Luchse sind Tiere von faszinierender Schönheit – aber nicht alle wollen sie in Baden-Württemberg haben.  Foto: dpa-Zentralbild

Das Tier Tello ist bei einer Kollision mit einem Auto angefahren worden; vielleicht lebt es nicht mehr. Derzeit dürften vier bis sechs Luchse im Land unterwegs sein. Eine aktive Wiederansiedlung wie in Rheinland-Pfalz lehnen die Jäger und Bauern ab.

Gönningen - Es geschah schon am 20. September, aber erst jetzt erfuhr die Öffentlichkeit davon: Am frühen Morgen erfasste ein Auto auf der Gönninger Steige im Landkreis Reutlingen ein Tier, das die Straße überqueren wollte – der Beifahrer traute seinen Augen nicht, aber es war tatsächlich ein Luchs, der noch davonrennen konnte. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um den jungen männlichen Luchs Tello, der aus der Schweiz eingewandert war und vor sechs Monaten ein Senderhalsband erhalten hatte. Dieser Sender war von dem Tag an still und wurde erst am 10. Oktober an der betreffenden Straße entdeckt. Es muss bei dem Unfall abgesprungen sein. Ob Tello noch lebt, weiß niemand.

Schon der erste Luchs, der nach 150 Jahren wieder in den deutschen Südwesten eingewandert war, fiel einem Unfall zum Opfer; er wurde am 1. Januar 2007 auf der A 8 bei Merklingen überfahren. Auch die zwei ersten Wölfe, die – nachdem die Tiere 1847 in Württemberg 1847 und 1866 in Baden ausgerottet worden waren – wieder Landesgebiet betraten, starben auf der Autobahn, bei Lahr und ebenfalls bei Merklingen.

Vom Wolf auf der Baar fehlt jede Spur

Derzeit sind neben Tello noch mindestens drei weitere Luchse im Land unterwegs, einer ebenfalls auf der Alb, zwei im Schwarzwald. Womöglich seien es sogar sechs, sagt Micha Hertfelder von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg. Denn bei einigen Fotos seien sich die Experten nicht sicher, ob es sich um bekannte oder neue Tiere handle. Von dem ersten Wolf, der im Mai auf der Baar gesichtet worden ist, fehlt dagegen jede habhafte Spur. Entweder lebe er völlig unauffällig weiter in dem Gebiet, so Hertfelder; oder er sei umgekommen oder weitergewandert.

Trotz des Zuzugs ist es bei den Luchsen aber unwahrscheinlich, dass dauerhaft eine Population auf der Alb oder im Schwarzwald entsteht. Denn bei diesen Tieren wandern meist nur die jungen Männchen. Sie können hier also keine Partnerin finden. Eine aktive Auswilderung von Luchsen, wie es sie in der Schweiz und in den Vogesen bereits gegeben hat oder wie sie nun in Rheinland-Pfalz angelaufen ist, plant die Landesregierung in Baden-Württemberg nicht. Im Pfälzerwald wurden Ende Juli die ersten drei Luchse freigelassen, 20 sollen es bis 2021 werden. Die Kosten von 2,75 Millionen Euro trägt zur Hälfte die EU. Die Jäger unterstützen dort das Projekt; zudem handelt es sich meist um staatliche Wälder.

In Baden-Württemberg scheitert die Ansiedelung vor allem am Veto der Landwirte und Jäger. Klaus Lachenmaier vom Landesjagdverband (LJV) sagt: Zuwandernde Luchse seien willkommen, für Tello und für den anderen Alb-Luchs namens Friedl hat der LJV die Patenschaft übernommen – aber die Auswilderung komme nicht in Frage. Es gebe noch zu viele Jäger mit Vorbehalten. In einem Leserbrief im LJV-Blatt heißt es etwa: „Sind unsere Wildtiere nicht schon genug beunruhigt? Brauchen wir dazu noch Wolf und Luchs?“

Jährlich werden im Land 167 000 Rehe geschossen

Die Abwehr beruht weniger auf Konkurrenzdenken. Ein Luchs reißt etwa ein Reh pro Woche, 20 Luchse würden so im Jahr 1000 Rehe fressen – im vergangenen Jagdjahr wurden in Baden-Württemberg 167 000 Rehe geschossen. „Es ist eher, dass die Rehe noch scheuer würden“, sagt Lachenmaier. Die Jäger könnten dann ihre Quoten nicht mehr erfüllen. Die Bauern befürchten, dass die Luchse ihre Schafe und Ziegen reißen und ihnen hohe Kosten für den Schutz der Tiere entstehen. Einen Entschädigungsfonds bei gerissenen Tieren gibt es bereits.

Der Naturschutzbund befürworte die Auswilderung, sagt Johannes Enssle – aber nur, wenn die Akzeptanz bei allen Betroffenen vorhanden sei. Sonst sei das Projekt nicht sinnvoll: Im Bayerischen Wald etwa sei die Hauptursache für Verluste der illegale Abschuss. Zudem müsste derzeit das Geld aus dem Naturschutzetat genommen werden: „Aber wir brauchen das Geld dringend für anderes – viele Arten stehen vor dem Aussterben.“ In der Arbeitsgemeinschaft Luchs sitzen alle an einem Tisch, aber dort geht es schleppend voran. Die Jäger argumentieren: Irgendwann würde der Druck in der Schweiz so groß, dass auch die Weibchen wanderten. Aber das ist Zukunftsmusik: Da bei den Wölfen alle Tiere umherziehen, wird sich im Land eher ein Wolfsrudel ansiedeln als dass sich eine stabile Luchspopulation bildet.