro, so viel solle der graue Anstrich kosten.

"Wir sind drei Jahre an dieser Geschichte dran", sagt Baur, "haben alles beieinander, nun wirft man uns Knüppel zwischen die Beine. Da hatte es Christo mit dem Einpacken des Reichstags einfacher." Auch für Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann ist das "ein Schildbürgerstreich". Ihr Referat unterstützt das Projekt mit 4000 Euro. "Das ist eine einfallsreiche Aktion", sagt sie, "es ist abstrus, dass Grau denkmalgeschützt sein soll, besonders wenn der Tunnel wegkommt."

Gerne hätte man gewusst, was die Denkmalschützer, der zuständige Amtsleiter Detlef Kron und Baubürgermeister Matthias Hahn dazu sagen. Allein, es kommt kein Rückruf. So geht es auch David Baur. Was insofern ärgerlich ist, weil man sich sonst gerne mit den Kreativen schmückt. Sie arbeiten allesamt in den Wagenhallen, engagieren sich im dortigen Verein. Und als sie jüngst dorthin geladen hatten, um ihre "Ideen für das Gelände" vorzustellen, war auch Oberbürgermeister Wolfgang Schuster gekommen. Natürlich gab's Lob, und gerne möchte man sie auch einbinden beim Planen fürs künftige Rosensteinviertel.

Rosarot soll auf den ehemaligen Gleisfeldern die Zukunft scheinen. Oder wird sie doch betongrau? Die Künstler jedenfalls wollen den Politikern klarmachen, wie wichtig freie Flächen zum Ausprobieren, zum Austoben sind. Platz ist in dieser Stadt nämlich unbezahlbar