Erstmals steht eine Frau an der Spitze der türkischen Zentralbank. Foto: AFP/Adem Altan

Der türkische Präsident Erdogan setzt Hafize Gaye Erkan als Chefin der Zentralbank ein. Haben Profis wie sie gegen „Erdonomics“ eine Chance?

Die meisten Türken haben noch nie von Hafize Gaye Erkan gehört. Die heute 43 Jahre alte Finanzexpertin war kurz nach ihrem Studium in Istanbul in die USA gegangen und hatte nach Besuchen von Eliteuniversitäten dort bei amerikanischen Banken, etwa bei der First Republic Bank und bei Goldman Sachs, Karriere gemacht. Sie gilt als Vertreterin einer Politik gemäß der herrschenden Ökonomenlehre. Am Freitag wurde Erkan von Präsident Recep Tayyip Erdogan zur Chefin der türkischen Zentralbank ernannt.

Das Problem ist Erdogan selbst

Erkan ist die erste Frau auf diesem Posten und soll zusammen mit dem neuen Finanzminister Mehmet Simsek, einst Ökonom bei der US-Investmentbank Merrill Lynch sowie ehemaliger Vize-Ministerpräsident, die türkische Wirtschaft aus der Krise holen. Erkan steht unter anderem vor der Aufgabe, die seit Langem enorm hohe Inflation im Land und die Abwertung der türkischen Lira einzudämmen. Eines ihrer größten Probleme dabei wird Erdogan selbst sein.

Der 69-jährige Präsident hat großen Anteil daran, dass die türkische Wirtschaft in den vergangenen Jahren in den Abwärtsstrudel geraten ist. Erdogan besteht auf niedrigen Zinsen, mit denen er die Konjunktur selbst in Zeiten hoher Inflation ankurbeln will. Schon drei Zentralbankchefs, die das nicht mitmachen wollten, wurden vom Staatschef entlassen. Der letzte Währungshüter, der Erdogan und dessen Wirtschaftsplänen trotzte und die Zinsen entgegen den präsidialen Vorgaben anhob, hielt sich gerade mal sieben Monate auf seinem Posten. Das war im Jahr 2021.

Nun haben Profis das Sagen – Zweifel bleiben

Daraufhin wurde der Erdogan-Anhänger Sahan Kavcioglu zum Zentralbankchef berufen. Dieser senkte die Zinsen immer weiter – bei Inflationsraten von in der Spitze 85 Prozent im vergangenen Jahr. Vor den Wahlen im Mai gab Kavcioglus Zentralbank Milliardensummen aus, um den Kurs der Lira zu stützen. Inzwischen sind die Reserven fast aufgebraucht. Investoren wenden sich wegen Erdogans System, genannt „Erdonomics“, von der Türkei ab.

Nun signalisiert Erdogan eine Rückkehr zu einer berechenbaren Finanzpolitik, um aus der Krise herauszukommen. Der Präsident holte den bei Investoren hoch angesehenen Simsek fünf Jahre nach seiner Entlassung aus der Regierung wieder ins Kabinett. Simsek ist bekannt für seine Ablehnung der bisherigen Finanzpolitik Erdogans. Auch die Entlassung von Kavcioglu und die Ernennung von Erkan zur Zentralbankchefin sollen türkischen und ausländischen Anlegern die Botschaft schicken, dass von sofort an Profis mit internationaler Erfahrung das Sagen in der türkischen Finanzpolitik haben werden.

Doch die nötigen Reformschritte – etwa eine Anhebung der Leitzinsen – widersprechen Erdogans Vorstellungen von Finanz- und Wirtschaftspolitik und dürften zumindest vorübergehend zu mehr Firmenpleiten und mehr Arbeitslosigkeit führen. Analysten und Experten stellen sich deshalb die Frage, ob Erdogan wirklich zum Umsteuern bereit ist. Der Präsident will im kommenden Frühjahr bei den Kommunalwahlen die Herrschaft seiner AKP über die Metropolen Istanbul und Ankara zurückgewinnen.

„‚Erdonomics’ ist nach wie vor lebendig und kann jederzeit wieder zubeißen“, schrieb Wolf Piccoli von der Beraterfirma Teneo am Freitag auf Twitter. Er verwies darauf, dass Kavcioglu sofort nach seiner Entlassung als Zentralbankchef am Freitag von Erdogan zum Chef der Bankenaufsicht ernannt wurde.

Die Experten sind skeptisch

Die Personalveränderungen werden nicht ausreichen, um die Krise zu beenden. Unter Erdogans Präsidialsystem haben Institutionen wie die türkische Zentralbank ihre Unabhängigkeit verloren; auch die Justiz wurde größtenteils auf Regierungslinie gebracht, was Investoren ebenfalls abschreckt. Lukrative Staatsaufträge gehen regelmäßig an regierungsnahe Unternehmen. Marktwirtschaftliche Reformen zur Stärkung von Wettbewerb, Transparenz und Institutionen, wie Simsek sie verspricht, würden das System Erdogan aushebeln. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass der Präsident dies zulassen wird.

„Die Institutionen in der Türkei unter Erdogans Regierung wieder aufzubauen, ist fast unmöglich“, schrieb Piccoli. Und auch der amerikanische Türkei-Experte Howard Eissenstat kommentierte, Simsek und Erkan würden von Präsident Erdogan wohl kaum genug Zeit und Freiheit bekommen, um der türkischen Wirtschaft die nötige Medizin zu verabreichen.