Noch in D-Mark-Zeiten reichen die Schutzgelderpressungen zurück. Foto: Keystone

Sie arbeiteten mit Salzsäure. Und wer der Forderung des Camorra-Clans nach Schutzgeld nicht folgte wie ein Lebenmittelhändler in Bietigheim-Bissingen, dessen Hab und Gut ging in Flammen auf. Jetzt, nach 20 Jahren Flucht, wurde ein weiterer der Mafiosi verurteilt.

Kreis Ludwigsburg - Immerhin 20 Jahre lang hatte er deutschen Boden gemieden und sich dem internationalen Haftbefehl entzogen. Mitte des vergangenen Jahres hatte er genug und wollte die alte Sache aus der Welt schaffen. Enrico M., Spross einer gefürchteten Mafia-Familie aus Quindici im italienischen Kampanien, stellte sich der deutschen Polizei. Jetzt ist der 43-Jährige wegen räuberischer Erpressung und versuchter Erpressung zu drei Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt worden.

Man arbeite mit Salzsäure. „Von dir wird kein Knochen übrig bleiben“, hatten Mitglieder der Familie M. 1994 einem Lebensmittelhändler aus Bietigheim-Bissingen, eröffnet. Mit dieser Drohung wollte der Camorra-Clan seine Forderung nach Schutzgeld unterstreichen. Und das war nur einer der bedrängten Geschäftsleute.

Den Bürgermeister im Stadion erschossen

Quindici, der Heimatort der Familie M. in der Provinz Avellino, galt einst als Hochburg der Camorra. Als es dem Clanoberhaupt Francesco M. dort zu heiß wurde – immerhin soll er den Bürgermeister im voll besetzten Fußballstadion erschossen haben – siedelte die Familie nach Stuttgart um. Hier gründete sie eine Im- und Exportfirma in Feuerbach und eröffnete Lokale unter anderem in Waldenbuch im Kreis Böblingen. Und hier setzte sie das fort, was sie bereits in der Heimat betrieben hatte: Schutzgelderpressung.

Francesco M., genannt Ciccarone, hielt die Fäden in der Hand, als Vollstrecker der Familie galt der älteste Sohn Aniello, der sich großspurig Don Aniello nennen ließ. Nachgeordnet agierten die Söhne Salvatore und eben Enrico, der am Dienstag von der 16. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart verurteilt worden ist.

Der Mercedes der Lebensgefährtin geht in Flammen auf

So sprachen die Mitglieder der Familie M. bei einem Reifenhändler im Rems-Murr-Kreis vor. Er habe umgerechnet 25 000 Euro zu bezahlen, wenn ihm sein Leben und das seiner Familie lieb sei. Der italienische Geschäftsmann weigerte sich – und alsbald ging der Mercedes seiner Lebensgefährtin in Flammen auf. Ein Abgesandter Don Aniellos tauchte später auf, richtete aus, das Haus des Reifenhändlers werde ebenfalls in Flammen aufgehen, wenn er nicht zahle. Am 18. April 1995 machten schließlich Enrico M. und ein Komplize ihre Aufwartung – mit einer Pumpgun im Gepäck.

Ähnliches widerfuhr dem Bietigheimer Lebensmittelhändler. Er zahlte schließlich mehrere Zehntausend Euro.

Mitte 1995 nahm der Clan drei italienische Eiscafé-Besitzer in Markgröningen, Asperg und Weinsberg ins Visier. Sie sollten je 25 000 Euro Schutzgeld bezahlen. Dafür schob der Clan einen erfundenen Auftragskiller vor, in der Hoffnung, die Eiscafé-Inhaber würden die Familie M. um Hilfe bitten. Im Juli 1995 landete ein Brandsatz in einem der Cafés, in den beiden anderen wurden ebenfalls Molotowcocktails deponiert, ohne sie zu zünden. „Na, hast du das Geschenk erhalten?“ hieß es später am Telefon. Die Situation eskalierte. Am 2. September 1995 fuhren ein Sohn der Familie M. und ein Komplize auf einem Motorrad zum Eiscafé nach Markgröningen und feuerten sechs Schüsse in den Gastraum. Es wurde niemand verletzt.

Tiefe Einblicke in das Leben des Clans

1997 verurteilte das Landgericht Stuttgart Francesco M. zu dreieinhalb, Aniello zu zwölf Jahren Gefängnis. Der denkwürdige Prozess gab tiefe Einblicke in das Treiben der Camorra-Familie. Zeugen logen aus Angst, dass sich die Balken bogen, und machten sich buchstäblich in die Hose. Auch im aktuellen Prozess war manchem Zeugen sichtlich unwohl in seiner Haut.

Die Staatsanwaltschaft in Stuttgart hatte vier Jahre und drei Monate gegen den inzwischen wieder auf freiem Fuß befindlichen Enrico M. beantragt. Am Ende wurden es drei Jahre und vier Monate. Mildernd wurde gewertet, dass sich der 43-Jährige gestellt hatte und weder in Italien noch in Deutschland vorbestraft ist. Er bekommt in Kürze einen Haftantrittstermin.