Ein Flachsfeld: Ein typisches Bild anno dazumal auf den Fildern. Foto: dpa-Zentralbild

In jedem dritten Haushalt in Birkach und Plieningen soll anno dazumal ein Webstuhl gestanden haben. Zum Beispiel die Familie Schepperle, deren Nachfahren sich nach wie vor treffen.

Plieningen - Streng genommen hätte aus George Schepperle kein Pfarrer, sondern ein Weber werden müssen. Dass dieses Handwerk in seiner Familie Tradition gehabt hat, hat der heute 76-Jährige selbst herausgefunden. Das Ergebnis seiner Recherchen liegt als 300 Seiten starkes Buch vor ihm neben dem Milchkaffee in einem Plieninger Bäckercafé. George Schepperle hat von 1955 bis 1998 eine Genealogie seiner Familie angefertigt. Das sind: Stammbäume, Stammbäume und nochmals Stammbäume. Und alle männlichen Nachkommen waren Weber. Bis es Mitte des 19. Jahrhunderts wegen der Industrialisierung mit der Heimweberei zu Ende ging.

George Schepperle hat seine Familiengeschichte zu seinem Hobby gemacht. Schon mit acht Jahren wollte er wissen: „Wo komme ich her?“, erzählt er. Mit 20 hat er in den Kirchenbüchern von Plieningen gestöbert, um mehr zu erfahren. Dazu muss man wissen: George Schepperle ist Niederländer. Doch weil es ihn bis heute so sehr zu seinen Wurzeln zieht, fährt er regelmäßig mit seinem Kleinwagen von Holland nach Deutschland, und dann nicht selten nach Plieningen. Dort leben noch ein paar sehr entfernte Verwandte; die Schepperles sind ansonsten weitverstreut.

Scheiperle ließ sich 1700 in Plieningen nieder

Es war eine Überraschung, als er im Plieninger Heimatmuseum – damals noch im Alten Rathaus – auf seine Familienhistorie traf. „Das hatte ich nicht erwartet“, sagt er. Und in der neuen Ausstellung in der Zehntscheuer gibt es sogar eine Schepperle-Ecke – unter anderem mit einem Porträtbild von Lorenz Schepperle, einem Plieninger Urahn von George Schepperle.

George Schepperle Foto: Sägesser

Lorenz Schepperle war ein Nachfahre des Nebringers Hans Martin Scheiperle, wie der Name einst lautete. Dieser ließ sich 1700 als Weber in Plieningen nieder. Plieningen und Birkach wurden damals zur Hochburg der Leinenweberei. Anno 1725 wurde die Lade der Zunft – eine Truhe mit den wichtigsten Dokumenten und Wertgegenständen – nach Plieningen gebracht.

In jedem dritten Keller im Ort soll damals ein Webstuhl gestanden haben. Das Kellerklima eigneten sich gut fürs Handwerk, erklärt Sarah Kubin-Scharnowski vom Stadtmuseum. „Die langen Kettfäden mussten feucht bleiben.“

Nach Amerika „verbannt“

In der Regel dienten die Heimwebereien dem Nebenverdienst. „Man konnte irgendwann nicht mehr von der Landwirtschaft leben“, sagt Kubin-Scharnowski. Ihre Webwaren haben die Plieninger entweder für Großunternehmen produziert oder sie selbst auf dem Markt verkauft. Doch von Mitte des 19. Jahrhunderts an pfuschten industrielle Webmaschinen ins Handwerk, die Heimweber mussten sich ein anderes Auskommen suchen. Lorenz Schepperle wurde damals Waldarbeiter; er ist in Plieningen geblieben und gestorben. Sein Großcousin Johann Georg Schepperle ist 1847 mit seiner Frau Anna nach Amerika ausgewandert. Nein: Er wurde ausgewandert. Er bekam Geld, um das Land zu verlassen und so das Gemeinwesen zu entlasten.

Seit 1980 hat der neugierige Abkomme George Schepperle aus den Niederlanden Kontakt zu seinen entfernten Verwandten in den USA, 1981 war er das erste Mal in Jefferson City, Missouri. 1982 trafen sich 103 Personen aus der Schepperle-Sippe zum Essen in Plieningen. Seither vergeht kaum ein Jahr, in dem George Schepperle nicht durch die Weltgeschichte reist, um seine Verwandten wiederzusehen. Wobei Verwandte relativ ist. „Die Leute sind vom Mittelalter her verwandt mit mir, dass kann man doch nicht mehr verwandt nennen“, sagt er. Wichtiger als Blut ist dem Niederländer sowieso Beziehung. Ein schöner Nebeneffekt: George Schepperle ist sich bei all der Ahnenforschung selbst nähergekommen. Er habe zum Beispiel entdeckt, „dass ich urschwäbisch bin. Viel mehr als niederländisch“, sagt er.

Den Weber hat der Pfarrer allerdings nicht in sich entdeckt. Aber er kann immerhin sagen, dass sein Urgroßvater Ludwig noch am Webstuhl saß.

Das Weberhandwerk in Plieningen und Birkach:

Ein Drittel der Bevölkerung von Birkach und Plieningen soll früher Weber gewesen sein. Das Handwerk war vor Ort so bedeutend, dass die Lade der Weberzunft 1725 nach Plieningen gebracht worden ist. Die Weber produzierten auf Bestellung oder verkauften ihre Waren selbst. Mit der Industrialisierung geriet das Handwerk Mitte des 19. Jahrhunderts in die Krise.

„Ins Blaue fahren“ hieß anno dazumal: zu den blauen Flachsfeldern fahren. Für das Webmaterial haben die Weber Flachs alias Lein geerntet und diesen mit einem Werkzeug, das aussieht wie eine große Bürste, zu Fäden verarbeitet. Diese Fäden sind – meist von den Frauen – gesponnen worden, und das Ergebnis wiederum war die Grundlage für den Webstuhl.

Im Heimatmuseum in der Zehntscheuer in Plieningen, Mönchhof 7, finden sich unter anderem Exponate zur Weberei. Ausgestellt sind Handwerksgeräte, aber auch Informationen zur Familie Schepperle, die als exemplarisch gilt. Das Heimatmuseum ist samstags von 14 bis 18 Uhr sowie sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei