In Bayern wird ein Windrad der Firma Enercon errichtet – in Baden-Württemberg werden noch zu wenige Anlagen genehmigt und gebaut Foto: dpa

Mit interaktiver Karte - Die Zahl der Genehmigungen für Windanlagen im Land steigt. Allerdings sind es immer noch viel zu wenige, um die Ziele der Landesregierung zu erreichen

Stuttgart - Die Zahl der Genehmigungen für Windanlagen im Land steigt. Allerdings sind es immer noch viel zu wenige, um die Ziele der Landesregierung zu erreichen

Risiko Fledermaus

Die Fledermaus genießt deutschlandweit einen fast schon legendären Ruf als Verhinderer von Großprojekten aller Art. Wo sie auftaucht, herrscht Alarmstufe Rot für die Planer. Mit Blick auf Windkraftprojekte stimmt das allerdings nicht ganz. Tatsächlich kommen sich Mensch und Fledermaus gar nicht so oft in die Quere. Anders als diverse Vogelarten bremsen die Fledermäuse nur „sehr selten“ ganze Projekte aus, sagen Windkraftfachleute. Zwar können die Behörden eine sogenannte Nachtabschaltung von Anlagen durchsetzen, die in Fledermausgebieten liegen. Diese trifft die Windmüller aber oft nur am Rande. Der Grund: Die kleinen Segler fliegen nur an wenigen Tagen im Jahr ausgiebig – meist im Sommer und bei Windstille. Das sind Zeiten, in denen die Windernte der Anlagen sowieso gering ausfällt. Tageweise Abschaltungen fallen also nicht sehr ins Gewicht. Allerdings: Um die bevorzugten Flugzeiten der Fledermäuse herauszufinden, müssen Horchboxen aufgestellt werden (Kaufpreis rund 2000 Euro), und die gesammelten Daten müssen ausgewertet werden. Das kostet Zeit und Geld.

Risiko Rotmilan

Die Insel Helgoland steht Pate für eine der größten Hürden im Ausbau der Windanlagen – zumindest aus Sicht der Windkraftbefürworter. Im sogenannten Helgoländer Papier von 2007 haben die deutschen Vogelschutzwarten Empfehlungen für Abstände zwischen Windrädern und Vogelflugrouten und Brutplätzen formuliert. Für die Genehmigungsverfahren hat das Helgoländer Papier, das durch die Länder noch verfeinert werden kann, Grundsatzcharakter. „Einzelne Vögel können das Ende für einen kompletten Windradstandort bedeuten“, sagen Windkraftplaner. Zum Horst eines Rotmilans muss demnach mindestens ein Kilometer Abstand gehalten werden. Ähnliche Regeln gelten für weitere Greife wie den Wespenbussard. Beide Gattungen bewohnen oft Wälder. Weil auch die Windkraft im Land immer mehr auf bewaldete Gebiete ausweicht, kommen sich Tier und Maschine immer öfter ins Gehege.

Risiko Bürgermeister

Die Gemeinden haben in Baden-Württemberg die Planungshoheit in Sachen Windkraft. Ihr mächtigstes Werkzeug ist der Flächennutzungsplan. Mit ihm entscheiden sie, wo ein Windrad errichtet werden kann. Grundsätzlich ergibt das auch Sinn. Immerhin sind es die Bürger vor Ort, die – je nach Standpunkt – Nutznießer oder Leidtragende des Anlagenbaus sind. Die Fülle an Kompetenzen, die die Landesregierung in den vergangenen Jahren von den Regionalverwaltungen an die Kommunen delegiert hat, führt aber auch zu Problemen. Bürgermeister, die sich nie mit Windkraft beschäftigt hatten, sollten jetzt über Millioneninvestitionen entscheiden. Oft sind die Kleinstverwaltungen damit überfordert, was zu Verunsicherung in der Branche und starken Verzögerungen bei der Projektplanung führt. „Viele Landratsämter und Kommunen haben keinerlei Genehmigungserfahrung“, sagt Gerhard Ammon, Geschäftsführer bei den Stadtwerken Fellbach.

In Baden-Württemberg fehle „eine Instanz, die die Organisation in Sachen Windkraft klar bündelt“, sagt der CDU-Landtagsabgeordnete Paul Nemeth. In Bayern seien dies die Regionalverbände. Diese müssten auch in Baden-Württemberg mehr Gewicht bekommen. „Sinnlos“, heißt es vom Stuttgarter Umweltministerium. Ein Hin und Her bei den Kompetenzen sorge nur für mehr Verunsicherung. Außerdem habe man Anlaufstellen für die Kommunen, etwa bei den Regierungspräsidien, geschaffen.

Mögliche Windkraft-Standorte in der Region Stuttgart


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Risiko Ökostromförderung

Seit Anfang August gelten neue Bestimmungen für die Förderung von Windkraftanlagen in Deutschland. Für Baden-Württemberg könnten sie zum Problem werden. Anders als früher ist die Leistung der Anlagen, die jedes Jahr vom Staat gefördert werden, begrenzt. Wird die Grenze von 2500 Megawatt überschritten, sinken die Vergütungen für die einzelnen Windräder. Besonders für eher windarme Bundesländer stellt das ein Problem dar. Die Anlagen hier verfügen tendenziell über die geringsten Puffer in Sachen Wirtschaftlichkeit. Als Folge werden sie als erste unrentabel. Investoren weichen daher an andere Standorte aus. Durch das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz werde es besonders in Süddeutschland immer schwieriger, Anlagen wirtschaftlich zu realisieren und zu betreiben, sagt beispielsweise Sebastian Grosch vom bundesweit führenden Windkraftentwickler WPD.

Risiko Protesttourismus

Gegen eine ganze Reihe von Windkraftprojekten im Land haben sich Bürgerinitiativen gebildet. Eine kämpft etwa gegen Windanlagen im Naturpark Stromberg-Heuchelberg, eine andere will ein Projekt in den Limpurger Bergen nordöstlich von Stuttgart verhindern. Manchmal streiten sich sogar Kommunen, wie etwa in Dischingen nördlich von Ulm. Branchenkennern zufolge protestieren die Baden-Württemberger aber nicht häufiger als andere Deutsche gegen die Windkraft. Allerdings tritt auch hierzulande ein Phänomen immer öfter zutage, das Fachleute als „Protesttourismus“ bezeichnen. „Zusehends torpedieren Windkraftgegner unsere Projekte, die gar nicht zur lokalen Bevölkerung gehören und 40 bis 50 Kilometer weit anreisen“, sagt ein hoher Stadtwerkemanager. Anders als die Gegner vor Ort, sei diese Gruppe Argumenten „viel schwerer zugänglich“.

Risiko Behörden-Wirrwarr

Ein Windrad zu errichten bedeutet vor allem, sich mit Behörden auseinanderzusetzen. Eine Aufstellung des energiepolitischen Sprechers der CDU im Stuttgarter Landtag, Paul Nemeth, listet insgesamt 25 Stellen auf, die in den Genehmigungsprozess involviert sind – vom Bauamt über Naturschutzbehörden, die Gewerbeaufsicht, die Kampfmittelbeseitigung bis zur Wehrbereichsverwaltung. Dazu kommen Energieversorger, Richtfunkstreckenbetreiber, die Telekom und Bundesbehörden wie die Netzagentur. Mit dem Landeswirtschafts-, dem Umwelt-, dem Landwirtschafts- und dem Verkehrsministerium sind außerdem vier Spitzenbürokratien ins Thema Windkraft involviert.

„Was die Genehmigungsbehörden fordern, ist enorm“, sagt etwa Gerhard Ammon, Geschäftsführer der Stadtwerke Fellbach. Folge: Sehr hohe Planungskosten von mehreren Hunderttausend Euro pro Projekt und Verzögerungen. Mindestens zwei Jahre dauert es, bis ein Windprojekt im Land genehmigt ist. Oft viel länger. Als Folge hängt das Land bei seinem Ziel, bis 2020 zehn Prozent seiner Energie aus Windkraft zu schöpfen, stark zurück. 2013 sind nur zehn Anlagen landesweit genehmigt worden. Im bisherigen Jahresverlauf 2014 waren es nach Daten des Stuttgarter Energieministeriums allerdings schon 38. Experten wie Sebastian Grosch von WPD gehen davon aus, dass dieses Zahl 2015 „deutlich überschritten wird“.

Risiko Biotopschutz

Nicht nur Tiere sind laut deutschem Umweltrecht schützenswert, auch Pflanzen oder Naturräume sind es. So kommt es, dass für Windenergieanlagen die Ampel rot aufleuchtet, wenn ein Ameisenhaufen, ein Tümpel oder ein alter Baum im Weg ist. „Drum rum planen“ heißt die Devise der Windbranche in solchen Fällen. Wo das nicht möglich ist, wird mitunter auch zu drastischeren Maßnahmen gegriffen. Biotope werden dann beispielsweise „umgesiedelt“. Sogar Moose mussten nach Angaben aus der Branche schon per Hand von Bäumen abgeschabt und auf andere Hölzer transplantiert werden. So einen Aufwand treiben Investoren aber nur, wenn es sich um besonders gute Standorte handelt. Diese sind rar. Laut Windaltas Baden-Württemberg herrscht nur auf 1,8 Prozent der Landesfläche eine Windgeschwindigkeit von mindestens sechs Meter pro Sekunde vor – für Windplaner ist das eine entscheidende Schwelle. Darunter rechnen sich Investitionen oft nicht.