Politische Turbulenzen könnten Griechenland in eine neue Spirale der Finanzkrise stürzen. Foto: fotolia

War das griechische Sparprogramm umsonst? Politische Turbulenzen können das Land in eine neue Spirale der Finanzkrise stürzen. Viele fürchten sich vor einer Bruchlandung.

Athen - Selten hat die Wahl eines Staatsoberhauptes, das vornehmlich repräsentative Aufgaben wahrnimmt, die Finanzmärkte derart in Aufruhr versetzt. Denn wenn das griechische Parlament am heutigen Mittwoch einen neuen Präsidenten wählen soll, stehen die Regierung von Ministerpräsident Antonis Samaras und damit der Sparkurs des einst von der Staatspleite bedrohten Euro-Landes auf dem Spiel.

Sollte nämlich der von Samaras nominierte ehemalige EU-Kommissar Stavros Dimas scheitern, müssten laut Verfassung Parlamentswahlen abgehalten werden. In den Umfragen führt die linksradikale Syriza-Partei unter Oppositionschef Alexis Tsipras, der die Rettungspolitik von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds ablehnt.

In der Bevölkerung ist die Stimmung jedenfalls gedrückt. Das Gesicht des ansonsten freundlichen Ladenbesitzers im nördlichen Athener Vorort Vrilissia spricht Bände. „Die Leute haben die Lust auf den Kauf von Weihnachtsgeschenken verloren – auch die, die noch Geld dafür haben“, klagt er.

Die Anfang voriger Woche unerwartet getroffene Entscheidung des Regierungschefs, die turnusgemäß erst im Februar anstehenden Präsidentenwahlen um rund zwei Monate vorzuziehen, trifft die krisengeplagte griechische Wirtschaft schwer – und das ausgerechnet vor den Festtagen. Samaras begründete seinen Schritt, die Präsidentenwahl vorzuziehen, mit der im Land herrschenden Unsicherheit. Seine Devise: „Hellas braucht Klarheit – sofort“.

Nur: Samaras’ Schuss könnte nach hinten losgehen. Dass der von ihm vorgeschlagene Kandidat, sein eher farbloser Parteifreund Stavros Dimas (73) und ehemaliger EU-Kommissar für Umweltfragen, in den ersten beiden Wahlgängen heute und am kommenden Dienstag mindestens 200 oder in einem dritten Wahlgang am 29. Dezember 180 Stimmen im 300 Abgeordnete zählenden Parlament auf sich vereint, ist mehr als fraglich. Im ersten Wahlgang dürfte Dimas höchstens 165 Stimmen erhalten.

Neben den 155 Regierungsabgeordneten kann er mit vielleicht zehn Stimmen von unabhängigen Abgeordneten rechnen. Scheitert die Präsidentenwahl, muss das Parlament umgehend aufgelöst werden. Frühester Wahltermin für die dann fälligen Neuwahlen wäre der 25. Januar, spätester Wahltermin der 8. Februar.

Bei Neuwahlen droht das "Schreckgespenst"

Bei Neuwahlen wäre Syriza der Favorit, das Bündnis der Radikalen Linken, angeführt von Europas „Schreckgespenst“ Alexis Tsipras. Er will das Sparprogramm beenden und fordert einen Schuldenschnitt. Zudem will Tsipras die Löhne auf das Niveau vor der Krise anheben, entlassene Staatsbedienstete wieder einstellen und Privatisierungen zurücknehmen. Das klingt gut in den Ohren der Griechen, die ihren Job verloren haben. Im Land ist jeder Vierte arbeitslos. Tsipras tönt, künftig werde „nicht mehr Griechenland nach der Musik der Märkte tanzen, sondern die Märkte nach seiner Musik.“ Seine Anhänger jubelten.

Allerdings sind die Griechen keineswegs in Wahlstimmung: Einer Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts GPO zufolge teilen 61,2 Prozent der Befragten die Ansicht, mögliche Neuwahlen würden generell „Gefahren für die Wirtschaft des Landes bergen“. In puncto Euro sind sich die Griechen jedenfalls in weiten Teilen einig. Laut GPO plädieren 72,4 Prozent der Hellenen für einen Verbleib in Euroland, nur 26 Prozent sind dagegen. Auch Tsipras, von seinen Gegnern gerne abschätzig der „Hugo Chavez des Balkans“ genannt, ist mittlerweile eindeutig für einen Verbleib seines Landes in der Eurozone.

Das Problem für Samaras ist, dass sich nur 37,6 Prozent der Griechen für eine Fortsetzung der Verhandlungen der Athener Regierung mit der Gläubiger-Troika aus der Europäischer Union, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) erwärmen können. Dabei würde es um weitere Sparmaßnahmen samt Steuererhöhungen im Euro-Sorgenland gehen. Viele Abgeordnete der Regierungsparteien fordern eine harte Gangart: „Wir werden ein neuerliches Sparpaket niederstimmen.“

Doch die Troika lässt sich von solchen Stimmen nicht beirren und verlangt weitere Reformen. Athen müsse „bei bereits gegebenen Zusagen in einigen Bereichen Klarheit“ schaffen und diese konkretisieren, berichtete die „Bild“-Zeitung. So solle die Regierung in Athen die Steuerfahndung verstärken. Außerdem müssten die Mehrwertsteuer für Hotels von 6,5 auf 13 Prozent erhöht und zu großzügige Vorruhestandsrechte abgeschafft werden. Die griechische Regierung habe sich vorbehaltlos verpflichtet, Zielvorgaben für den Haushalt 2015 einzuhalten, heißt es in einem Troika-Bericht. Dennoch sei eine „beträchtliche Lücke“ zu erwarten. Derzeit würden „Maßnahmen zur Schließung dieser Lücke erörtert“.

Samaras ist in einer Zwickmühle

Griechenland ist seit 2010 mit zwei großen Rettungsprogrammen in Höhe von insgesamt 240 Milliarden Euro von den EU-Staaten und dem IWF über Wasser gehalten worden. Das Land will dennoch nach einem Testlauf in diesem Jahr 2015 an die Finanzmärkte zurückkehren.

Samaras ist jedenfalls in einer Zwickmühle. Gehen die Daumen der Troika-Kontrolleure, deren Prüfung spätestens Ende Februar abgeschlossen sein soll, nach unten, hängt Griechenland buchstäblich in der Luft. Denn ohne die Erfüllung der Auflagen würden Hilfsgelder in Höhe von 10,6 Milliarden Euro nicht auf den Weg nach Athen gebracht werden. Die braucht die Regierung aber dringend: Im nächsten Jahr muss sie IWF-Kredite tilgen und fällige Staatsanleihen begleichen. Der Geldbedarf: mehr als 16 Milliarden Euro. Die ersten größeren Zahlungen sind bereits im März fällig. Ohne die Troika-Gelder droht Griechenland der Staatsbankrott.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte mit Blick auf mögliche Neuwahlen Griechenland vor einer Abkehr vom Spar- und Reformkurs. „Ich denke, die Griechen wissen sehr genau, was ein falsches Wahlergebnis für Griechenland und die Euro-Zone bedeuten würde“, sagte er. Er wolle nicht, dass extremistische Kräfte in Athen ans Ruder kämen.

Und auch Pierre Moscovici, EU-Wirtschafts- und Finanzkommissar, appellierte an die Griechen, auf Kurs zu bleiben. Das Volk habe zwar genug gelitten und enorme Fortschritte erzielt, aber es müssten noch Reformen umgesetzt werden, sagte Moscovici.

Er nannte die Vorschläge einiger griechischer linker Politiker, die Schulden des Landes nicht zu zahlen, „selbstmörderisch“. Nicht ohne Grund nehmen manche Beobachter jetzt wieder das Wort „Grexit“, den Austritt Griechenlands aus dem Euroland, in den Mund. Der Notenbankchef Ioannis Stournaras schlug bereits Alarm: Die Gefahr einer neuen Krise sei groß. Er rief die Politiker des Landes auf, sich zu verständigen. Anderenfalls drohten „irreparable Schäden“.

Samaras geht mit der vorzeitigen Präsidentenwahl zweifellos ein großes Wagnis ein. Sollte aber das griechische Parlament Dimas zum neuen Staatschef wählen, hätte der Regierungschef wohl bis zum Juni 2016 freie Bahn – er könnte dann einigermaßen problemlos neue Sparpakete durchboxen und die Privatisierungen fortsetzen. Ab morgen hat er aber erst einmal eine Zitterpartie durchzustehen.