Das Smartphone hat schnell einen Sprung- doch zahlt auch die Versicherung Foto: Gunnar Assmy/Fotolia

Verlorene Dinge als gestohlen melden, die Schadenssumme erhöhen – viele Versicherungsnehmer empfinde es als gerecht, dass sie von ihren eingezahlten Prämien auch mal etwas zurückbekommen.

Köln - Die Großeltern sind mit ihrer Enkelin im Freibad. Die Kleine planscht, ein super Fotomotiv. Doch beim Fotografieren fällt dem Großvater das Smartphone ins Becken. Ein teures Missgeschick: Denn bei eigenem Verschulden zahlt die Versicherung den Schaden in Höhe von 400 Euro nicht. Doch der Schwiegersohn hilft aus: Er behauptet gegenüber seiner Haftpflichtversicherung, er habe seinen Schwiegervater versehentlich gestoßen, dieser sei ausgerutscht und samt Telefon ins Wasser geplumpst. Tatsächlich: die Versicherung übernimmt den Schaden.

Es sind solche kleinen, unspektakulären und in den allermeisten Fällen auch unentdeckten Betrügereien, die der Assekuranz das Leben schwer machen. Versicherungsbetrug ist Alltag hierzulande, in Umfragen räumt etwa jeder vierte Befragte ein, schon mal seinen Versicherer übers Ohr gehauen zu haben. Die kleinen Fälle summieren sich: Laut Schätzung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sind es allein in der Schaden- und Unfallversicherung vier Milliarden Euro im Jahr. Und auch deren Kunden werden geschädigt, denn schließlich kommen diese letztlich in Form von höheren Prämien dafür auf.

Meistens liegt der Betrug darin, einen nicht versicherten Schaden anders darzustellen oder die Schadenssumme zu erhöhen, etwa wenn ein verlorener Gegenstand als gestohlen gemeldet wird oder bei einem tatsächlichen Diebstahl einfach einige in Wirklichkeit noch vorhandene Gegenstände zur Schadensmeldung hinzugefügt werden. Wenn man sich erwischen lässt, drohen nicht nur der Entzug des Versicherungsschutzes und zivilrechtliche Konsequenzen, sondern auch eine strafrechtliche Verfolgung wegen Betrugs.

Was aber macht ansonsten rechtschaffene Bürger in Versicherungsfragen zu Betrügern? Mit dieser Frage haben sich die Kölner Wirtschaftspsychologen Vanessa Köneke, Horst Müller-Peters und Detlef Fetchenhauer beschäftigt und darüber das Buch „Versicherungsbetrug verstehen und verhindern“ verfasst. „Versicherungsbetrug kann man oft weniger logisch erklären als psychologisch“, sagt Horst Müller-Peters, Professor für Marketing und Kundenverhalten an der Fachhochschule Köln und Leiter der Forschungsstelle Versicherungsmarkt. Eine wichtige Rolle spielt die Moral. Denn rational wäre ein Versicherungsbetrug eigentlich erst, wenn es um eine größere Summe geht – doch oft sind es kaum mehr als 100 Euro.

Derart kleine Beträge lassen sich moralisch vor sich selbst eher rechtfertigen. „Viele Versicherungskunden fühlen sich trotz Falschangaben nicht als Betrüger“, sagt Vanessa Köneke, Erstautorin des Buches. Denn öffentlich bekannt werden vor allem die spektakulären Fälle professionellen Versicherungsbetrugs: die 64-jährige Wirtin, die ihren Gasthof in die Luft jagte und sich dadurch die Versicherungssumme von 800 000 Euro erschleichen wollte. Oder auch der Fall eines 50-jährigen Schleswig-Holsteiners, der sich absichtlich mit einer Kreissäge Daumen und Zeigefinger abschnitt, um seine Unfallversicherung zu prellen. „Anhand dieser Beispiele denken viele, dass dies doch die wahren Betrüger sind und nicht man selbst – nur weil sie zum Beispiel die Schadenssumme erhöhen, um einen Selbstbehalt auszugleichen“, so Köneke.

Eine weitere wichtige Komponente ist, dass der alltägliche Versicherungsbetrug von vielen Menschen als Kavaliersdelikt betrachtet wird. Laut einer aktuellen Emnid-Umfrage hält es immerhin jeder zehnte Deutsche für verzeihlich, gegenüber einem Versicherer Falschangaben zu machen. „Aus evolutionspsychologischer Sicht haben Menschen ein intuitives Verständnis von Eigentumsrechten“, erläutert Detlef Fetchenhauer, Professor für Wirtschafts- und Sozialpsychologie an der Uni Köln. Diese Intuition sei jedoch bei immateriellen Gütern nicht vorhanden, so Fetchenhauer. „Das lässt Delikte wie Versicherungsbetrug weniger schlimm erscheinen.“

Auch Persönlichkeitsmerkmale wie Risikotoleranz oder Risikofreude sowie Egoismus spielen eine Rolle dabei, ob Versicherungskunden zu Betrügern werden oder nicht. Oftmals fühlen sie sich aber auch einfach ungerecht behandelt – nämlich dann, wenn sie einen tatsächlichen Schaden haben, dieser aber nicht versichert war. Vor allem, wenn nur im Kleingedruckten stand, dass der Schaden nicht versichert ist, fühlt sich so mancher dazu berechtigt, den Schaden etwas anders darzustellen, damit die Versicherung doch leistet.

Dieses sogenannte Umdefinieren ist eine häufige Art des Versicherungsbetruges, ebenso wie das Übertreiben eines Schadens. Letzteres hat auch wieder eine psychologische Komponente: „Kunden betrügen oft nicht einfach, um das Konto aufzubessern, sondern weil sie etwa bei einem Einbruchschaden bei der Schadenssumme lügen, um eine Art Schmerzensgeld für den emotionalen Stress zu erhalten“, sagt Köneke.

Der Ratschlag der Kölner Wirtschaftspsychologen an die Assekuranz: Mehr Offenheit in Bezug auf die Versicherungsbedingungen und eine genauere Aufklärung über die Prinzipien einer Versicherung könnten Betrügereien vorbeugen. Ebenso haben verschiedene wissenschaftliche Studien gezeigt, dass Verträge, die anstelle von Selbstbehalten etwa mit Beitragsrückerstattungen bei Schadensfreiheit arbeiten, Betrug reduzieren können. Schärfere Kontrollen, so die Experten, würden eigentlich viel zu spät ansetzen.