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Demonstranten verwundert über Vorgehen im Schlossgarten - Beamter sieht politischen Druck.

Stuttgart - Friedliche Demonstranten treffen auf eine ungewöhnlich aggressive, ja provokante Polizei: Dieses Bild zeichnen Augenzeugen des 30. September vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags.

Der Einsatzgruppenleiter Thomas Mohr hat vor dem Untersuchungsausschuss seinen Eindruck bekräftigt, dass beim Polizeieinsatz am 30. September im Stuttgarter Schlossgarten "jemand die Hand im Spiel" hatte. "Das war nicht normal", sagte er über den Bruch mit der Deeskalationsstrategie. "Wir haben das von 0 auf 300 hochgefahren, das war atypisch."

Mohr, der auch Chef der Mannheimer Gewerkschaft der Polizei ist, sprach von "Druck", der möglicherweise auf die Stuttgarter Verantwortlichen ausgeübt wurde. Mohr: "Solche Entscheidungen trifft kein Polizeiführer selbständig." Bei mehreren früheren Einsätzen, etwa am Nordflügel, sei die Atmosphäre wesentlich entspannter gewesen. "Irgendetwas hat sich da geändert."

Mohr berichtete von einer "ganz normalen Bürgerschaft", die ihnen gegenüberstand. Die Menschen seien zwar aggressiv, aber nicht gewalttätig gewesen. Seine Aussage sei keineswegs eine Einzelmeinung.

Der Stuttgarter Schriftsteller Wolfgang Schorlau sprach von einem traumatischen Erlebnis im Park, da die Polizei die jugendlichen Demonstranten gezielt provoziert habe. "Da war ein Team, das sollte Schlägereien provozieren", sagte Schorlau. Einer der Beamte habe einen Jugendlichen mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Auch der Sprecher der Parkschützer, Matthias von Herrmann, berichtete von solchen Provokationen: "Die haben Schüler wild in der Gegend herumgeschubst." Polizisten in Zivil, manche mit Leuchtweste, seien auch mit erhobenem Schlagstock herumgelaufen.

Lebhafte Diskussionen löste er mit seinem Bekenntnis aus, der Widerstand gegen Stuttgart 21 sei zwar gewaltfrei. Gesetze und Vorschriften, die dem Fortgang des Bahnprojekts dienten, würden aber nicht beachtet. Von Herrmann: "Wir nehmen dabei auch Strafen in Kauf, wir stellen uns dem Staat." Grundsätzlich seien sie aber gewaltfrei, er habe am 30. September denn auch keinerlei Übergriffe gegen Polizisten gesehen. Den Wasserwerfereinsatz nannte er überflüssig, weil die Polizei die Demonstranten auch hätte wegtragen können.

Auch die Demonstrantin Sigrid Klausmann-Sittler, Ehefrau des Schauspielers Walter Sittler, bezeichnete den Polizeieinsatz als unverhältnismäßig: "Das war wie Krieg." Während sich die Polizei am Bahnhofsnordflügel "immer super anständig" verhalten habe, sei sie im Schlossgarten brutal vorgegangen. "Die haben die Leute mit dem Wasserwerfer von den Stühlen gefegt." Der Strahl habe auch auf Menschen gezielt, die in den Bäumen saßen. Ein Vorwurf, den auch Wolfgang Schorlau erhob: "Ich konnte keinen Grund erkennen außer Mutwillen."

Klausmann-Sittler empfand die Demonstranten als "zutiefst friedlich". Das Geschehen am 30. September wäre ihrer Einschätzung nach noch viel schlimmer abgelaufen, wenn sich die Demonstranten nicht so diszipliniert verhalten hätten. Zur Frage von verbalen Angriffen sagte sie: "Ich finden Lügenpack kein schlimmes Wort."

Der Stuttgarter Stadtdekan Michael Brock, der vergeblich versucht hatte, die Lage zu befrieden, geht von einer "planerischen Eskalation" im Schlossgarten aus. Zwar habe es keine Gewalt gesehen, doch die unverhältnismäßige Art, wie die Wasserwerfer auf die Menge gezielt haben, trug seiner Ansicht nach wesentlich zum dramatischen Verlauf des Einsatzes bei. Brock: "Wer solche Mittel heranfährt und sie auch benutzt, kann gar nicht mehr zurück." Die Situation habe eskalieren müssen.

Er berichtete auch von einem Telefonat mit dem Stuttgarter Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf, dem er berichtet habe, dass auch 13-Jährige vor die Wasserwerfer geraten seien. Brock: "Die Antwort war wörtlich: Dann nehmen Sie sie doch heraus."

Der Freiburger Rechtsprofessor Thomas Würtenberger hält den Einsatz von Wasserwerfern indes für statthaft, da die Polizei nur auf diese Weise einen Platzverweis durchsetzen habe können: "Es bestand die Möglichkeit, den Ort des Geschehens zu verlassen", sagte er zur Frage, ob der Einsatz verhältnismäßig war. Er wertet das Verhalten der Demonstranten als Verhinderungsblockade und insofern als unfriedlich.