Stevens: Ein Scheitern würde persönlich an ihm nagen. Bleibt er dem VfB Stuttgart erhalten? Foto: Baumann

Für viele ist Huub Stevens bereits als lahme Ente verschrien. Doch die lahme Ente schwimmt noch immer über Wasser, dort soll sie auch den VfB halten. Was treibt diesen Mann an?

Stuttgart - Man würde von Huub Stevens gerne so vieles erfahren. Wie es so ist, beim Tabellenletzten der Bundesliga Trainer zu sein. Trainer auf Abruf. Welche Motivation ihn packt, Woche für Woche die Schreckensvokabeln des Fußballs durchzukauen: Endspiel, Schicksalsspiel, Schlüsselspiel. Ein nicht enden wollender Kampf gegen den Abstieg. Und ob er nicht mehr Gefallen daran finden würde, die Wochenenden in seinem Häuschen in den Niederlanden zu verbringen als auf der harten Trainerbank des VfB?

Aber Hubertus Jozef Margaretha „Huub“ Stevens möchte lieber nichts dazu sagen. Die Pressekonferenzen vor und nach den Spielen sind ihm genug der Öffentlichkeitsarbeit. Doch ergibt sich daraus ein vollständiges Bild des 61-jährigen Fußballlehrers? Der Journalisten erst ankeift, um wenig später den Schenkelklopfer zu geben. Der nach nervigen Fragen mit geschwollener Halsschlagader und gefrorenen Pupillen im nächsten Moment einem alten Bekannten herzlich um den Hals fallen kann. Und der mit dem gesamten rhetorischen Inventar umzugehen weiß: Phrasen, Sticheleien, aber auch Klartext. Stevens Lieblingsfloskel: „Das hoffe ich für Sie!“

Vielleicht ist der ganze Wahnsinn ja auch nicht anders zu ertragen.

Wer sich umhört bei Spielern, Vereinsmitarbeitern und Weggefährten des Niederländers, kann zumindest erahnen, wie es in dem Menschen und Fußballtrainer Huub Stevens aussieht. Wenn es eines für den 61-Jährigen nicht gibt, dann Aufgeben. Tabellenletzter zehn Spieltage vor Schluss, fünf Punkte zum rettenden Ufer? Pah, was ist das schon!

Stevens wächst in einem Arbeiterviertel von Sittard auf. Sein Vater schuftet in einer Kohlemine; er verunglückt bei einem Autounfall, als Huub 17 ist. „Ich habe mein Leben damals verflucht“, sagt Stevens in einer Biografie von Theo Vaessen. Er macht eine Schlosserlehre, spielt nebenher Fußball und unterstützt seine Mutter und die vier Brüder. „Das hat mich im Leben weitergebracht.“ Angst kennt er keine. Als Kind fällt er mit seinem Tretroller in einen reißenden Fluss. „Er hatte kein Gefühl für Gefahr“, charakterisiert seine Mutter ihren Filius.

Der VfB ist sicher nicht Stevens letzte Station

Das zweite zentrale Merkmal in Stevens’ Biografie ist die Begeisterung für den Fußball, wie sie wohl nur ein Straßenkicker entwickeln kann. Stevens liebt Fußball, Stevens lebt Fußball. So viel zur Frage nach dem Häuschen im Grünen. Seine von langer Krankheit genesene Frau Toos kann zu Hause in Eindhoven jedenfalls gut auf einen grantigen, unbeschäftigten Trainer verzichten. Beim VfB sind sie fest davon überzeugt, dass die Station in Stuttgart nicht die letzte seiner Karriere sein wird.

Vielen erscheint er auf dem Cannstatter Wasen nach wie vor als Heilsbringer, trotz der immer düstereren Lage im Tabellenkeller. Bei den Fans schon als lahme Ente abgeschrieben, aber im Verein: kein schlechtes Wort über Stevens. Stattdessen Lob, wie er selbst beim Reservistentraining bis zum Schluss auf dem Platz steht. Oder wie er für Busfahrer und Platzwart immer ein offenes Ohr hat. Und – wichtige Tugend im Schwabenland – wie er morgens um 7.30 Uhr im Clubhaus einläuft. Als einer der Ersten!

„Es gibt Leute, die gehen gerade durch ein Haus. Huub schaut immer auch nach links und rechts“, sagt Sportvorstand Robin Dutt. Was er besonders an ihm schätzt? Dutts Antwort: Empathie. Also die Eigenschaft, die Persönlichkeitsmerkmale anderer zu erkennen und zu verstehen. In die Fußballsprache übersetzt: Streicheln und draufhauen – und das im richtigen Moment.

Sein Hart-aber-herzlich-Image streichen sie auch noch dort hervor, wo er schon länger tätig war als beim VfB Stuttgart – bei Schalke 04 zum Beispiel. Mit dem Zusatz, das Hart-aber-herzlich habe an guten Tagen gegolten; an schlechten sei Stevens nur schwer zu ertragen gewesen. Er war laut, habe nicht immer den richtigen Ton getroffen, heißt es, und das habe nichts damit zu tun, dass er Deutsch nicht als Muttersprache gelernt hat. Auch andernorts galt Stevens mit der Zeit als Sturkopf, als beratungsresistent gar. Mit einer Trainingslehre, die schon lange nicht mehr modernsten Standards entspricht. Oft sei ihm auch morgens auf dem Trainingsplatz nicht mehr so viel eingefallen. Zum Glück gab es noch die Co-Trainer.

Das Alphatier lässt sich von niemandem reinreden

Auch in Stuttgart überlässt Stevens viel seinen Assistenten, allen voran Adrie Koster. Durch besondere Innovationen sind die beiden noch nicht aufgefallen. Was sich wiederum in den Spielen der Mannschaft widerspiegelt. Andererseits: Keiner verlangt von Stevens in Stuttgart, den Fußball neu zu erfinden. Er soll die Klasse halten – fertig. Dass seine jüngste taktische Kehrtwende in Richtung Offensivfußball nur dem Einflüstern von Robin Dutt zu verdanken sei, wird bestritten. Das Alphatier Stevens lässt sich von niemandem reinreden – schon gar nicht von seinem Chef.

Wer ihn bei seiner täglichen Arbeit beobachtet, merkt ihm den Spaß am Fußball noch immer an. Er findet Gefallen daran, einen Jungspund wie Timo Werner beiseitezunehmen und ihm seine Welt des Fußballs zu erklären. Oder in Großaspach Spiele der zweiten Mannschaft anzuschauen. Und einfach nur mit den Stollen im Matsch zu stehen. „Er macht das nicht, weil er hier irgendwem gefallen will. Stevens ist besessen von der Mission, den VfB in der Bundesliga zu halten“, sagt ein Spieler. Dass die Mannschaft sich öffentlich für ihn ausspricht, bereitet dem Coach Genugtuung.

Stevens macht es für den Verein, zu dem er kein leidenschaftliches, aber ein professionelles Verhältnis pflegt. Aber natürlich auch für sich selbst. Stevens ist eitel. Den „Knurrer von Kerkrade“ liebt er, auch wenn er es nie zugeben würde. Dass seine Entlassung Woche für Woche diskutiert wird und hinter seinem Rücken mit Alexander Zorniger längst ein Nachfolger spätestens für die neue Saison ausgemacht ist, akzeptiert er als übliches Geschäftsgebaren. Es spornt ihn umso mehr an, es all seinen Kritikern zu zeigen. Aufgeben? Kommt nicht infrage!