Filmkulisse auf dem Wilhelmsplatz: Die Döner-Bude von Habib ... Foto: Verleih

Auf dem Wilhelmsplatz stand plötzlich eine Dönerbude – und rund herum türmten sich Müllberge. Was 2012 zum Stadtgespräch in Stuttgart geworden ist, kommt nun in die Kinos. „Willkommen bei Habib“  – ein Film über Heimat, Identität und Lebenslügen.

Auf dem Wilhelmsplatz stand plötzlich eine Dönerbude – und rund herum türmten sich Müllberge. Was 2012 zum Stadtgespräch in Stuttgart geworden ist, kommt nun in die Kinos. „Willkommen bei Habib“ – ein Film über Heimat, Identität und Lebenslügen.

Stuttgart - Wie ehrlich sind Männer zu sich selbst? Oft spielen sie Glück und Stärke nur vor. Um von den anderen nicht als Verlierer wahrgenommen zu werden, die sie in Wahrheit sind, gehen sie faule Kompromisse ein und mogeln sich mit Tricks durchs Leben. Doch irgendwann explodiert das Lügengebäude, so dass nur eine Lösung bleibt. Michael Baumann, 44, Regisseur des traurig-komischen Großstadtfilms „Willkommen bei Habib“, beschreibt sie so: „Fliegt dir dein Leben um die Ohren, such dir ein neues.“

In Potsdam-Babelsberg hatte Baumann, ein gebürtiger Münchner, Film- und Fernsehregie studiert und sich gewundert, als er 2006 nach Stuttgart zog. In der Hauptstadt der Kehrwoche hatte er sich gewähnt – und überall blockierten Müllsäcke die Gehwege. Am Streik des öffentlichen Dienstes lag’s.

„Waschen und Leben“ hieß sein erster, sehr berührender Dokumentarfilm, in dem es um gelebte Vergänglichkeit in einem Friseursalon im Stuttgarter Westen geht. Der bleibende Eindruck von Dreck und Unordnung in seiner neuen Heimat war der Ausgangspunkt für den Plot von Baumanns neuem Film, der am Donnerstag in 60 deutschen Kinos startet: „Die Müllabfuhr streikt. Und so wie die Stadt mehr und mehr ihr sauberes Antlitz verliert, geraten auch die Leben von vier ihrer Bewohner in Unordnung.“

Fast über Nacht hatte die Stuttgarter Produktionsfirma Indi Film im Oktober 2012 den Wilhelmsplatz in eine Schmuddelecke mit Abfall, Unrat, einer Bretterbude und Sperrmüll verwandelt. Ein wenig überrascht waren die Produzenten, wie schnell sie grünes Licht für dieses öffentlich sichtbare Durcheinander aus dem Stuttgarter Rathaus erhalten hatten.

Das sind die Drehorte in Stuttgart:


Drehorte in Stuttgart auf einer größeren Karte anzeigen

Es dauerte, bis sich in der Stadt herumsprach, dass nicht Müllsünder mitten in der City unterwegs waren, sondern die Macher eines Kinofilms, der mittlerweile großes Lob beim Förderpreis Neues Deutschen Kino erhalten hat. Das Urteil der Jury: „, Willkommen bei Habib‘ berührt durch seine warmherzige und erfrischende Inszenierung eines herausragenden Schauspielerensembles mit viel Witz über Heimat und Integration.“ Bei der Berlinale 2012 gab’s für Baumann und Co-Autorin Sabine Westermaier den Drehbuchpreis der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MfG).

Für den Film, der trostlose, aber nicht hoffnungslose Geschichten mitten im Kessel Stuttgarts erzählt, nicht am noblen Halbhöhenrand, ist am Dienstagabend, zwei Tage vor dem bundesweiten Start, im Metropol-Kino der rote Teppich ausgerollt worden. Unter den Premierengästen waren Bilkay Öney, die Landesministerin für Integration, Gari Pavkovic, der Integrationsbeauftragte der Stadt Stuttgart, Özlern Sahin, die türkischstämmige Box-Weltmeisterin, sowie natürlich fast das komplette Filmteam.

Eine gestohlene Kommode sorgt für Wirbel

Für Regisseur Baumann war der Drehort Wilhelmsplatz ideal: „Ein Szenenbildner hätte es nicht besser bauen können – mit dem Glasturm des opulenten Heroldcenter und der mit Kamille bewachsenen Verkehrsinsel davor.“ Für Aufregung hatte der Diebstahl einer alten Kommode gesorgt, die zur Kulisse gehörte. Mit Flugblättern fahndete die Produktion nach dem Möbelstück, um nicht mehrere Drehtage wiederholen zu müssen. Jemand entdeckte die Kommode in einem Hinterhof im Westen. So konnte doch noch nach Terminplan weitergedreht werden.

In der Drehzeit hatte sich ein Türke an der falschen Dönerbude beschwert. 3,50 Euro für ein Döner – dieser Preis stand an der Tafel der Bretterbude – sei viel zu niedrig.

Hochkarätig besetzt ist der Film bis in die Nebenrollen. „Ihr habt ein schönes Rotlichtviertel“, fand der in Berlin lebende Theaterschauspieler Thorsten Merten, 50, einer der vier Hauptdarsteller, „alles kompakt an einem Platz.“ Für reicher hätte Burak Yigit, der Jüngste im Protagonistenquartett, die Autostadt gehalten. Stuttgart von unten – auf der Kinoleinwand entfernt sich die Stadt, von der es heißt, sie sei reich, aber nicht gerade sexy, von den Klischees.

Vier Männer in der Krise. Einer ist jung, zwei in der Mitte des Lebens, einer will sein Leben versöhnlich abschließen. Haben sie ihre Heimat gefunden? „Nicht jede Heimat hält ihr Versprechen nach Glück“, sagt Regisseur Baumann. Von den vier Männern sucht der jüngste das Glück im Land seines Vaters, der zweite glaubt, es in seiner Firma gefunden zu haben, die ihn aber auf die Straße setzt. Der Älteste möchte zu seiner verlorenen Tochter zurückfinden. Und alle treffen sich an der Dönerbude von Habib. Das Treibgut der unerfüllten Sehnsüchte wird in den Nächten angeschwemmt.

Michael Baumann geht mit Verlierern auf sympathische Weise um. Niemals sollte man sich oder einen Menschen als verloren aufgeben. Für ein bisschen Glück, so führt uns sein Film vor, ist es nie zu spät.