Vor drei Jahren hatte Harry Owens (Mitte) erklärt, er wolle künftig alljährlich zur Weihnachtszeit für ein mehrwöchiges Gastspiel anreisen. Foto: Archiv

Harry Owens streicht Stuttgart aus der Liste der Spielorte seiner Salome-Gaukler – vorerst und widerwillig. Eigentlich wollte er jährlich ein Weihnachts-Gastspiel geben. Dafür fehlt schlicht der Platz.

S-Mitte - Es ist nicht so, dass er sonst keine Sorgen hätte. Schon vor zwei Jahren ist Harry Owens das Zelt seines Traumtheaters Salome gestohlen worden, aus dem Lager einer Spedition, die während seines Urlaubs darüber wachen sollte. Die Spedition ist selbstverständlich versichert, aber „die Versicherung zickt“, sagt der Chef der Gaukler- und Träumertruppe.

Formal geht es um die Frage, welchen Zeitwert ein historisches Zirkuszelt hat. Die Versicherung rechnet den Kaufpreis von Stoff und Gestänge über die Jahre hinweg herunter und kommt zum Ergebnis null. Owens rechnet selbstredend anders. Erstens muss er seit dem Diebstahl 40 000 Euro jährlich für ein Leihzelt zahlen, damit sein Betrieb überlebt. Zweitens sieht er sein Zelt als Kunstwerk, als Zeugnis von Poesie, Malerei und Bildhauerei, „das auf einem langen Weg in über 30 Jahren gewachsen ist“. Aus dieser Sicht hat er seinen Gutachter rechnen lassen. Demnach beträgt der Schaden mehr als eine Million Euro. Aber von Kunst abgesehen: „Wozu hat man eine Versicherung?“, fragt Owens. Nun muss ein Gericht entscheiden. Für den 8. August war die Verhandlung angesetzt. Nun ist sie auf November vertagt.

Der nächste Auftritt ist auf unbestimmte Zeit vertagt

Der nächste Auftritt des Traumtheaters Salome in Stuttgart ist ebenfalls vertagt – auf unbestimmte Zeit. Vor drei Jahren hatte Owens erklärt, er wolle künftig alljährlich zur Weihnachtszeit für ein mehrwöchiges Gastspiel anreisen. Doch 2012 war er zum letzten Mal hier, zumindest vorerst. Der Salome-Chef hat nach mehr als 30 Jahren die baden-württembergische Landeshauptstadt aus dem Tourneeplan gestrichen – widerwillig, vorerst nur im vergangenen und im aktuellen Jahr. Salome hatte schon einmal eine Jahre währende Lücke zwischen zwei Gastspielen. Ob die aktuelle je endet, scheint aber fraglich. Es fehlt schlicht am Platz, auf dem die Gaukler ihr Zelt aufschlagen könnten. „In anderen Städten wie Berlin oder Köln gibt es damit nie ein Problem“, sagt Owens.

In Frühzeiten gab es auch in Stuttgart keines. Einst stand das Zelt sogar auf dem Schlossplatz. Zwischenzeitlich schien es eine Heimat neben dem Planetarium gefunden zu haben. Zuletzt baute Owens sein Traumtheater hinter dem Züblin-Parkhaus auf. Probleme und Problemchen hatte er immer. Mal sollte er 70 000 Mark Gebühr für das Aufhängen von Werbeplakaten zahlen. Mal rügte die Stadt den Zustand des Rasens. Mal herrschte Uneinigkeit über die Mietbedingungen. 2010 zog Salome deswegen wieder ab. Owens war an derlei Zwist schwerlich unschuldig. Er ist eben weit mehr Träumer als Bürokrat. Allerdings widerfuhr anderen Ähnliches. Auch der Chinesische Staatszirkus baute einst sein Zelt der Gebühren wegen vorzeitig ab.

Zuletzt litt das Geschäft unter dem Straßenstrich

Zuletzt, beim Züblin-Parkhaus, litt das Geschäft unter dem Straßenstrich. „Mich stören die Damen nicht“, sagt Owens. „Aber viele Eltern mit Kindern sind deswegen weggeblieben.“ Ohnehin beginnt auf der Brache hinter dem Parkhaus in naher Zukunft der Umbau zu einem Treffpunkt für die Jugend, und die Fläche neben dem Planetarium ist inzwischen dauerverwüstet. Sie ist Teil der Stuttgart-21-Baustelle.

Owens wollte auf das Dach des Züblin-Parkhauses ausweichen und stieß beim Betreiber auf Wohlwollen, aber der Plan scheiterte am Brandschutz. „Man hätte einen zweiten rauchfreien Fluchtweg gebraucht“, sagt er. Er fragte bei Kaufhof an, auf dessen oberstem Parkdeck jeden Sommer die Freiluftbar Sky-Beach eröffnet. „Aber die hatten Sorgen wegen ihrer Kundenparkplätze im Weihnachtsgeschäft.“

Einstweilen müssen Fans der Gaukler sich mit eintägigen Gastspielen in der Umgebung trösten. In Schorndorf und Leonberg war Salome dieses Jahr schon zu Gast. Die nächsten Termine wird es allerdings erst 2015 geben. Doch, doch, er würde gern wieder in Stuttgart spielen, so bald wie möglich. „Aber du musst auch ein bisschen leben“, sagt Owens, „nicht nur arbeiten.“ Und im Moment hat er eben andere Sorgen.