Paris und der Eiffelturm sind Ziel einer Radtour entlang der Avenue Verte. Foto: Uwe Klemme/Rückenwind

Die Avenue Verte ist ein Radweg von London nach Paris. Die grüne Route lockt mit viel Natur, Geschichte und Kultur.

London - Nur noch ein paar Kilometer die Seine entlang. Paris wartet. Der Fluss glitzert silbern. Paddelboote, Ausflugsdampfer sind unterwegs. „Bongschor“, tönt es von hinten. Immer wieder: „Bongschor“. Ken grüßt alle Spaziergänger, Jogger und Inlineskater auf dem idyllischen Uferweg. Der freundliche Neuseeländer, mit seiner Frau Kathy auf Europatrip, radelt in gelber Leuchtweste auf der Avenue Verte, dem Radweg, der London mit Paris verbindet. Die letzte Etappe führt vom noblen Pariser Vorort Maison Laffitte durch Wohnquartiere und Parks, bevor sie im großstädtischen Treiben endet. Seit einer Woche ist Ken unterwegs, einer der Radbegeisterten, die sich morgens beim Frühstück und abends beim Absacker in den täglich wechselnden Hotels treffen.

Die „grüne Route“ für Radler und Wanderer wurde anlässlich der Olympischen Spiele 2012 in London eingeweiht. Auch Paris hatte sich beworben. Der Wettkampf um die Spiele mündete in Kooperation, jedenfalls beim Radweg. Die etwa 400 Kilometer lange Strecke bietet immer wieder herausfordernde Anstiege, ist aber mit normaler Kondition gut zu bewältigen. Der Ärmelkanal wird mit der Fähre überquert. Der Weg führt durch ebenso geschichtsträchtige wie abwechslungsreiche Landschaften. Großstadt, Wald und Wiesen, hübsche Provinzstädte - alles da. Doch zurück zum Start: Infos und Kartenmaterial gibt es am Abend vor Reisebeginn. Morgens drehen die Touristen im engen Hof des Londoner Hotels eine Proberunde auf den soliden 21-Gang-Rädern, bevor sie sich in den dichten Verkehr nahe der Metro-Station „Elephant and Castle“ wagen. Das Radeln fühlt sich gleich gut an, denn aus dem Sattel hat man eine hervorragende Sicht auf Parlament, Westminster Abbey oder Big Ben.

Brombeerbüsche laden zum Naschen ein

Das London Eye, mit 135 Metern höchstes Riesenrad der Welt, verführt zum ersten Fotostopp. Aus dem quirligen Zentrum geht es durch ruhige Nebenstraßen in große Parks, schläfrige Vororte und dann ins südliche Umland nach Sussex: Wälder, Weizenfelder, Wiesen mit Schafen und Kühen. Brombeerbüsche laden zum Naschen ein. In der kleinen Kirche St. Peter and St. Paul beim Flecken Chaldon ist ein geheimnisvolles Wandgemälde aus dem 12. Jahrhundert zu sehen, das comicartig Paradiesfreuden und Höllenqualen zeigt. Anderntags wird ein steiler Anstieg mit dem Blick auf eine tiefe Schlucht belohnt: „Devil’s Dyke“. Der Teufel soll sie einst gegraben haben, damit Kirchen und Klöster vom Meer überschwemmt würden. Das ging bekanntlich schief.

Und so kann man das Rad beruhigt nach Brighton, Englands berühmtestem Seebad, rollen lassen und gleich den exotischen „Royal Pavilion“ bewundern. Der Kronprinz und spätere König George IV. ließ ihn vor etwa 200 Jahren als Liebesnest bauen. Einen bizarren Kontrast bildet das rostige Stahlskelett des ausgebrannten und halbzerfallenen West Pier, der wohl bald ganz im Meer versinken wird. Kreischende Möwen überall, auch auf dem Weg nach Newhaven, vorbei an hohen Kreidefelsen und Pubs mit lustigen Namen wie „Smugglers Rest“.

Dann schippert die Kanalfähre mit Musik und Theater ins französische Dieppe. Breite Kieselstrände und hohe Klippen auch hier - ein ähnliches Bild wie vier Stunden zuvor an der englischen Küste. Schließlich war Brighton Vorbild, als sich Dieppe im 19. Jahrhundert zum exquisiten Badeort entwickelte. Licht und Landschaft lockten englische und französische Maler der Romantik an wie Joseph Turner oder Ferdinand Delacroix. Später kamen die Impressionisten, etwa Claude Monet, der 1882 die Steilküste, oder Camille Pissarro, der 1902 den Hafen malte - eine Szene, die viel Ruhe ausstrahlt. Heute herrscht Trubel, als die Fähre den Radler in die Altstadt von Dieppe entlässt. Es bleibt Zeit für die gotische Kathedrale St. Jacques und die mittelalterliche Burg mit der größten Elfenbeinsammlung Europas. Abends sorgt fangfrischer Fisch für die Kondition. Am nächsten Tag zieht sich die „Avenue Verte“ auf einer ehemaligen Bahntrasse quer durch die Haute-Normandie, vorzüglich ausgeschildert und weitgehend eben.

Ein bisschen Wellness am Abend

Hier badet der Radler in Natur pur, Kaninchen hoppeln am Wegesrand, ab und zu ein altes Bahnwärterhäuschen, Dorfkirchturm und Ententeich, kleine Bauernhöfe mit Schafen, Schweinen, Pferden. Vor dem Renaissanceschloss von Mesnières-en-Bray lässt es sich gut pausieren mit Käse, Oliven, Baguette und Wein. Das nächste Ziel ist Forges-les-Eaux, bekannt für seine Heilquellen. Ein bisschen Wellness am Abend wäre nicht schlecht, denn am nächsten Tag geht es auf Bergtour nach Gisors auf halbem Weg zwischen Ärmelkanal und Paris. In der mittelalterlichen Burg des malerischen Orts sollen Templer 1307 ihren Schatz versteckt haben, als sie von König Philipp IV. verfolgt wurden. Viele Glücksritter haben dort seitdem erfolglos gesucht.

Der Radler keucht den steilen Burgberg hoch, die rote Normannen-Fahne im Blick. Wo heute Sonnenblumen blühen, haben sich Franzosen und Engländer einst blutige Schlachten geliefert. Um 1450 fiel die Normandie endgültig der französischen Krone zu. Bis dahin war der englische König zugleich Herzog der Normandie. Die Grenze zwischen den beiden Herrschaftsgebieten verlief genau in Gisors. Heute radeln Engländer und Franzosen einträchtig über die Avenue Verte, die hinter Gisors durch den waldreichen Naturpark Vexin français führt. Am letzten Tag geht es ganz entspannt die Seine-Schleife entlang zum hübschen „Parc des Impressionnistes“, der Monets berühmtem Garten in Giverny nachempfunden ist. La Villette, das Ziel im Pariser Nordosten, liegt an einem großen Park. Tanzmusik weht herüber, eine gute Einstimmung auf Pariser Romantik. Das Fahrrad hat ausgedient, jetzt ist die Metro angesagt.

Infos zur Radtour von London nach Paris

Anreise
Flug: von Stuttgart direkt nach London-Heathrow mit Germanwings ( www.germanwings.com ) oder British Airways ( www.britishairways.com ).

Rückreise aus Paris: Flüge mit Germanwings ( www.germanwings.com ) oder Air France ( www.airfrance.com ), Zugfans nehmen den TGV. Mitnahme von Fahrrädern bei Germanwings und British Airways sowie im TGV möglich, allerdings müssen die Räder verpackt sein: http://tgv.de.voyages-sncf.com/fahrradmitnahme-tgv

Veranstalter
Die beschriebene neuntägige Radreise von London nach Paris (oder in umgekehrter Richtung) wird vom Veranstalter Rückenwind angeboten. Der Preis von 798 Euro umfasst acht Übernachtungen mit Frühstück, Gepäcktransport, Fähre, Infogespräch sowie detaillierte Routenbeschreibung mit Karten und GPS-Daten. Ein Begleitbus ist immer in der Nähe. Fahrräder können auch ausgeliehen werden (80 Euro), Elektro-Bike: 170 Euro. www.rueckenwind.de ; Telefon 04 41 / 4 85 97 16.

Ähnliche Touren mit etwas anderer Streckenführung und Leistungsspektrum werden von diversen Veranstaltern angeboten, etwa Sisu-Aktivreisen ( www.sisu-aktivreisen.de , Telefon 04 61 / 6 37 90), Mecklenburger Radtour, ( www.mecklenburger-radtour.de ; Tel. 0 38 31 / 3 06 76 - 0) oder Radissimo ( www.radissimo.de , Tel: 07 21 / 35 48 18 - 0).

Allgemeine Auskünfte
Avenue Verte: http://avenuevertelondonparis.co.uk/ ; Auskünfte zu Großbritannien und Frankreich: www.visitbritain.com/de www.rendezvousenfrance.com