Viele Menschen sind gegen Tierversuche Foto: dpa

Um in der Debatte zu Tierversuchen für mehr Sachlichkeit zu sorgen, haben junge Wissenschaftler aus Tübingen die Initiative Pro-Test gegründet. Der Landestierschutzverband übt Kritik.

Tübingen - Der erste Nazi-Vergleich erreichte Pro-Test Deutschland kurz nachdem die Homepage der neu gegründeten Initiative online gegangen war. „Mit dem Satz ‚Diese Voll-Spasten verteidigen die Tübinger Mengeles‘ war der Ton so rau wie erwartet“, sagt Florian Dehmelt.

Der 30-Jährige und rund zwei Dutzend andere junge Wissenschaftler und Studenten der Universität Tübingen haben Anfang des Monats eine Initiative ins Leben gerufen, die sich für Tierversuche einsetzt. „In der bisherigen Debatte um Experimente an Tieren ist einiges richtig schiefgelaufen“, findet Dehmelt. Er spielt auf Nikos Logothetis an, den Direktor des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik, der im Mai angekündigt hatte, seine Forschung an Affen einzustellen. Grund dafür waren massive Anfeindungen und Morddrohungen.

„Dass eine so wichtige Entscheidung aufgrund des Drucks einer kleinen, radikalen Minderheit getroffen wurde, hat uns erschreckt“, erklärt Dehmelt. Wer letztlich die Idee zu Pro-Test hatte, kann er nicht mehr genau sagen. „Das entstand so zwischen Tür und Angel. Beim ersten Treffen kamen etwa ein Dutzend Studenten und Wissenschaftler, beim zweiten schon doppelt so viele.“ Sie alle haben gemeinsam, dass sie Tierversuche befürworten. „Wir sind davon überzeugt, dass Tierversuche in der Forschung ethisch vertretbar sind“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter der Uniklinik Tübingen.

Deshalb wollen er und seine Mitstreiter im Alter von Anfang 20 bis Mitte 30 die Gesellschaft umfassend über Tierversuche informieren. „Wir möchten ein Forum schaffen, in dem wir den Menschen persönlich Rede und Antwort stehen“, beschreibt Dehmelt den Ansatz der neu gegründeten Initiative, der vor allem Naturwissenschaftler angehören. Der Austausch findet derzeit vor allem über die Homepage und soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook statt. „Viele nutzen dieses Angebot schon sehr intensiv, wir sind von der großen Resonanz überrascht.“ Es seien bereits gute Dialoge zwischen Tierversuchsgegnern und den Wissenschaftlern zustande gekommen. „Der Ton wurde dabei langsam sachlicher“, freut sich Biologe und Physiker Dehmelt.

Ziel von Pro-Test sei es, zu einer besseren Diskussionskultur beizutragen. „Wir wollen keine Kampagnen gegen andere führen.“ Mit den Informationen, die die Wissenschaftler zur Verfügung stellen, sollen Bürger vielmehr die Chance erhalten, sich ein sachlich fundiertes eigenes Urteil zu bilden. „Das Ziel ist nicht, dass alle Fans von Tierversuchen werden. Letztlich ist es eine Gewissensentscheidung, ob man Tierversuche befürwortet oder nicht – und diese Entscheidung muss jeder für sich selbst treffen“, betont Dehmelt.

Ein Ansatz, den das baden-württembergische Wissenschaftsministerium begrüßt. Ministerin Theresia Bauer zeigt zwar durchaus Verständnis für die Emotionalität in der Diskussion um Tierversuche, betont aber, Bedrohungen und grobe Beleidigung seien völlig inakzeptabel. Daher ist ihr „an einer Versachlichung der Debatte über Tierversuche“ gelegen. „Wir brauchen eine informierte Debatte, die auch Fragen danach umfasst, wie Versuche durchgeführt und wie viele benötigt werden. Pro-Test Deutschland ist eine Initiative, die in genau diese Richtung Schritte unternimmt und helfen will, die Debatte sachlich und an Fakten orientiert zu führen“, heißt es aus dem Ministerium.

Kritik am Konzept von Pro-Test kommt hingegen vom Landestierschutzverband Baden-Württemberg und seiner bundesweiten Dachorganisation. „Aus unserer Sicht ist dies nicht glaubwürdig“, sagt Roman Kolar, stellvertretender Leiter der Akademie für Tierschutz des Deutschen Tierschutzbunds. Vielmehr versuche eine Gruppe tierexperimentell tätiger Forscher, deren Tätigkeit von der Öffentlichkeit zu Recht zunehmend hinterfragt werde, einseitig Argumente für ihr Tun zu verbreiten. „Wir halten es für problematisch, wenn eine Interessengruppe ihre Darlegungen auf einer derartigen Plattform bündelt und dies dann der Öffentlichkeit als verlässliche Information und quasi ‚ganze Wahrheit‘ verkauft“, kritisiert Kolar.

Es sei bislang nicht zu erkennen, dass Pro-Test objektiv kritische Aspekte der Tierversuchsproblematik, insbesondere das damit verbundene Tierleid, thematisiere. „Insofern ist dies eine einseitige Darstellung der vermeintlichen Notwendigkeit und Vorzüge von Tierversuchen.“ Wissenschaftler Dehmelt sieht das anders: „Wir stehen in der Schuld, der Gesellschaft zu erklären, was wir machen.“ Das sei in der Vergangenheit viel zu wenig geschehen. „Wir haben es uns zu einfach gemacht.“ Viele Kollegen seien der Meinung gewesen, sie müssten nur die zuständigen Behörden überzeugen und alles andere würden im Zweifel schon die Pressesprecher richten. Das wollen die Mitglieder von Pro-Test, von denen etwa die Hälfte aus dem Ausland stammt, nicht länger hinnehmen. Zwar ist die Initiative an der Universität Tübingen entstanden, die Wissenschaftler verstehen ihren Zusammenschluss aber als eigenständig und unabhängig. „Nur wir selbst können unsere Sicht der Dinge einbringen. Bisher haben wir unsere Überzeugungen nicht repräsentiert gesehen“, erklärt Dehmelt.

„Sich bei der emotional aufgeladenen Debatte über Tierversuche nicht in der Anonymität zu verbergen, verdient Respekt“, sagt die Landestierschutzbeauftragte Cornelie Jäger. Befremdlich sei für sie jedoch die Wortwahl an einigen Stellen: „Von einer Mission zu sprechen klingt für mich nicht gerade nach einer ergebnisoffenen Diskussion mit einer von Neugier gegenüber anderen Positionen geprägten Grundhaltung.“