Ein Individualist und sein Markenzeichen: Ulrich Hermani und seine Fliege gehören untrennbar ­zusammen Foto: Leif Piechowski

20 Jahre lang hat Ulrich Hermani die Geschicke des Südwest-Maschinenbaus maßgeblich mitbestimmt. Nun gibt er sein Amt als Geschäftsführer des Branchenverbands VDMA ab. Wer ist der Mann, der seinen Job so lange wie kein anderer vor ihm und dabei effizient und geräuschlos erledigt hat?

20 Jahre lang hat Ulrich Hermani die Geschicke des Südwest-Maschinenbaus maßgeblich mitbestimmt. Nun gibt er sein Amt als Geschäftsführer des Branchenverbands VDMA ab. Wer ist der Mann, der seinen Job so lange wie kein anderer vor ihm und dabei effizient und geräuschlos erledigt hat?

Stuttgart - Ulrich Hermani teilt die Welt gerne auf – in Menschen ohne Fliege, in Menschen mit Fliege und in Menschen mit der wahren Fliege. Natürlich gehört er selbst zur letzten Kategorie. Diese verschwindend kleine Minderheit benutzt keine vorgefertigten Querbinder, sondern fieselt ihren Krawatten-Ersatz eigenhändig um den hochgestellten Hemdkragen: Enden gleichauf, knoten, Fliege formen, Ende durchziehen, noch mal knoten, zurechtzupfen, fertig. Den komplexen Vorgang hat der 66-jährige Hermani so verinnerlicht, dass er nach etwa fünf Sekunden damit fertig ist. 120 Fliegen hängen bei ihm zu Hause im Schrank, aber nur eine Krawatte. „Für Beerdigungen“, sagt er. Für den gebürtigen Hessen ist das Kleidungsstück weit mehr als ein modisches Accessoire, es ist Ausdruck einer Lebenseinstellung. „Ich bin Individualist. Da passt eine Fliege ganz gut.“

Tatsächlich war Ulrich Peter Hermani, Spitzname UPH (sprich: Ju Pi Eytsch), immer schon etwas anders. Als Porsches noch schwer zu lenkende Statussymbole für Zahnärzte und Profi-Fußballer waren, fuhr der studierte Nationalökonom und Jurist auch schon einen. Das Auto war die Garantie dafür, dass er immer schnell ans Ziel kam, wie er sagt. Wichtig bei einer 70-Stunden-Arbeitswoche. Wahrscheinlich war es aber auch einfach der richtige Wagen für einen, den sein Umfeld mitunter als „schwer steuerbar“ einschätzt.

An diesem Abend Mitte Februar würde keiner der Gäste das laut sagen. Der Maschinenbauer Trumpf hat an den Firmensitz nach Ditzingen geladen. Offiziell geht es im Tagungssaal der Laser-Schmiede um „neue Wege in der Wirtschaftspolitik“, aber der eigentliche Star des diskreten Zusammentreffens ist Hermani. An alter Wirkungsstätte – Anfang der 1990er war Hermani die rechte Hand des Firmenpatriarchen Berthold Leibinger – soll er in erlauchtem Kreis in den Ruhestand verabschiedet werden. Sechs Redner stehen auf der Liste, und es hagelt Anerkennung von allen Seiten. Von seinen klaren wirtschaftspolitischen Überzeugungen ist die Rede, dass er Ordnungspolitik immer großgeschrieben und ein Übermaß an Staat immer abgelehnt habe. Dass er für weitreichende Entscheidungsfreiheit von Unternehmern gekämpft habe, aber sie auch in die Pflicht nahm, innovativ zu sein und den Schulterschluss mit den Gewerkschaften zu wagen. Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid (SPD) wird ihm am Ende seiner Rede „Wissbegierde“, einen „messerscharfen Verstand“ und ein seltenes Maß an „Wuseligkeit“ attestieren. „Ein echtes Original, das inhaltlich und modisch hervorsticht, verlässt die Bühne“, wird Schmid sagen und sich an der eigens angelegten Fliege zupfen – einer selbst gebundenen.

Hermani mag Schmid – nicht nur wegen der echten Fliege. Man kennt sich. Auch aus den Hinterzimmern der Südwest-Wirtschaft. In vielen wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen habe Schmid in den vergangenen Jahren „Tiefgang“ bewiesen. Besonders hoch rechnet er ihm an, dass er in Steuerfragen die Belange der mittelständischen Unternehmen in Baden-Württemberg vertritt – selbst in Berlin. Die Zusammenarbeit mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen nennt Hermani „konstruktiv“. Nirgends in Deutschland seien die Kontakte zwischen Wirtschaft und Politik besser als in Baden-Württemberg, auch unter Grün-Rot sei das so.

Dabei ist Hermani eigentlich ein CDU-Gewächs. Mit 13 Jahren wurde er Kreisvorsitzender der Jungen Union in Hofgeismar, einem verschlafenen Örtchen in Nordhessen. Seinen Vater beschreibt er als konservativ, seine Mutter als liberal. Doch während die CDU in Hofgeismar über den Neubau von Turnhallen und Gehwegen diskutierte, begann die Welt draußen, Größeres in den Blick zu nehmen: Den Vietnamkrieg, den Völkermord in Biafra, die deutschen Notstandsgesetze. An den Universitäten gärte es, und als Student in Freiburg war der Lehrersohn mittendrin. „Ohne Umweg bin ich in die 68er abgekippt“, sagt er heute. Mal wanderte er nach einer Demo in Polizeigewahrsam, mal verhinderte er mit Kommilitonen die Auslieferung der Frankfurter „Bild“-Zeitung, die damals gegen die Studentenproteste und ihre Führer hetzte.

Über diese Zeit hat Hermani eigentlich noch nie geredet. Nicht weil er etwas zu verbergen hätte. Mit einigem Stolz bezeichnet er sich heute noch als „richtigen Alt-68er“. Wahrscheinlich hat ihn nie jemand nach seinen Revoluzzerjahren gefragt, obwohl sie für diese Generation typischen waren. Warum auch? Über zwei Jahrzehnte stand der unauffällige Mann mit der Fliege nämlich an einer Schlüsselstelle der als erzkonservativ geltenden Südwest-Wirtschaft. Als Geschäftsführer im Maschinenbauerverband VDMA war er der Herr über die Zahlen. Würde man ihn nachts wecken, könnte er wahrscheinlich, ohne nachzudenken, sämtliche Eckwerte der Branche herunterrattern: mit knapp 300 000 Mitarbeitern wichtigste Industriebranche in Baden-Württemberg, verantwortlich für jeden vierten Industriejob im Land, Lieferant eines Drittels aller deutschen Maschinen und Anlagen. Forschungsquoten, Umsätze, tarifliche Bündnisse, Investitionen, Exportziffern und so weiter. Hinter den Kulissen galt er im Frankfurter VDMA-Bundesverband als „Kaltreserve“, heißt es. Als einer, den man immer und überall einsetzen könnte, sobald Not am Mann ist.

So weit sollte es aber nie kommen. Nach dem Studium zog es Hermani erst in die Forschung, dann in die Politik. Als persönlicher Referent war er ab Ende der 1970er Jahre der Polit-Organisator des damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Gerhard Stoltenberg. Sein Nachfolger wurde ein gewisser Horst Köhler. Der folgte Stoltenberg danach ins Bundesfinanzministerium und wurde später Bundespräsident. Hermani war damals längst weg. Die Politik hatte sich als zu umständlich und schwerfällig für den umtriebigen Hessen herausgestellt. „Ich wollte mehr gestalten und weniger Hierarchien“, sagt er heute. Nach ein paar Zwischenstationen landete er bei zwei der besten Namen im Maschinenbauer-Ländle – beim Kettensägen-Weltmarktführer Stihl und später beim Laser-Weltmarktführer Trumpf.

Die groben Stationen seines Lebens hat Hermani in den vergangenen Wochen öfter gehört. Überall, wo er auftaucht, gibt es zumindest eine kleine Portion Abschied. Er sitzt dann in der ersten Reihe im Saal, stützt das Kinn auf Mittelfinger und Daumen, den Kopf meist leicht zur Seite geneigt, und hört einfach zu. Erst später, wenn die Diskussionen in kleiner Runde weitergehen, taut er auf. Eine Eigenschaft, die seinen Ruf als Netzwerker, der alles und jeden kennt, wohl begründet hat. Demnächst ist damit Schluss. Ohne Amt kein Einfluss, daran ändert auch Netzwerken nichts.

Hermani nimmt das gelassen. „Langweilig wird mir nicht.“ Nach fast 20 Jahren Fernbeziehung wird er zu seiner Frau nach Rheinland-Pfalz ziehen. Außerdem wolle er einige seiner vielen Nebentätigkeiten weiterführen. Auch eine Promotion steht an. Natürlich soll es um Wirtschaftspolitik gehen. „Meine Rente bedeutet, nicht mehr um 10 Uhr abends nach Hause zu kommen und von 70 auf 50 Stunden die Woche runterzugehen“, sagt er. Und geht.