Paul Pogba im Trikot seines neuen Arbeitgebers: Manchester United Foto: Manchester United

Fußball wird immer mehr zum weltumspannenden Geschäft – mit wachsender Nachfrage. Das treibt die Preise hoch für die wenigen, die das Spiel herausragend gut beherrschen. Die Ablösesummen sind irrwitzig hoch, aber der Markt gibt sie her. Und der Fan zahlt am Ende die Zeche.

Stuttgart - Seit vier Jahren steht der große Sir Alex Ferguson vor dem Theater der Träume. In Bronze gegossen. Die Arme vor der Brust verschränkt, sein strenger Blick schweift in die Ferne. Vielleicht hat die Trainer-Legende kurz mal die Augenbrauen gehoben, als er vom bisher teuersten Transfer der Fußball-Geschichte erfuhr. Paul Pogba, 23, wechselte dieser Tage von Juventus Turin zu Manchester United.

Ausgerechnet jener Franzose, den Sir Alex vor Jahren für untauglich befunden hatte, höheren Ansprüchen zu genügen. Ein Irrtum, der den Club die höchste Transfersumme kostete, die bis heute für einen feinmotorisch begabten Facharbeiter in kurzen Hosen auf den Tisch gelegt wurde: 105 Millionen Euro. Mehr als für Cristiano Ronaldo, Gareth Bale oder Neymar.

42 mal Simon Terodde

105 Millionen Euro. Dafür gibt es in Stuttgart 3,8 Millionen Wochentickets über zwei Zonen im öffentlichen Nahverkehr, 4,6 Millionen Rostbraten mit Spätzle, 2,1 Millionen Fahrten mit der Berta Epple über den Neckar – inklusive Weinprobe. Und der VfB könnte sich 42-mal den Stürmer Simon Terodde vom VfL Bochum leisten. „Die Spitzenclubs in England sind Spielzeuge der Superreichen“, sagt Jan Schindelmeiser, Sportvorstand beim Zweitligisten, und nennt die Entwicklung „sehr bedenklich“. Womöglich ist das ziemlich untertrieben.

Paul Pogba war 2012 für zwei, drei Millionen Euro in den italienischen Norden gezogen. Es war kaum mehr als ein Taschengeld in den Wechselstuben des Weltfußballs. Seine Rückkehr auf die Insel begleitete nun ein internationales Medienorchester, das auf allen Instrumenten die üblichen Untertöne spielte: Kann ein Mensch so viel Geld überhaupt wert sein? Kauft England die Bundesliga leer? Lässt sich solch ein Investment in Humankapital überhaupt refinanzieren?

Manchester United lieferte die Antwort auf eigene Art: Auf dem Welcome-Video jedenfalls erscheint Pogba aus dem Dunkel, als sei er der Heilige Geist persönlich. Es war ja auch erschreckend viel schiefgelaufen in den vergangenen Jahren im geschichtsträchtigen Tempel Old Trafford, dem Theater der Träume. In der vergangenen Saison belegten die Red Devils, die Roten Teufel, Rang fünf in der Premier League. Und wer den englischen Rekordmeister (20 Titel) um Bastian Schweinsteiger und Wayne Rooney spielen sah, reklamierte nicht selten sein Recht auf körperliche Unversehrtheit.

Alte Rechnungen

Weil sie im englischen Fußball selten einen Plan haben, aber oft sehr viel Geld, kamen sie auf die Idee, dass der exzentrische Portugiese José Mourinho ihre Marke wieder leuchten lassen könnte. Er nennt sich gern „the only one“, der Einzigartige, und verhält sich auch so. Sir Alex Ferguson soll in seiner Rolle als Club-Berater erst leise geknurrt, dann sanft genickt haben: Ryan Giggs, einer seiner Ex-Spieler und Co-Trainer unter dem gescheiterten Louis van Gaal, wäre ihm als Coach wohl lieber gewesen. Aber Ferguson schweigt und leidet.

Gar nicht so selten werden im Fußball eben alte Rechnungen aufgemacht, weshalb sich Mourinho jetzt ein bisschen mehr austoben darf als üblich. Bastian Schweinsteiger trainiert neuerdings mit dem Reserveteam, die neuen Heilsbringer an ruhmreicher Stätte heißen neben Pogba, Eric Bailly (38 Millionen Euro vom FC Villarreal/Abwehr), und Henrikh Mkhitaryan (42 Millionen Euro von Borussia Dortmund/Mittelfeld). Torjäger Zlatan Ibrahimovic, 34, der alte Schwede, kam ablösefrei von Paris St. Germain. „Er ist ein Gewinner, ich bin ein Gewinner“, sagt Mourinho. Und das darf der Sportsfreund vor dem Beginn der neuen Premier-League-Saison an diesem Wochenende verstehen, wie es ihm beliebt.

Wettrüsten in Manchester

Ein paar Steinwürfe weiter residiert im Etihad-Stadion ein anderer Krösus mit Allmachtsfantasien: Manchester City. Der Club ist das Lieblingsspielzeug von Scheich Mansour bin Zayed Al Nayhan, Chef der Arab Investment Company. Gut, der Sprit ist ein bisschen billiger geworden. Das gut geölte Geschäft ermöglicht dem Besserverdienenden aus Abu Dhabi aber immer noch ein Gesamtvermögen von geschätzten 700 Milliarden Euro. Und dass ein chinesisches Pharma-Konsortium für 400 Millionen Dollar 13 Prozent der Clubanteile kaufte, hat ihn auch nicht ärmer gemacht. Da sind 55 Millionen Euro für den Abwehrspezialisten John Stones (FC Everton) zu verkraften. Und weil der neue Coach ein alter Freund der Wüstensöhne ist, bekam Pep Guardiola noch ein paar neue Spieler, darunter zwei Juwelen aus der Bundesliga: Ilkay Gündogan kam als Passgeber für 30 Millionen Euro von Borussia Dortmund, Angreifer Leroy Sané wechselte für 50 Millionen Euro vom FC Schalke 04. Schon seit vergangener Saison gibt sich der belgische Zauberfuß Kevin de Bruyne die Ehre. Der VfL Wolfsburg ließ sich mit 75 Millionen für den Transfer entschädigen

In diesem Sommer haben die Promi-Clubs aus der 520 000 Einwohner zählenden Industriestadt 375 Millionen Euro für neue Mitarbeiter ausgegeben. Rekord. Aber das Wettrüsten auf der Insel geht weiter. Weil sich die Oligarchen, Scheichs und superreichen Investoren als Club-Besitzer gegenseitig überbieten. Und weil der neue Fernsehvertrag der Premium Class des englischen Fußballs in den nächsten drei Spielzeiten 6,9 Milliarden Euro an Einnahmen garantiert, in der Bundesliga gibt es von 2017 an immerhin 4,64 Milliarden für drei Jahre.

Die Anziehungskräfte von Macht und Moneten wirken natürlich auch auf den deutschen Fußball. „Der Markt ist verrückt, die Preise sind außer Kontrolle“, fürchtet Thomas Tuchel, „da ist kein Bezug mehr zu den Leuten, die ins Stadion kommen.“ Es sei nur eine Frage der Zeit, bis das alles außer Kontrolle gerate, schätzt der Trainer von Borussia Dortmund.

Außer Kontrolle?

„Natürlich hört sich manche Summe unfassbar an“, sagt Uli Ferber, Chef des Großaspacher Beratungs-Unternehmens Fair-Sport und stellt jedoch die Frage: „Wie viele Spieler gibt es denn, die 90 Millionen Euro oder mehr gekostet haben?“ Die Antwort: allenfalls eine Handvoll. 2007 sei der Transfer von Mario Gomez vom VfB Stuttgart zum FC Bayern München mit 35 Millionen der teuerste der Bundesliga-Geschichte gewesen. „Inzwischen liegt dieser Wechsel auf Rang zwölf.“ Die Qualität von manchen Profis sei eben eine ganz besondere. „Absolute Top-Spieler gibt es nur sehr wenige.“ Und von den großen Transfers mit den ganz großen Volumen, ist Ferber überzeugt, profitieren auch die kleineren Clubs. Weil generell mehr Kapital bewegt wird.

Was ihm der 1. FC Kaiserslautern genau so bestätigen könnte. Die Pfälzer verpflichteten im vergangenen Winter den unbekannten Isländer Jon Daoi Böovarsson. Der Flügelstürmer kam für ein Butterbrot von Viking Stavanger, brachte es auf 15 Einsätze in der zweiten Liga und traf bei der EM einmal ins Schwarze. Inzwischen kickt er für den englischen Zweitligisten Wolverhampton Wanderers. Und der 1. FCK ist um drei Millionen Euro reicher. „Geld ist aber im Fußball noch immer nicht alles“, ist der Nürtinger Spielerberater Herbert Briem überzeugt, „wenn ein Club gut arbeitet, kann er nach wie vor gute Erfolge erzielen.“

Eine Blase vor dem Platzen

Sportökonom André Bühler rät den Bundesligabossen ohnehin zu größtmöglicher Gelassenheit. „Die riesige Blase in England wird irgendwann platzen“, ist der Direktor des Deutschen Instituts für Sportmarketing sicher. Schon jetzt zahle der Fan auf der Insel die Zeche. „Pro Saison muss er tausend Euro fürs Bezahlfernsehen auf den Tisch legen, mit dem neuen Fernsehvertrag wird alles noch teurer. Sie werden massive Probleme haben, die Summen zu refinanzieren“, sagt der Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen/Geislingen voraus. Er prophezeit den Engländern eine Pleite, wie sie die Bundesliga 2002 mit der Insolvenz des Kirch-Imperiums erlebte.

Paul Pogba wird das alles nicht kümmern. Er bezieht bei Manchester United ein fürstliches Gehalt. 330 000 Euro. Pro Woche.