Libera Lisa Thomsen hat bei den Vertragsverhandlungen gepokert – und den Verein verlassen. Foto: Baumann

Die halbe Mannschaft ist neu, das hohe Ziel geblieben: Die Volleyballerinnen von Allianz MTV Stuttgart wollen Titel gewinnen.

Stuttgart - „Carls Brauhaus“ am Stuttgarter Schlossplatz hat einen schönen Nebenraum, in dem ein Hirschgeweih an der Wand hängt. Am Mittwoch wurde es zweckentfremdet. Über den Enden war ein schwarzes T-Shirt drapiert, auf dem in großen Ziffern zu lesen stand: „5392“. Diese Zahl steht symbolisch für die erfolgreiche Saison 2015/16 der Stuttgarter Volleyballerinen. Und sie ist zugleich Verpflichtung und Motivation für die Zukunft. „Wir sind vorbereitet, um den nächsten Schritt zu machen“, sagt Sportdirektor Bernhard Lobmüller, „wir wollen angreifen.“ Die aktuelle Lage: In vier Endspielen stand Allianz MTV Stuttgart in den vergangenen zwei Jahren, stellte während der DM-Finalserie am 30. April in der Stuttgarter Porsche-Arena mit 5392 Zuschauern einen Rekord auf – nie kamen mehr Volleyball-Fans zu einem Frauenspiel. 2015 holten die Stuttgarterinen zwar den Pokal, scheiterten danach aber dreimal knapp am Dresdner SC. Was für Frust sorgte, aber auch Ansporn ist. „Wir wollen um Titel spielen“, sagt Lobmüller, „wenn wir es schaffen, einen ähnlichen Teamspirit zu entwickeln wie vor einem Jahr, wovon ich ausgehe, dann haben wir nächste Saison einen noch stärkeren Kader.“ Die Mannschaft: Vor allem die Duelle gegen Dresden haben gezeigt, woran es den Stuttgarterinnen gefehlt hat – an Größe. Das wird sich ändern. Die neuen Mittelblockerinnen Jennifer Pettke (1,87 m/vom 1. VC Wiesbaden) und Nia Grant (1,88 m) haben ebenso Gardemaß wie die neue Diagonalangreiferin Aiyana Whitney (1,92 m/beide von der US-Universität Penn State). Geholt hat der MTV zudem in der 19-jährigen Julia Schäfer (1,88 m/vom USC Münster) eine talentierte, ehrgeizige deutsche Außenangreiferin. Und auch noch reichlich Erfahrung: Libera Wanna Buakaew (35) spielte vergangene Saison noch beim Champions-League-Gegner Azerrail Baku, vor allem Trainer Guillermo Narranjo Hérnandez ist überzeugt von den Qualitäten der Thailänderin: „Ich bin glücklich, dass ihre Verpflichtung gelungen ist.“ Ebenfalls über große internationale Erfahrung verfügt Zuspielerin Karmen Kocar (33), die zuletzt beim Liga-Konkurrenten Straubing Regie führte. Komplettiert wird der Kader von den bisherigen Stammkräften Kim Renkema, Michaela Mlejnkova, Renata Sandor, die nach ihrem Kreuzbandriss auf dem Weg zu alter Fitness ist, Eigengewächs Julia Wenzel (alle Außenangriff), Valerie Nicole Nichol (Zuspiel), Micheli Tomazela Pissinato (Mittelblock) und Deborah van Daelen (Diagonalangriff). Sechs Neuzugänge integrieren zu müssen, ist aus Sicht von Lobmüller eine normale Sache: „Das ist im Wanderzirkus Volleyball nicht außergewöhnlich – und auch kein Problem.“

Die Abgänge: Jelena Wlk (gibt dem Beruf den Vorrang) ging von sich aus, Caroline Jarmoc und Femke Stoltenborg wollte der Verein nicht halten. Im Gegensatz zu Nichole Lindow (zurück in die USA) und Kaja Grobelna. Vor allem der Wechsel der Diagonalangreiferin nach Polen tat weh. „Sie hat bei uns stark gespielt“, erklärt der Sportdirektor, „und trotzdem bei weitem noch nicht alles gezeigt, was sie kann.“ Am längsten zogen sich die Verhandlungen mit Libera Lisa Thomsen hin, die dem Verein nicht zusagen wollte, als dieser auf eine Entscheidung drängte. „Sie pokert gerne“, meint Lobmüller, „und, um ehrlich zu sein, passte sie auch nicht unbedingt in unser Budget.“ Der Etat wird auch nächste Saison wieder und 900 000 Euro betragen.

Der CEV-Pokal: Mit Kosten von rund 120 000 Euro zu teuer, zu aufwendig, sportlich zu unattraktiv – Allianz MTV Stuttgart hat nach kurzer Überlegung darauf verzichtet, die Qualifikation für die Champions League zu spielen. Stattdessen meldete der Verein für den CEV-Pokal, der im November gleich im K.-o.-Modus beginnt. Die Vorbereitung: Erstes Training ist am 8. August, in die Bundesliga startet der MTV am 23. Oktober beim USC Münster, Heimpremiere des neuen Teams ist am 28. Oktober gegen die Roten Raben Vilsbiburg. Vor einem Jahr waren etliche Spielerinnen bei der EM beschäftigt und stießen erst kurz vor Saisonbeginn zum Team. Weil die Olympischen Spiele ohne MTV-Beteiligung stattfinden, hat Trainer Hérnandez seinen Kader diesmal von Anfang an komplett beieinander: „Das ist eine sehr gute Ausgangslage.“

Der Ausblick: Das MTV-Team hat sich nicht nur im Stuttgarter Sport zu einer attraktiven Größe entwickelt. Der Kader dürfte gut genug sein, um den Platz in der deutschen Spitze festigen zu können. Zumal die Spielerinnen, die geblieben sind, für die Mentalität der Mannschaft stehen. „Die ist ein bisschen wie bei den isländischen Fußballern“, sagt Sportchef Lobmüller, „auch wir gehen mit der Einstellung aufs Feld, dass wir jeden schlagen können.“ Was es auch nächste Saison zu beweisen gilt.