Nachdem das Verfahren jetzt ohne Jörg K. im Gerichtssaal weiterläuft, wurde der Prozess am Donnerstag überraschend vertagt. Foto: dpa

Angeklagter Vater des Amokläufers von Winnenden ist nicht im Gerichtssaal erschienen.

Stuttgart - Der angeklagte Vater der Amokläufers Tim K. ist am Dienstag nicht im Gerichtssaal erschienen. Auf seinen Antrag hin und nach richterlichem Beschluss kann der 51-Jährige seinem Prozess auch künftig fern bleiben. Angehörige der Opfer reagierten tief enttäuscht.

Der Platz auf der Anklagebank ist am Dienstag leer geblieben: Der Vater des Amokläufers Tim K., der am 11.März 2009 in Winnenden und Wendlingen 15 Menschen ermordet und sich am Ende selbst getötet hat, will bei seinem eigenen Prozess nicht länger anwesend sein.

Staatsanwaltschaft geht weiterhin von fahrlässiger Tötung aus

Der 51-jährige Unternehmer und Sportschütze Jörg K. muss sich seit dem 16.September vor der 18.Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart dafür verantworten, dass er die spätere Tatwaffe des Sohnes samt Munition unverschlossen aufbewahrt hatte. Die Anklage lautet auf Verstoß gegen das Waffenrecht. Eine weitergehende Verurteilung und Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung in 15 Fällen ist möglich.

"Unser Mandant möchte heute nicht erscheinen und aus eigenem Entschluss auch künftig nicht mehr an der Verhandlung teilnehmen", erklärt Rechtsanwalt Hans Stefan dem Gericht um 9.30 Uhr zu Beginn des zehnten Prozesstages. Am Montag hatten Stefan und sein Kollege Hubert Gorka darum bei der Kammer den Antrag gestellt, ihren Mandanten nach Paragraf 231 oder 233 (siehe Hintergrund) zu entbinden.

Die Staatsanwaltschaft erklärt am Dienstag, sie halte die weitere Teilnahme des Angeklagten für "wünschenswert, aber nicht erforderlich", weil er durch sein beharrliches Schweigen im Prozess nicht zur Sachaufklärung beitrage. Weil die Staatsanwaltschaft allerdings weiterhin von fahrlässiger Tötung ausgehe, wolle man den Angeklagten nicht entbinden.

"Mittagspause abwarten, dann vorführen und Haftbefehl"

Noch härter fällt die Gegenwehr der Hinterbliebenen aus, die im Prozess zahlreich als Nebenkläger auftreten. "Mittagspause abwarten, dann vorführen und Haftbefehl", fordert Rechtaanwalt Uwe Krechel für seinen Mandanten. "Welches Signal ginge davon aus, wenn uns der Angeklagte auf der Nase herum tanzt", fragt seine Kollegin Iris Stuff. "Es gibt eine Pflicht zur Anwesenheit", betont Anwalt Jens Rabe, der die Hinterbliebenen von fünf Opfern vertritt. Auch er fordert Haftbefehl für Jörg K.

Doch die Rechtsauffassung der Klägerseite setzt sich nicht durch: "Die Hauptverhandlung wird ohne den Angeklagten fortgesetzt", verkündet der Vorsitzende Richter Reiner Skujat um 14 Uhr. Bisher sei der Angeklagte zu allen Prozessterminen erscheinen, für die beiden Tage vorige Woche habe er schlüssige Entschuldigungen wegen psychischer Überlastung vorgelegt, erklärt Skujat den Beschluss. Mittlerweile bestünden für eine Protestteilnahme von der Seite "keine relevanten Einschränkungen" mehr, das zeige auch ein schriftliches ärztliches Gutachten im Auftrag des Gerichts.

"Das ist eine Katastrophe für meine Mandanten"

"Der Angeklagte ist heute schuldhaft ausgeblieben", sagt Skujat. Dessen ungeachtet ist die Frage, ob Jörg K. dem Prozess auch künftig fern bleiben kann, nach Paragraf 231 der Strafprozessordnung ins "pflichtgemäße Ermessen der Kammer" gestellt, erklärt Skujat ausführlich. Sein Fazit: "Die Anwesenheit des Angeklagten ist entbehrlich. Die weitere Sachaufklärung benötigt seine Anwesenheit nicht."

Die Sicherheitslage für den Angeklagten habe bei dem Gerichtsbeschluss "ausdrücklich keine Rolle gespielt", ergänzt Richter Skujat. Ein Nebenkläger, dessen 17-jähriger Sohn beim Amoklauf in der Winnender Albertville-Realschule erschossen worden ist, hatte sich vor Wochen im Gerichtsumfeld auffällig verhalten. Die Polizei stellte den Mann, der aus dem Kosovo stammt, darauf gezielt zur Rede. Laut Protokoll der Beamten sagte der Mann: Wenn er es nicht unterbunden hätte, sei "längst etwas passiert". Diese Blutrache irgendeines Landsmannes könne Jörg K., die Ehefrau oder die Tochter treffen. Dieser Sachverhalt ist dem Vater durch die Polizei mitgeteilt worden und war offenbar mit ein Auslöser für die psychische Überlastungsreaktion.

"Der Mann aus dem Kosovo ist meiner Einschätzung nach harmlos, das lenkt bloß ab", kritisiert ein Nebenkläger. Ein anderer empört sich, dass sich der Vater des Täters seiner Verantwortung nicht länger persönlich stellen will. "Das ist kein guter Tag für den Prozess und eine Katastrophe für meine Mandanten", sagt Rechtsanwalt Rabe. Er will prüfen, ob es gegen den Beschluss des Gerichts noch rechtliche Mittel gibt.