Freut sich auf die Kopfsteinpflaster-Passagen bei der Tour de France: John Degenkolb (Mitte) Foto: dpa

Der Klassiker-Spezialist ist an diesem Dienstag auf der vierten Etappe der Tour de France über die berüchtigten Kopsteinpflaster-Passagen der große Favorit.

Huy - John Degenkolb hat sich auf die erste Woche der Tour de France richtig gefreut. Der Kantenwind in Zeeland am Sonntag, die „Mur von Huy“ am Montag und vor allem die berüchtigten Kopfsteinpflaster-Passagen von Paris–Roubaix am Dienstag – das sind für ihn „Finessen, die jede dieser Etappen speziell machen“. Das Problem: Bisher gab es für den Klassiker-Jäger wenig zu holen beim wichtigsten Radrennen der Welt.

In Zeeland bremste ihn ein Sturz aus, obwohl der Wind mitspielte, auf der Beaufort-Skala den Wert 4 erreichte und das Rennen so schwer machte, wie es Degenkolb liebt. Er braucht Hindernisse, damit die ganz explosiven Sprinter wie André Greipel oder Mark Cavendish abgehängt werden und er am Ende seine Kraftausdauer ausspielen kann. Degenkolb kommt normalerweise auch ein giftiger Anstieg wie die bis zu 19 Prozent steile „Mur von Huy“ entgegen. Doch am Montag war der Gewinner von Mailand–Sanremo bereits abgehängt, als es an der Spitze um den Sieg ging. Weshalb er an diesem Dienstag alles hineinlegen will, um endlich den ersten Tour-Etappensieg einzufahren. „Die Erwartungen sind groß“, sagt Degenkolb, „und ich will zeigen, was ich kann.“

Die vierte Etappe führt über 223,5 km nach Cambrai, es ist die längste der gesamten Frankreich-Rundfahrt. Degenkolb kennt die dort zu fahrenden sieben Pflasterstein-Abschnitte (insgesamt 13,3 km lang) genau. Im April gewann er unter anderem auf diesen Straßen den Klassiker Paris–Roubaix, eines der Monumente des Radsports. Einen Pflasterstein hat er seither sogar zu Hause – die Siegestrophäe. „Ich habe jetzt nicht ‚Tschüss’ zu ihm gesagt“, meint er, „aber diesen Pflasterstein zu besitzen, das motiviert schon.“ Die Gedanken an seinen bisher größten Triumph und die Chance auf eine Wiederholung bei der Tour begleiten ihn – zumal er bei der Frankreich-Rundfahrt bisher über zweite Plätze nicht hinauskam.

Weil alle seinen Sieg erwarten – die eigenen Fans, aber auch die Rivalen – versucht Degenkolb (26) allerdings, den Druck ein bisschen zu reduzieren. „Ich glaube nicht, dass man diese Etappe mit einem Klassiker wie Paris–Roubaix vergleichen kann. Das ist etwas anderes. Aber es fragen natürlich viele Leute danach, und dann muss man halt antworten und locker bleiben.“

Locker genug ist er. Degenkolb fährt seine dritte Tour. Er muss nicht mehr mit der Aufregung des Debütanten zurechtkommen. Und er hat auch die Anspannung der zweiten Tour-Teilnahme überwunden, als es wiederholt nicht zum Sieg gereicht hatte, während Teamkollege Marcel Kittel gleich vier Etappensiege abräumte. „Man wird mit der Zeit erfahrener und ruhiger“, sagt er, und gibt dennoch zu, nicht ganz unbeeindruckt zu sein von der Großen Schleife: „Als ich beim Prolog in Utrecht auf die Strecke gegangen bin und all die Zuschauer gesehen habe, da war das ein Gefühl, als wenn ich in ein Haifischbecken geworfen worden wäre. Da bleiben selbst die Routiniertesten nicht cool. Das ist schon eine Grenzerfahrung.“

Sicherheit gibt ihm dann seine Position im deutschen Rennstall Giant-Alpecin. Bei Sprintankünften wird sein Team in diesem Jahr alleine für ihn da sein. Die Aufteilung, dass bei Massensprints für Kittel gefahren wird und bei etwas schweren Zielankünften für Degenkolb, gibt es nicht mehr – Kittel wurde wegen Formrückstands vom Rennstall zu Hause gelassen. Degenkolb sieht die Situation mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „Ich bin in einer Position, in der ich selber Erfolge einfahren möchte. Da brauche ich gar kein Geheimnis draus zu machen. Deshalb spielt mir in die Karten, wie es gekommen ist“, sagt er, „ich bin aber traurig für Marcel, dass er so eine Enttäuschung hinnehmen muss. Für mich hoffe ich nun, dass ich diese Chance nutzen kann.“

Am liebsten schon an diesem Dienstag. Wenn es über seine Pflastersteine geht.