Kurswechsel: Links alte Aussagen von Ministerpräsident Kretschmann, rechts seine Aussagen auf dem jüngsten Grünen-Parteitag Foto: dpa

Die Grünen, eine Wirtschaftspartei? Zwischen dem von Ministerpräsident Winfried Kretschmann neu formulierten Anspruch und der Wirklichkeit klafft noch immer eine Lücke, finden Wirtschaftsvertreter im Südwesten. Doch es bewegt sich etwas.

Industrie- und Handelskammer (IHK): Hauptgeschäftsführer Andreas Richter sieht eine positive Entwicklung bei Winfried Kretschmann. Vor seinem Amtsantritt habe er „relativ wenig Berührungspunkte und -möglichkeiten mit Unternehmen gehabt“. Als Ministerpräsident besuche er regelmäßig Unternehmen im Land. „Dass er aus diesen Kontakten Schlüsse zieht und in sein Handeln einbezieht, spricht für ihn.“ Richter sieht auch persönliche Überschneidungen: „Viele Unternehmer sind veritable Persönlichkeiten, die sich Werten verpflichtet sehen.“ Die „Schwingungslage“ zu Kretschmann, der ebenfalls eine starke Werteorientierung habe, „ist nicht so weit entfernt“.

Kretschmanns Bemühungen um die Digitalisierung und Breitbandversorgung findet laut Richter die Unterstützung der Wirtschaft: „Wenn Kretschmann sagt, da müssen wir Konzepte entwickeln, kann man nur sagen, das ist völlig richtig.“ Lob erhält der grüne Ministerpräsident auch für seine Zustimmung zum Asylkompromiss mit der Bundesregierung. Ebenso seine wirtschaftsfreundliche Haltung – und die von Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) – zur anstehenden Erbschaftsteuerreform. „Das steht absolut auf der Habenseite der Regierung“, sagte Richter. Zudem kehre in der Bildungspolitik langsame Ruhe ein.

Insgesamt aber würden die Unternehmen die grün geführte Landesregierung weiterhin sehr kritisch sehen. Das gelte vor allem für die Haushaltspolitik, das Bildungsfreistellungsgesetz und die Verkehrspolitik. Zwar habe man positiv registriert, dass im neuen Doppelhaushalt mehr Mittel für den Landesstraßenbau zur Verfügung gestellt werden: „Aber diese Mittel sind viel zu gering.“ Die entscheidende Frage beim Thema Verkehr sei letztlich: „Kommt genügend Geld nach Baden-Württemberg?“

Kritisch bewertet Richter auch die mittel- und langfristige Energieversorgung, wobei die Weichen in Berlin gestellt würden. Anerkennung zollt der IHK-Hauptgeschäftsführer dem grünen Umweltminister Franz Untersteller: „Die Unternehmen sehen in Untersteller jemanden, der dieses Thema beherrscht und eine hohe Kompetenz hat.“

Ein großes Fragezeichen macht Richter mit Blick auf die Gesamtpartei. Bei den Unternehmen gebe es erhebliche Zweifel, ob es Kretschmann gelingt, seine Positionen stärker in die Grünen zu tragen.

Richters Fazit: „Kretschmann genießt ein Ansehen, das die Wirtschaft einem Ministerpräsidenten immer zubilligt, wenn er keinen Unsinn macht.“ Die grüne Partei stehe bei der Wirtschaft dagegen nach wie vor nicht hoch im Kurs. „Von einer Wirtschaftspartei sind die Grünen noch meilenweit entfernt.“

Landesverband der baden-württembergischen Industrie (LVI): Präsident Hans-Eberhard Koch hält die bisherige Programmatik der Landesgrünen für „alles andere als wirtschaftsfreundlich. Sie hat den Geist der staatlichen Lenkung geatmet. Begriffe wie Wettbewerb, Freiheit und Unternehmertum kamen dort gar nicht vor.“ Jetzt suche Kretschmann den Dialog mit der Wirtschaft. Koch hält Kretschmanns Aussagen nicht für ein taktisches Manöver. „Ich nehme ihm ab, dass er es meint, was es sagt. Ich weiß nur nicht, ob dafür genügend Unterstützung von der Basis bekommt.“ Auf Bundesebene seien die Grünen alles andere als wirtschaftsfreundlich, wie die Debatte um Steuererhöhungen gezeigt habe. Es sei Kretschmann zu wünschen, dass er sich angesichts der Wahlschlappe der Bundes-Grünen mit diesen Plänen in der Partei mehr Gehör verschaffen kann. Begrüßenswert sei auch, dass Kretschmann sich das Ziel setzt, die Digitalisierung der Wirtschaft voranzubringen.

„Diese Aussage zeigt, dass Herr Kretschmann die Bedeutung der Wirtschaft anerkennt.“ Es gelte jetzt, die Landesregierung an ihren Taten zu messen. So sei es wichtig, dass die Energiewende marktwirtschaftlich gestaltet wird. In der Vergangenheit war immer wieder kritisiert worden, dass die hohe Förderung für die Solarstromerzeugung zu einem starken Überangebot an Strom und somit zu überhöhten Förderkosten führt. Auch sei es wichtig, beim Klimaschutz das Rad nicht zu überdrehen – etwa durch extrem niedrige Abgasgrenzwerte für Autos, die nur noch mit enormem Aufwand zu erfüllen seien. Es sei auch wichtig, dass Baden-Württemberg auf die ohnehin hohen Umweltvorgaben der EU nicht noch etwas draufsattelt. Zu begrüßen sei das Signal, dass die Grünen neuen Technologien offen gegenüberstünden. Dies müsse allerdings noch konkretisiert werden. So dürften die Grünen die umstrittene Gasfördermethode Fracking, bei der Erdgas aus tiefen Gesteinsschichten herausgepresst wird, nicht rundweg ablehnen, sondern ihre Haltung von einer Überprüfung im Einzelfall abhängig machen. Es sei auch wichtig, dass die Grünen nicht ausschließlich auf das Elektroauto setzen, sondern auch die erheblichen Sparpotenziale nutzen wollen, die beim Verbrennungsmotor noch erzielbar sind. Wichtig sei überdies, dass die ökologischen Ziele nicht einer ausufernden Bürokratie führen. So gingen die neuen Vorschriften, die bei Neubauten eine Begrünung der Fassaden vorsehen, deutlich zu weit.

Handwerkskammer Region Stuttgart: Hauptgeschäftsführer Claus Munkwitz hält die Grünen im Land für einen „hervorragenden Diskussionspartner. Die Grünen sind bereit, sich zu bewegen.“ So habe man sehr vernünftig über die Frage diskutiert, ob Gemeinden wirklich so stark den privatwirtschaftlichen Betrieben ins Handwerk pfuschen dürfen, um ihre Finanzen aufzubessern. „Kretschmann hört sich an, was die Wirtschaft zu sagen hat, und beschäftigt sich damit.“ Dass er jetzt so offensiv für eine Annäherung an die Wirtschaft eintritt, habe „Schneid“.

Auf der anderen Seite gebe es bei der Partei noch eine große Regulierungswut, die sich auch an den jüngsten Plänen zur Verschärfung von Bauvorschriften zeigen. „Die Vorschrift, überall Fahrrad-Abstellplätze einzurichten, ist übertrieben.“ Das Bauen und die Sanierung von Gebäuden dürften nicht unnötig verteuert werden. Bei den Grünen sei die Staatsgläubigkeit immer noch ausgeprägt. Deshalb sei auch unklar, ob Ministerpräsident Winfried Kretschmann sich mit seinem Kurs in der Partei werde durchsetzen können. „Ob es einen Rückfall in engstirnige Positionen geben wird, kann heute niemand vorhersagen.“