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Werbestrategien sind kurzlebiger als früher - Mehr Möglichkeiten für direkte Resonanz.

Stuttgart - Fernsehen, Radio, Printmedien: Auf die bekannten Kommunikationswege kann kaum ein Unternehmen verzichten, das ein Produkt anbietet. Inzwischen spielen die sozialen Netzwerke mit ihrer ungeheuren Reichweite eine Rolle. Wir sprachen mit dem Münchener Marketing-Experten Thomas Huber.

Herr Huber, das grüne K-21-Logo der Protestbewegung gegen den neuen Stuttgarter Tiefbahnhof hat in der Kategorie Kommunikation im Raum den renommierten silbernen Nagel des Art Directors Club Deutschland (ADC) erhalten. Wie wirkt es auf Sie?

Das Logo prangt auf Buttons, Taschen und Shirts. Damit haben es der Stuttgarter Rainer Benz und seine Mitstreiter geschafft, dem Protest einen professionellen Anstrich zu verpassen. Gleichzeitig gibt es der Bewegung eine Corporate Identity. Dieses Logo verkörpert die sogenannten Protestimonials: Bei diesem Protest-Marketing nehmen Unternehmen bei der Präsentation ihrer Produkte oder Dienstleistungen klar Stellung zu Entwicklungen, Ereignissen oder zu gesellschaftspolitischen Diskussionen. Ein weiteres Beispiel in diesem Zusammenhang ist Resist21 der Ehinger Brauerei Rössle. Speziell für die S-21-Gegner prangt auf dem Etikett des Widerstandsbiers kein Pferd, sondern ein störrischer Esel. Das Besondere an diesen Beispielen ist, dass der Erlös oder ein Teil davon die Aktionen der Tiefbahnhofsgegner finanziert. Andere Firmen bekennen sich auf der Seite unternehmer-gegen-s21.de zur Bewegung.

Wie hat sich Marketing in den zurückliegenden 20 Jahren geändert?

Die markanteste Entwicklung war die Einführung des Internets, denn damit ist ein völlig neuer Kommunikationskanal entstanden. Allerdings wurde dieser Kanal erst Ende der 90er Jahre bedeutend, als Millionen Menschen einen Zugang zum Netz hatten und es immer mehr aktiv nutzten. Gleichzeitig kamen neue Probleme auf die Werbetreibenden zu, denn es gibt viel mehr Punkte, an denen sie mit Zielgruppen in Kontakt treten können.

Können sie das konkretisieren?

Früher dominierten Printorgane, das Radio und das Fernsehen mit ihren Einbahnstraßen-Botschaften: Sie senden eine Botschaft, die Zielgruppe nimmt es zur Kenntnis. Das Marketing erstellt einen Plan darüber, wo das Medium die Zielgruppe mutmaßlich am besten trifft. Als Königsdisziplin galt vor 20 Jahren die Primetime im Fernsehen. 20.15 Uhr in einem der stark frequentierten Privatsender - da konnte man davon ausgehen, dass man mit seiner Botschaft einen Großteil der Deutschen erreicht. Heute ist das völlig anders. Gerade jüngere Menschen verbringen sehr viel Zeit im Internet. Sie sehen zwar noch fern, aber nebenher chatten sie mit ihren Freunden, schreiben SMS - schauen also viel ungenauer hin.

Das riecht nach jeder Menge Arbeit für die Marketing-Strategen...

Ja, ein Unternehmen, das Marketing betreibt, muss heute viel mehr Kommunikationsstränge bearbeiten: Sie müssen sich mit Fernsehen, Zeitungen und den Spielarten im Web auseinandersetzen und ihre Botschaften entsprechend anpassen. Dieser neue Markt hat wiederum die Dienstleister verändert: In der Werbeindustrie sind ganz neue Formen wie Online-, New-Media- und Social-Media-Agenturen entstanden. Die Mitarbeiter müssen sich permanent über neue Kanäle informieren. Anders als vor 20 Jahren sind die Strategien auch viel kurzlebiger. Ein Beispiel dafür ist der einstige Hype um Second Life. Noch vor ein paar Jahren war das etwas ganz Neues. Jedes Unternehmen glaubte, es müsse sich auf diesem virtuellen Spiel positionieren. Aus heutiger Sicht jedoch sind die Möglichkeiten begrenzt. Zurzeit ist Facebook angesagt. Auch das wird irgendwann von neueren, noch interessanteren Themen verdrängt werden.

Wie haben sich die Zielgruppen verändert?

Hauptproblematik heute ist, Menschen zu erreichen, die sich durch und durch als Individuum verstehen, ihren eigenen Kosmos haben und ihr Leben genau so zusammenstellen, wie sie es möchten. Es gibt keinen Durchschnittsmenschen mehr. Dazu kommt die Formenvielfalt. Werber müssen also extrem viel Forschungsaufwand betreiben, um Zielgruppen zu treffen. Durch das Internet kam noch dazu, dass die kommunizierte Botschaft aus der klassischen Einbahnstraßensituation in eine wechselseitige Beziehung eingetreten ist. Das gilt vor allem im Bereich der sozialen Medien, in denen sich die Nutzer als Fans bekennen, in denen sie Gruppen bilden und sofort ein Feedback bekommen. Aktuell dreht sich im Marketing viel um die Frage: Wie kann man diese Möglichkeit der direkten Resonanz nutzen? Dabei muss man auch berücksichtigen, dass die Botschaften sofort auf den Prüfstand gestellt werden können. Das Beispiel Guttenberg hat gezeigt, dass es ein Sport geworden ist, nach Schwachstellen bei Prominenten zu suchen oder nach widersprüchlichen Aussagen. Das betrifft auch Produkte.

Sind Prospekte, Plakate und Anzeigenblätter für den Müll?

Nein, wegen des neuen Mediums gehen die anderen Sparten nicht drastisch zurück. Nach wie vor quellen die Briefkästen mit Wurfsendungen über. Insgesamt nimmt das Werbevolumen sogar zu. Internet-Marketing wächst zwar, das Volumen ist aber immer noch deutlich kleiner als bei den anderen Medien. Im Internet gibt es sogar Portale, in denen sie nachverfolgen können, welche Wurfsendungen in den letzten Tagen generell in Ihrem Umfeld verschickt wurden. Auch Anzeigenblätter haben in den letzten Jahren zugelegt. Außerdem fahren sie - etwa bei Kleinanzeigen - zweigleisig: online und gedruckt. Ein Beispiel: Will ein Markenartikel-Hersteller ein neues Produkt einführen, braucht er Bekanntheit, er muss ein Image aufbauen. Auf die klassischen Medien kann er dabei nicht verzichten. Zurückgegangen ist lediglich die klassische Briefkommunikation.

Welche Rolle spielt die Tageszeitung?

Lokale Informationen werden immer stärker nachgefragt. Denn solche Themen kann die globale Medienindustrie nicht leisten. Gerade in der real erlebbaren Information vor Ort liegt die Chance lokaler und regionaler Blätter. Und weil der Bedarf an Berichten aus dem persönlichen Lebensumfeld hoch ist, bleibt das Medium Tageszeitung, das solche Themen aufgreift, ein interessantes Marketinginstrument.

Wo liegen die Grenzen des Internets?

Zunächst in der immensen Reichweite. Nehmen wir You Tube: Filme, die häufig geklickt werden, haben mittlerweile auch einen Vorfilm. Klar, wenn man sich das Werbeumfeld von You Tube ansieht, dann werden solche Filme eben mehrere Millionen Mal angeklickt. Aber man muss eben genau schauen, wo sich die Kunden jetzt befinden und wohin sie gehen. Das ist sehr aufwendig. Im Internet kann ich alles messen, etwa bei Online-Käufen. Bei anderen Medien erfahre ich erst über den Händler, wenn die Regale leer sind. Online hat man viel mehr Kontrollmöglichkeiten und kann die Kampagnen entsprechend aussteuern.

Trotzdem sind altmodische Marketingformen wie Kaffeefahrten noch erfolgreich...

Die wertvollste Kommunikation ist nach wie vor die von Person zu Person. Man versucht, so nah wie möglich an die Menschen heranzukommen. Sobald man mit denen reden kann, hat man ganz andere Chancen. Das kann Ihnen jeder Verkäufer bestätigen. Wenn die Leute erst mal geködert sind durch die billige Fahrt, haben die den Verkäufer vor der Nase sitzen. Dann entsteht der soziale Druck, so dass man nicht immer Nein sagen kann. Das ist ein grundmenschliches Verhalten. Deshalb sind ja die sozialen Medien so interessant für die Werbung, weil sie da in einen Dialog mit dem Kunden eintreten können. Ziel des sogenannten One2one-Marketing ist es, jeden Angehörigen einer Gruppe als Person in das eigene Angebot zu integrieren.

Massenkommunikation und Individualisierung, das klingt aber widersprüchlich...

Einerseits sind wir alle individualisiert, gleichzeitig sind wir aber trotzdem biologisch Menschen und soziale Wesen. Deshalb schließlich wir uns freiwillig Gruppen an. Aber es geschieht eben freiwillig. Das ist der Unterschied zu Gesellschaften, in denen Werte oder Verhaltensweisen traditionell verankert sind. Dort gilt: Wer nicht dazugehört, ist Außenseiter. Heute hingegen wechselt man schnell die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, ohne dass einem das übelgenommen wird.