Noldes „Prophet“ zählt zu den Inkunabeln des Expressionismus’. Foto: Gottfried Stoppel

Die Stihl-Galerie zeigt von Freitag an das grafische Schaffen von Emil Nolde. Der Besucher trifft in der Ausstellung auf einen experimentierfreudigen, kecken Künstler.

Waiblingen - Man begegnet in Waiblingen nicht dem bekannten Emil Nolde, der einem von Postkarten und Kunstdrucken vertraut ist. Die Stihl-Galerie präsentiert das grafische Schaffen dieses kecken, lebensdurstigen Künstlers. Knapp 100 Holzschnitte, Lithografien und Radierungen zeigt die Galerie in Zusammenarbeit mit der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde von Freitag an bis Anfang Januar 2013. Die Blätter sind strenger aber auch experimentierfreudiger noch als seine Malerei und dennoch: „Konzeptionell und stilistisch im Expressionismus verortet, unterscheidet sich Noldes Druckgrafik aufgrund der ausgesprochen malerischen Bildwirkung deutlich von den stärker grafisch geprägten Arbeiten seiner Zeitgenossen Ernst Ludwig Kirchner oder Erich Heckel“, erklärt Zara Reckermann, Mitarbeiterin der Galerie.

Der Flachland-Bergfex

Nolde, der eigentlich Hans Emil Hansen hieß, wird 1867 als Bauernsohn im schleswig-holsteinischen Nolde geboren, dem Dorf, nach dem er sich später benennt. Er absolviert eine Lehre als Schnitzer und Zeichner, begibt sich auf Wanderschaft und bleibt in St. Gallen hängen, wo er im Industrie- und Gewerbemuseum Arbeit findet. Der Mann aus dem Flachland begeistert sich fürs Bergsteigen und zeichnet karikaturistische Bergpanoramen, von denen er Postkarten drucken lässt. Die Karten verkaufen sich prächtig und er kann es sich nun leisten, als freischaffender Künstler zu leben. Nolde geht auf Reisen und schult an privaten Akademien sein Talent.

Die Ausstellung folgt nicht seinen zahlreichen Lebensstationen, sondern sortiert die Werke nach ihrer Drucktechnik und innerhalb derer chronologisch, wobei einzelne Werkgruppen zusammengefasst werden. Es fasziniert, wie souverän sich Nolde der Techniken bedient, sie verfeinert, und wie er sich an einzelnen Themen abarbeitet. In manchen Blättern meint man zu erkennen, wie er sich mit Zeitgenossen wie etwa Edward Munch oder James Ensor auseinandersetzt. Natürlich finden auch seine häufigen Standortwechsel ihren Niederschlag. So blickt man in die Hinterzimmer von Berliner Nachtlokalen, auf nordfriesisches und exotisches Terrain. Nolde bedient zahlreiche Sujets, nicht bloß Landschaften, auch Porträts, Grotesken, Heiligenfiguren oder Südeseemädchen.

Nationalsozialistische Liaison

Bei der braven Gliederung der Ausstellung fällt ein wichtiger Abschnitt im Leben Noldes unter den Tisch – selbst im biografischen Überblick eingangs der Ausstellung findet die nationalsozialistische Liaison eines der bedeutendsten Maler des 20. Jahrhunderts keine Erwähnung. Nolde, der seinem Antisemitismus offen vor sich hertrug, war zu Beginn der 1930er ein glühender Nationalsozialist gewesen, der hoffte, zum Hauptvertreter einer „neuen deutschen Kunst“ aufzusteigen, zumal Reichsminister Joseph Goebbels seine Arbeiten schätzte. Doch 1934 entschied Adolf Hitler persönlich, die Expressionisten aus dem nationalsozialistischen Kunstkanon auszuquartieren.

Und so kam es, dass Nolde zum „Hauptbetroffenen der Aktion Entartete Kunst“ wurde, wie Zara Reckermann sagte. In der gleichnamigen Kunstausstellung von 1937 wurde sein Werk an zentraler Stelle präsentiert, und seine Bilder aus den Museen geschafft. Nachdem er 1941 Malverbot erhielt, zog sich Nolde ins nordfriesischen Seebüll zurück. In seinem Roman „Deutschstunde“ erzählt Siegfried Lenz von dieser Lebensphase des Künstlers.