Macht Ski fahren die Natur kaputt? Ja, aber es hat bewirkt auch Gutes Foto: dpa

Skiurlaub gilt als umweltschädlich. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Skiurlaub für alle ist nicht nur eine wichtige soziale Errungenschaft, sondern trägt auch zum Erhalt der Alpenlandschaft bei, so wie die Menschen sie schätzen.

„Skifahren ist die fröhlichste Art, mit den Alpen umzugehen – und die rascheste Methode, sie kaputt zu machen“, so fasste Wolf Schneider, Journalist und passionierter Alpinist, mal das Dilemma zusammen, in dem jeder steckt, der gern auf die Piste geht. Schneider malt die Gegensätze drastisch aus: „Niemand saugt aus den Alpen so viel Vergnügen, Begeisterung, Lebensqualität wie der Millionenschwarm der Skifahrer“ – um nachzuschieben: „Niemand pumpt so viel Geld in die Alpentäler und lässt so viele Bauernherzen lachen.“

Doch gleich kommt erneut die Keule: „Für niemanden sonst werden die Alpen so gründlich und rücksichtslos zementiert, verdrahtet, platt gewalzt und abrasiert. Für die Skifahrer werden Wälder zerschlagen, Hänge quer angesägt, U-Bahnen durch Berge getrieben und Retortenstädte auf Berghänge geknallt.“ Wie wahr. Und dennoch zieht es Winter für Winter Millionen in die Berge. Kann man einfach so weitermachen? Oder müssen alle umdenken?

Klar ist, die Alpen sind unter Druck. So lautet auch das Thema, das der Deutsche Alpenverein derzeit zu einem seiner Schwerpunkte macht. Logisch, dass es dabei auch um Skitourismus geht. Für seine Zeitschrift „Panorama“ interviewte der Verein kürzlich den Wirtschaftswissenschaftler und Wachstumskritiker Niko Paech. Paech fordert Verzicht, auch beim Skifahren: „Das Verständnis von Freizeitgestaltung in Europa muss ein anderes werden. Mit welchem Recht macht man als Norddeutscher einen Skiurlaub pro Jahr? Man kann nicht unser gegenwärtiges Wohlstandsmodell aufrechterhalten“, so der Ökonom von der Universität Oldenburg. Skisportler müssten sich damit abfinden, dass „allein die Anwesenheit in einem wunderschönen Naturraum eine Form der Erholung“ sei. Beim Wandern etwa, das Paech für eine sanftere Form von Tourismus hält.

Doch hat der Forscher recht? Ist Ski fahren nicht mehr zeitgemäß? Hat man als Skitourist nur die Wahl zwischen ökologisch korrekter Abstinenz oder Mittäterschaft an der Alpenzerstörung? Auf den ersten Blick treffen die Zahlen eine klare Aussage: 100 Millionen Touristen kommen jedes Jahr nach Schätzungen der internationalen Alpenschutzkommission Cipra in die Berge, die Mehrzahl im Winter. Das ist viel – vor allem für so ein fragiles Ökosystem wie es die Alpen nun mal sind, auch wenn Gneis und Granit dauerhaft widerstandsfähig scheinen.

Man kann die Zahl aber anders deuten. Dahinter steckt nämlich eine Entwicklung. Als Sir Leslie Stephen 1871 die Alpen zum „Playground of Europe“, zum sportlichen Tummelplatz Europas erklärte, meinte er damit eine winzige Oberschicht, die Zeit und Geld für exklusive Expeditionen hatte. Der Großteil der Menschen musste sich damals ums bloße Überleben kümmern. Insofern bedeutet die heutige Selbstverständlichkeit, mit der man in die Berge reist, einen gewaltigen sozialpolitischen Fortschritt – trotz aller Probleme, die er mit sich gebracht hat.

Unberührte Alpen für die Reichen, während der Rest im Flachland darbt? Das wollen auch die Alpenbewohner nicht. So lange ist es noch nicht her, dass sie ihren Nachwuchs als Schwabenkinder wegschicken mussten, um überleben zu können. Und noch heute werden Familien getrennt.

Der Wirt einer Hütte im Montafon lobte unlängst den Ausbau einer Bergbahn. Klar, denkt man zunächst, weil dann deine Kasse noch mehr klingelt. Aber dann fuhr der Wirt, Vater zweier kleiner Mädchen, fort: „Das erhöht die Chance auf qualifizierte touristische Arbeitsplätze bei uns im Tal. Bisher müssen alle Jüngeren, die etwas werden wollen, raus – und dann sind sie für immer weg.“

Wenn man Skiurlaub beim Bauern bucht und die Gastgeber sehr jung sind, heißt das, dass der Generationswechsel auf dem Hof geklappt hat, dass auch die Jungen durch den Zusatzverdienst im Tourismus eine Chance in der Landwirtschaft sehen – und dass dadurch die Kulturlandschaft der Alpen erhalten werden kann. Das ist nicht selbstverständlich. Einige entlegenere Täler sind schon so entvölkert, dass dort die gesamte Infrastruktur zusammengebrochen ist. Die Natur gebärdet sich dort oft so wild, mit Sturzfluten und Hangrutschen, dass den Nachbarregionen angst und bange wird. Tourismus gilt deshalb auch der Cipra längst als erwünschtes Element in den Alpen. Doch es gibt gewaltige Unterschiede, wie dieser gefüllt wird. Auch im Skitourismus.

Schneekanonen nicht als naturgegeben hinnehmen

Natürlich gibt es Raubbau. Dass Ischgl sich den Piz Gronda als Skigebiet unter den Nagel gerissen und damit Grenzen im Landschaftserhalt eingerissen hat, war ein Rückschlag für alle Naturschützer. Mittlerweile findet sich aber eine erstaunliche Fülle von Ansätzen, den Druck auf die Alpen zu mildern. Es stimmt, dass sie noch nicht Massenwirkung haben. Aber man kann helfen, den Trend zu verstärken. Zum Beispiel, indem man Schneekanonen nicht als naturgegeben hinnimmt. Man könnte stattdessen etwa ins steirische Skigebiet Planneralm fahren. Dort hat man aus dem vermeintlichen Nachteil, keinen künstlichen Schnee zu haben, einen selbstbewussten Standortvorteil gemacht – und wirbt mit 100 Prozent Naturschnee. Nach einem Tag im griffigen Naturschnee merkt man, dass glatt rasierte, vereiste Kunstschneepisten nicht gerade das Optimum sind.

In den Alpen gibt es viele kleinere Skigebiete, die auf Naturnähe setzen – und nicht den Berg unterwerfen. Dort sind dann nicht Hunderte von Pistenkilometern in den Wald geschlagen, kein Großraumparkplatz versiegelt das Tal. Die Hütten sind in Familienhand, Hotels und Pensionen setzen auf Solarstrom und Biomasse- oder Abwasserkraftwerke, und einige Orte verzichten darauf, Salz zu streuen. Stattdessen transportieren etwa in Seefeld in Tirol Pferdekutschen Mensch und Material.

Da laut Studien etwa 70 Prozent der klimarelevanten Treibhausgase in den Alpen durch die An- und Abreise der Touristen freigesetzt werden, lohnt sich die Frage, wohin man fährt, womit und wie lange. Eine Woche am Stück in die Berge zu fahren ist somit ökologischer als dreimal zwei Tage. Und wer mit öffentlichen Verkehrsmittel anreist oder zumindest mit voll besetztem Auto, schont die Umwelt mehr, als jemand, der allein anfährt. Einige Hotelbetriebe bieten den Gästen daher rabattierte Bahntickets an. Andere Dörfer, etwa Zermatt in der Schweiz, sperren den privaten Autobetrieb ganz und setzen Elektrobusse ein.

Somit wird klar, dass nicht nur kleine Skigebiete etwas tun können. Auch ein Mega-Skizirkus wie der Kronplatz in Südtirol hat ökologisch kräftig nachgebessert. Die Bahnlinie im Pustertal hat eine Haltestelle direkt am Gondeleinstieg bekommen. Wer braucht da noch das Auto? Die Wintersportbranche tut wohl generell gut daran, sich umzustellen, um langfristig genügend Touristen an sich zu binden. Denn das Unbehagen am hoch technisierten Skisport steigt.

Und so geht der Trend weg von der Skiarena, hin zu mehr Natur. Langlaufen, Schneeschuhgehen, Winterwandern – all diese Sportarten werden immer beliebter. Am auffälligsten ist der Boom des Skitourengehens. Alpenweit ziehen laut Schätzungen über eine Millionen Tourengeher die Felle auf und legen ihre eigene Spur. An manchen Bergen zieht sich an schönen Tagen eine Karawane den Weg hoch. Wie einst in den 50er Jahren, als Lifte noch selten waren und es Bestandteil eines Skitags war, erst mal den Berg hoch zu stapfen.

Eine Beobachtung an einem schönen Januarsonntag: Im Skigebiet von Davos konnte man direkt in den Lift schwingen, während die Hänge des eigentlich so einsamen Sertigtals voller Tourengeher und auch die Loipen fast schon überfüllt waren. Das deckt sich mit Schätzungen, wonach die Zahl der Pistenfahrer stagniert oder gar leicht rückläufig ist. Unter der Hand berichten Seilbahnmanager, dass etliche Skigebiete finanziell bereits zu kratzen haben. Es schadet also nicht, sich den Markt derer zu erschließen, die auf den ersten Blick nicht das klassische Seilbahnpublikum sind. Etwa die wachsende Gruppe der Winterwanderer.

In Steibis im Allgäu schaufelte der Lift Anfang Januar nicht nur Skifahrer, sondern auch Dutzende Winterwanderer nach oben. Von der Gipfelstation weg zogen ganze Heerscharen auf einem schön verschneiten, präparierten Wegenetz von Berggasthof zu Berggasthof. Auch das ist eine Spielart des Wintertourismus, die immer mehr Orte ausbauen – und die den Bergbahnen so manchen Zusatzgast bringt.

Also: Statt auf Skifahren zu verzichten und womöglich ökologisch auch nicht sehr korrekt in den sonnigen Süden zu fliegen, lohnt es sich, die ökologische Evolution des Wintersports samt dem Skifahren voranzutreiben. Dann wird auch ein so scharfer Kritiker wie Niko Paech wieder versöhnlicher: „Mein Gott, die Alpen ganz ohne Ski sind ja gar nicht denkbar. Es geht mir wirklich nicht darum, diesen Sport schlechtzumachen. Es geht um die Dosis.“