Prägend für die Kulturlandschaft: Der extrem arbeitsintensive Weinbau in Steillagen wie hier bei Starkenburg an der Mosel ist ein Auslaufmodell Foto: pa/chromorange

Der Weinbau auf extrem steilen Lagen steckt tief in der Krise. Die Winzer, die jahrhundertelang das Bild von Deutschlands Kulturlandschaften mitprägten, sind auf dem Rückzug. Schuld daran sind auch Fehler aus der Vergangenheit.

Stuttgart - In die Weinberge über Esslingen am Neckar ist der Winter eingezogen. Die Kälte und das trockene Wetter der vergangenen Tage haben die Blätter der Reben goldgelb getüncht. Dort wo die Lemberger- und Trollinger-Stöcke stehen, leuchten die Weinberge feuerrot.

Hans Kusterer fragt sich, wie lange das noch so bleiben wird. Wie lange es dieses Schauspiel, das sich, seit er denken kann, alljährlich wiederholt, hier oben noch geben wird. Der Winzer, der seit über 30 Jahren die terrassierten Steillagen Esslingens bewirtschaftet, steht auf einem kleinen Vorsprung aus Sandstein und blickt über die Rebhänge. „Es ist ein schleichender Prozess“, sagt er und deutet mit ausgestrecktem Arm auf eine grüne Lücke im rot-gelben Blättermeer. Auf der Parzelle stehen keine Reben mehr. Gras und Brombeergestrüpp hat sich breitgemacht, durchbrochen von einigen kleinen Schneeflecken. Weiter links gibt es einen weiteren grünen Bereich, dahinter noch einen.

Der Steillagenweinbau, der die deutsche Kulturlandschaft wohl ebenso nachhaltig prägt wie die ihn umrahmenden Flusslandschaften, Schlösser und Burgen, ist unter Druck. Die Zeiten, in denen die Winzer die Hänge unter Mühen urbar machten, um auch noch das letzte Quäntchen Ertrag aus den Böden zu saugen, sind vorbei. Heute ist Weinbau in Extremlagen ein Auslaufmodell. Die Erzeuger weichen ins Flachland aus, wo sie Wein zu einem Viertel der Kosten keltern können – Kulturlandschaft hin oder her.

In Esslingen am Neckar hätten sich in den vergangenen Jahren zwei Betriebe von der aufwendigen Terrassen-Wirtschaft verabschiedet, sagt Winzer Kusterer. Unter den Vollerwerbswinzern gebe es neben seinem Betrieb nur noch zwei Kollegen, die sich die Knochenarbeit in den geschichtsträchtigen Rebgärten hoch über der ehemaligen Freien Reichsstadt noch zumuteten – und damit eine über 800-jährige Weinbautradition aufrechterhielten. „Viele sind weg“, sagt Kusterer.

Schätzungsweise 8900 Hektar Steillagen mit deutlich über 30 Prozent Hangneigung gibt es nach Daten des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum Mosel (DLR), einer Unterbehörde des rheinland-pfälzischen Landwirtschaftsministeriums, noch. Das sind knapp ein Zehntel der gesamten deutschen Rebflächen – und rund die Hälfte der Steillagenflächen im Jahr 1990.

Das vergangene Vierteljahrhundert war von einem sprichwörtlichen Kahlschlag in Deutschlands steilsten Weinanbaugebieten gekennzeichnet. Allein in der Moselregion – der Wiege des weltbesten Rieslings und dem bei weitem wichtigsten Steillagengebiet der Republik – hat sich die Anbaufläche mehr als halbiert. Gerade mal 4000 Hektar seien noch übrig, sagt Hubert Friedrich, Leiter des DLR in Bernkastel-Kues. Wie am Neckar über Esslingen klaffen auch entlang der Mosel und ihrer Zuflüsse Saar und Ruwer kahle Flecken in den malerischen Weinhängen. Oft liegen sie in Randzonen oder Seitentälern, wo sich Touristen nicht allzu oft hinverirren. Kurz vor Koblenz, am Deutschen Eck, wo die Mosel in den Rhein mündet, haben sich nur noch Reste der einstigen Parzellen erhalten.

Auch wenige Kilometer weiter südlich – im 120 Kilometer langen Nahe-Tal – sind die Anbauflächen erodiert. Vor allem die Nebenerwerbswinzer haben sich hier zurückgezogen. 750 Hektar Steillagen werden heute noch vornehmlich mit Riesling, Müller-Thurgau und Dornfelder bepflanzt. Und im durch den Unesco-Welterbe-Titel geadelten Oberen Mittelrheintal, in dessen Zentrum die Loreley Touristen in Scharen lockt, versuchen Politik und Tourismusverantwortliche verlassene Traditionslagen wieder zu rekultivieren. „Mit viel Mühe und mit erheblichen finanziellen Mitteln“, wie DLR-Fachmann Friedrich bemerkt. Und wohl auch ungewissem Ausgang.

Ist der Wein vom Steilhang, der schon Dichter wie Johann Wolfgang von Goethe zu Lob hinriss, überhaupt noch zu retten? Die Schwindsucht, die die steilsten Flecken des deutschen Weinbaus seit Jahrzehnten heimsucht, hat jedenfalls zum Teil hausgemachte Wurzeln. Bis in die 1970er Jahre hinein war Wein in Europa knapp. Im Windschatten der drei „goldenen Nachkriegsjahrzehnte“, die von steigendem Wohlstand und Konsum gekennzeichnet waren, stieg auch der Weindurst an. Die spielend einfache Vermarktung auch gewöhnlicher Tropfen und ein hohes Preisniveau lockten immer mehr Erzeuger in den Markt. Speziell entlang der engen und damals klimatisch begünstigten deutschen Flussläufe pflanzte man Reihe um Reihe neu.

In den 1980er Jahren lief das System aber heiß. Ertrags- und Flächenausweitungen – besonders in Südeuropa – führten zu einem massiven Preisverfall. Der arbeits- und kostenintensive Steillagen-Weinbau geriet als erster unter Druck – und kam auch nicht mehr auf die Beine, als sich die Preise Anfang der 2000er Jahre in ganz Europa wieder erholten. „Was wir der Natur nach dem Krieg abgerungen haben, holt sie sich langsam wieder zurück“, sagt Weinbau-Experte Friedrich vom DLR in Bernkastel-Kues.

Andernorts sieht man die Lage weniger gelassen. 500 Millionen Euro spült der Weintourismus aus aller Welt jährlich allein in die Moselregion. 25 000 bis 30 000 Arbeitsplätze könnten so gesichert werden, rechnen die Verantwortlichen vor. Ähnliches gilt für Baden-Württemberg. Sowohl Teile des Enz-, und Neckartals bis hinauf nach Heidelberg als auch Gebiete in Baden, etwa in der Ortenau oder am Kaiserstuhl, verdanken ihre touristische Attraktivität den penibel bepflanzten Bergflanken. Mehrfach warnten Landwirtschaftsverbände und Politik auch hierzulande vor einem „Verlust des touristisch attraktiven Landschaftsbilds“ und mahnten „die Erhaltung der Steillagen als wertvolle Kulturlandschaft“ an.

Allerdings scheint die Lage in Baden-Württemberg – ähnlich wie im strukturstarken Ahr-Tal nahe Köln – weniger dramatisch als in den benachbarten Bundesländern Rheinland-Pfalz und Hessen. Nach Daten des Stuttgarter Landwirtschaftsministeriums (MLR) sind die Steillagenflächen in Baden-Württemberg, die nur per Hand bewirtschaftet werden können, seit Jahren konstant. Sie bewegten sich im Mittel bei rund 1200 Hektar, sagt Konrad Rühl, der im MLR das Referat Garten-, Obst- und Weinbau leitet. Eine Tatsache, die der Experte am „Engagement der Kommunen“ zum Erhalt der einzigartigen Trockenmauern, dem „Fleiß und Können der Winzer“, aber auch an staatlicher Unterstützung festmacht. Mit bis zu 32 000 Euro je Hektar können sich die Extrem-Wengerter einmalig fördern lassen. Außerdem zahle das Land einen jährlichen Bewirtschaftungszuschuss, der 2015 erheblich erhöht werden soll – auch weil die Weinbauern weiter „unter Druck“ stünden, wie Fachmann Rühl betont.

Für Hans Kusterer, den Esslinger Steillagen-Winzer, ist dieser ökonomische Druck tägliche Realität. Die Sandstein-Terrassen, die die Reben auf seinem Esslinger Schenkenberg seit Jahrhunderten vor Erosion schützen, fallen nach den immer häufigeren Starkregenfällen in sich zusammen. In die entstehenden Risse und Spalten nistet sich die Kirschessigfliege ein, die sich in den vergangenen Jahren zum Angstgegner aller süddeutschen Winzer gemausert hat. Auch Kusterer weicht mittlerweile in flachere Lagen aus, wo sich mehr verdienen lässt. Von seinen 6,5 Hektar Rebflächen befinden sich mittlerweile drei Hektar nicht mehr im Steilgebiet über Esslingen. „Für uns hier ist es ein echter Kampf“, sagt er. Bleiben will er zwar – sagt aber auch: „Wenn wir es nicht schaffen, immer eine tolle Qualität zu machen, werden wir irgendwann weg sein.“