Erschütterungen weltweit: Auch die Börse in Warschau brach nach dem Brexit-Votum in Großbritannien ein Foto: DPA

Es ist das erste Mal, dass ein Mitglied raus aus der EU will. Bei dem Verfahren gibt es Spielräume, aber nicht unbegrenzt, erklärt der EU-Experte Bergmann.

London/Stuttgart - Zum allersten Mal will mit Großbritannien jetzt ein Mitgliedstaat die Europäische Union verlassen. Zwar schied 1985 auch Grönland aus der damaligen Europäischen Gemeinschaft aus, nachdem es die „innere Autonomie“ von Dänemark erlangt hatte. Doch war das ein Sonderfall – mit dem Schwergewicht Großbritannien jetzt nicht vergleichbar.

Das Recht zum EU-Austritt ist auch noch relativ neu: Erst seit 2009 ist es im Vertrag von Lissabon geregelt, und zwar im Artikel 50. Demnach gilt das Ergebnis des britischen EU-Referendums rechtlich erst, wenn die Regierung in London gegenüber der EU erklärt, dass Großbritannien austreten werde. „Ab da tickt die Uhr“, sagt der Europa-Rechtler Jan Bergmann, Senatsvorsitzender am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim. Dann hätten Großbritannien und die EU zwei Jahre Zeit, über die Trennung zu verhandeln. Auch eine Verlängerung ist möglich, aber nur einstimmig. Eine Frist für Londons offizielle Mitteilung gibt es aber nicht. Premier David Cameron kündigte an, er wolle die Austrittserklärung seinem Nachfolger überlassen, wenn er im Oktober zurücktritt. Doch die EU erwartet die Erklärung so schnell wie möglich.

Fünf bis zehn Jahre

Danach verabreden die EU-Regierungschefs – ohne den britischen Premier – ihre Vorgaben. Die Kommission führt die Gespräche mit London, das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten müssen schließlich mit qualifizierter Mehrheit zustimmen. „Das Parlament, inklusive die britischen Abgeordneten, sind hier gewollt ein starker Spieler“, sagt Bergmann.

Für das Aushandeln der neuen Beziehungen zwischen Briten und EU setzen Insider fünf bis zehn Jahre an. Einem Austritt der Briten à la carte, wie er manchem Brexit-Vorkämpfer vorschwebt, erteilt der Jurist eine Absage. „Das ist verfassungsrechtlich unmöglich:“ Unterhausführer Chris Grayling hatte vorgeschlagen, bis Ende 2019 Austritt und ein neues Handelsabkommen zu vereinbaren – informell: Schon vorher soll der Vorrang des EU-Rechts aufgehoben und mehrere Gesetze geändert werden. Zur Idee, die Briten könnten einen Zugang zum EU-Binnenmarkt bekommen, ohne Bewegungsfreiheit für EU-Arbeitskräfte wird Bergmann deutlich: „Geht rechtlich auch nicht.“