FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke und der Anwalt Thomas Württemberger bei der Klageeinreichung Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Mit ihrer Klage gegen den Corona-Haushalt des Landes ist die FPD gescheitert. Aber: Die Entscheidungsfreiheit künftiger Landtage stellt das Urteil unter besonderen Schutz.

Nach zwei Minuten hat der Richter am Verfassungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg, Malte Graßhof, die erste Hauptbotschaft seines Urteils schon verkündet: Die FDP ist mit ihrer Organklage gegen den Landtag wegen der Schuldenaufnahme in der Corona-Pandemie gescheitert. Das Gericht sah die Rechte der FDP-Fraktion nicht als verletzt an, „weil das Budgetrecht ausschließlich ein Recht des Landtags als Gesamtorgan“ sei, nicht aber ein eigenes Recht der einzelnen Fraktionen.

Doch was Graßhof in der nächsten halben Stunde erläutert und was das Urteil auf insgesamt 16 Seiten begründet hat, entpuppte sich nicht als eine glatte Niederlage der klageführenden Liberalen. Konkret ging es bei der Klage um den dritten Nachtragsetat der grün-schwarzen Koalition für den Doppeletat 2020/2021. Dabei hatte die Koalition sich unter Berufung auf die Ausnahmeklausel der Schuldenbremse neuerliche Kreditrechte von fast 942 Millionen Euro gesichert – nachdem der Landtag zuvor bereits eine Kreditrahmen von 7,2 Milliarden Euro bewilligt hatte, um die Folgen der Corona-Pandemie bewältigen zu können.

Recht des Landtags als Ganzes

Die FDP-Fraktion sah in dieser Kreditaufnahme die Landesverfassung sowie ihre Rechte als Fraktion verletzt. Dieser Argumentation folgte der Verfassungsgerichtshof nicht. „Eine Verletzung von eigenen Rechten der FDP-Fraktion lag ersichtlich nicht vor“, heißt es in dem Urteil. Das Haushaltsrecht sei „ausschließlich ein Recht des Landtags als Gesamtorgan, nicht jedoch ein eigenes Recht der Fraktionen“.

Allerdings brach das Gericht unter Verweis auf eine gleichlaufende Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe mit einer langjährigen Tradition seiner eigenen Rechtsprechung. Es erlaubt nämlich jetzt ausdrücklich, dass eine Fraktion in bestimmten Fällen bei Organklagen Rechte des Landtags im eigenen Namen geltend machen kann, was in der Fachsprache als „Prozessstandschaft“ bezeichnet wird. Damit werden Oppositionsrechte gestärkt; künftig kann eine einzelne Fraktion eine Organklage führen, wo bisher ein Quorum von 25 Prozent der Abgeordneten als Voraussetzung vorgeschrieben war.

Allerdings gilt diese Öffnung nicht für alle Themen, sondern lediglich für Fragen, „die die Entscheidungs- und Gestaltungsmacht zukünftiger Landtage“ einzuschränken drohen. „Sieht die Verfassung eine derart zukunftsgewandte Schutzwirkung vor, kommt einer Oppositionsfraktion eine Wächterrolle zum Schutz künftiger Parlamente zu“, betonte Richter Graßhof. Nur insofern könne eine Fraktion verfassungswidrige „Vorwirkungen“ von Beschlüssen des gegenwärtigen Parlaments per Organstreitverfahren überprüfen lassen.

Schuldenbremse hat Schutzfunktion erfüllt

Bei der Kreditaufnahme über 942 Millionen Euro im dritten Nachtragshaushalt erkannte der Verfassungsgerichtshof allerdings keine derartige Einschränkung künftiger Haushaltsgesetzgeber. Zentral war für diese Bewertung, dass die Koalition die Kreditermächtigung in dieser Höhe zwar beschlossen, im Anschluss aber nicht genutzt hat. „Der Schutzzweck der Schuldenbremse, zukünftige Generationen vor Schuldenlasten zu schützen und zukünftigen Landtagen die haushaltspolitische Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit zu erhalten, war daher nicht berührt.“

Der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke verließ das Gericht trotzdem zufrieden. Er ist überzeugt, mit der Klage Rechtsgeschichte geschrieben zu haben. Dass der Verfassungsgerichtshof jetzt Organklagen unterhalb der 25-Prozent-Grenze aller Abgeordneten erlaube, wertete Rülke als Stärkung der Opposition. „Das ist ein klares Signal an die Landesregierung, vorsichtig mit der Schuldenbremse umzugehen“, betonte er schon im Blick auf die nächsten Etatberatungen. „Der Verwaltungsgerichtshof hat uns ein neues Schwert in die Hand gegeben.“

„Debatten gehören ins Parlament und nicht vor Gericht“

Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Andreas Schwarz bedauerte, dass das Gericht in der Sache nicht entschieden hat. „Das hätte mich gefreut, weil wir als grün-schwarze Koalition bei der Verwendung der Mittel blitzsauber und präzise vorgegangen sind.“ Er warnte die Opposition davor, politische Diskussionen in Gerichtssäle zu verlagern. „Diese Debatten gehören ins Parlament und nicht vor Gericht“, sagte Schwarz.

„Wir hatten nie die leisesten Zweifel daran, dass die liberale Fraktion für den von ihr beschrittenen Weg gar keine Antragsbefugnis hat und auch, dass am Gesetz gar keine materiell-rechtlichen Verstöße vorliegen“, betonte der CDU-Haushaltspolitiker Tobias Wald. Die Koalition sei stets von der Verfassungskonformität des Dritten Nachtragshaushalts überzeugt gewesen.

„Es ist gut, dass der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich feststellt, dass der Opposition eine Wächterrolle auch zum Schutz künftiger Parlamente zukommt“, sagte SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. „Dies stärkt die Rechte der Opposition im Landtag.“