„Die gefährliche Lage in der Ostukraine hat eine neue Dimension erreicht“, sagt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier Foto:  

Im Ukrainekonflikt wird der Ton zunehmend schärfer. Moskau lobt die Separatisten und vergleicht die Regierungstruppen mit der Wehrmacht. In der EU läuft alles auf neue Sanktionen gegen Moskau hinaus.

Brüssel/Mailand/Berlin - Während EU, Nato und zahlreiche andere Politiker des Westens nach dem Einsickern russischer Truppen in die Ostukraine am Freitag noch in diplomatischen Harmlosigkeiten badeten, ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Regierungssprecher erstmals von einer „militärischen Intervention“ sprechen. Übersetzt man diese Wortwahl in politische Strategie, dann steht dahinter wohl der immer deutlicher werdende Entschluss, an diesem Wochenende im Kreis der EU-Staats- und Regierungschefs nicht nur zu weiteren, sondern deutlich heftigeren Sanktionen gegen Moskau zu kommen. Bei einem Treffen der 28 EU-Staaten am Freitag in Mailand bewerteten mehrere Außenminister das Vorgehen Russlands bereits als „Invasion“.

„Wir sind bereit“, sagte am Freitag ein hoher EU-Diplomat, „nunmehr auch Taten sprechen zu lassen.“ Das klingt nach einer neuen Initiative, doch die Zweifel sind groß, ob sich die Gemeinschaft wirklich dazu durchringen kann. Zwar sprechen Insider weiter von Einschränkungen bei der Lieferung strategischer Güter, inzwischen wird aber auch der Energiebereich nicht mehr ausgeschlossen.

In den letzten Tagen haben europäische Nachbarstaaten Strom- und Gas-Lieferungen in die EU zugesagt. Das soll denen Mut machen, die noch immer vollständig von Moskaus Gunst abhängig sind. Das Ziel könnte darin bestehen, Russland von lebenswichtigen Einnahmen abzuschneiden. Es wäre der erste wirklich harte Schritt. Derzeit leidet die russische Bevölkerung nämlich weitaus mehr an den Folgen des Importverbots für westliche Lebensmittel, das nicht die EU, sondern ihr Präsident selbst erlassen hat.

„Es muss schärfere Wirtschaftssanktionen geben“, betonte denn auch der Vizepräsident des Europäischen Parlamentes, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), am Freitag. Die Bereitschaft wächst. Auch wenn sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der gestern in Mailand mit seinen 27 Amtskollegen aus der Union zusammengekommen war, noch um eindringliche Appelle bemühte: Russland solle „mit offenen Karten spielen“, forderte er Wladimir Putin auf. Die „gefährliche Lage“ in der Ostukraine“ habe „eine neue Dimension“ erreicht. Die „Vernebelung von Sachverhalten“ müsse „endlich ein Ende“ haben.

Unterdessen verglich Kremlchef Wladimir Putin das Vorgehen der ukrainischen Regierungstruppen am Freitag mit dem der Wehrmacht. Die Offensive der Separatisten bezeichnete er als Erfolg. Die Aufständischen würden damit die ukrainischen Militäreinsätze abwehren, die eine tödliche Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellten. Die Taktik der Regierungstruppen „erinnert mich an die der faschistischen deutschen Truppen in der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Großstädte wurden eingekesselt und durch gezielten Beschuss zerstört, samt Einwohnern“, sagte Putin.

US-Präsident Barack Obama machte Moskau für die Gewalt verantwortlich, schloss ein militärisches Eingreifen aber aus. Es gebe Wege, die gegen Russland verhängten Sanktionen zu erweitern.

Der Nato zufolge sollen im Osten des Landes mehr als 1000 russische Soldaten im Einsatz sein. „Wir verdammen in schärfster Weise, dass Russland fortgesetzt seine internationalen Verpflichtungen missachtet“, sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Freitag in Brüssel. Nach einem Treffen mit den Botschaftern der 28 Mitgliedstaaten betonte er die „strikte Solidarität mit der Ukraine“. Spekulationen des ukrainischen Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk, Kiew werde seine Bitte um Aufnahme in das Bündnis kurz vor dem Nato-Gipfel in der nächsten Woche erneuern, beantwortete der Däne allerdings unverbindlich: Einen solchen Kursschwenk des ukrainischen Parlamentes werde man „vollkommen respektieren“. Rasmussen weiß, dass eine allzu positive Antwort den schwelenden Konflikt nur noch weiter anheizen würde.

So standen die Bündnispartner ebenso wie die EU am Tag vor dem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am Wochenende in Brüssel zwar mit großer Entschlossenheit und geballten Fäusten in der Tasche da, ohne aber genau zu wissen, wie sie nun eigentlich auf die sich immer mehr bestätigenden Berichte über die russische Intervention in der Ostukraine reagieren sollen.

Schärfere Wirtschaftssanktionen werden zwar seit Wochen angekündigt, aber trotz aller Brüskierungen Putins nicht mit letzter Konsequenz umgesetzt. Kommissionspräsident José Manuel Barroso versuchte es am Freitag auch noch einmal im Guten und forderte den Kreml auf, die Unterstützung der Separatisten mit Waffen und Personal zu beenden. „Die Kommission ist sehr besorgt über die jüngste Entwicklung“, erklärte er. Das Verhalten Moskaus verstoße gegen „internationale Standards und Prinzipien“. Aber sehr viel mehr wollte er auch nicht sagen. So richten sich alle Blicke auf die europäischen Staats- und Regierungschefs und die Frage, ob sie an diesem Wochenende ihre oft wiederholten Abkündigungen wahrmachen und Russland etwas entgegensetzen, was besser wirkt als Einreiseverbote und Kontensperrungen.