Im Schweinestall der Uni Hohenheim lebt es sich gut: Die beiden Schweine Max und Moritz haben genügend Wühlmaterial, Bälle und Ketten zum Spielen. Denn Langeweile ist nichts, womit ein Schwein gut leben kann. Im Labor erklärt Volker Stefanski beim Blick ins Mikroskop, wie sich die Zellen des Immunsystems zwischen einem gestressten und einem gesunden Schwein unterscheiden. Foto: factum/Weise, Lg/Zweygarth (3)

Der Hohenheimer Forscher Volker Stefanski untersucht, wie sich Stress und andere Umweltfaktoren auf das körpereigene Abwehrsystem bei Nutztieren auswirken und was man daraus beispielsweise für die Tierhaltung lernen kann.

Hohenheim - Bisher ist es wissenschaftlich nicht vernünftig geklärt, was ein Schwein braucht, damit es ihm gut geht“, erklärt Volker Stefanski vom Institut für Nutztierwissenschaften der Universität Hohenheim. Wenn es um das Wohlergehen eines Tieres gehe, schaue man sich vor allem Faktoren mit negativen Auswirkungen an. Ein Schwein hat große Probleme, wenn es krank oder verletzt ist, wenn es nicht mehr spielt, frisst oder apathisch in der Ecke liegt. Das bedeutet Stress, es geht ihm schlecht. Doch geht es dem Tier im Umkehrschluss gut, wenn negative Faktoren nicht vorhanden sind? Lässt die Abwesenheit von Stress die Aussage zu, das Tier fühlt sich wohl?

Ein Leben ohne tierisch viel Stress – das ist nicht unbedingt das Ideal

Der Hohenheimer Verhaltensphysiologe glaubt, dass diese Annahme nicht ausreicht für eine klare Definition des Wohlergehens von Tieren – schließlich gilt das auch nicht für den Menschen. Hier bedeutet ein „schlechtes Wohlergehen“ ebenfalls nicht nur Verletzungen oder Krankheiten, sondern auch Stress, Frustration, Langeweile oder Einsamkeit. Diese Faktoren spielen eine große Rolle bei der Beurteilung, wie es einem Menschen tatsächlich geht. Dies gilt für die meisten Säugetiere und Vögel und damit auch für viele Nutztiere – deren Wohlergehen vielen Verbrauchern am Herzen liegt.

Häufig wird argumentiert, dass eine artgerechte, natürliche Lebenssituation den Tieren gefallen müsste. „Das muss aber nicht grundsätzlich so sein“, relativiert Stefanski. Schließlich sei das Leben eines Wildtieres grundsätzlich mit Stress und oft mit körperlichem Leiden verbunden. Denn aus evolutionsbiologischen Gründen gehe es in der Natur zunächst nicht um perfektes Wohlergehen, sondern vielmehr darum, sich erfolgreich fortzupflanzen. Die bestmögliche Anpassung bedeutet nicht immer die Abwesenheit von Stress. Daher gelte es in der Tierhaltung bei der Definition des tierischen Wohlbefindens, umzudenken und neue Wege zu gehen.

Nerze finden Spielzeug gut, aber Wasserbecken finden sie noch viel besser

Stefanski erklärt dies am Beispiel von Zuchtnerzen. Forschungsarbeiten hierzu wurden vor einigen Jahren in der Zeitschrift „Science“ veröffentlicht: Man hat den Zuchtnerzen verschiedene Lebenssituationen angeboten: diverse Spielsachen, mehr Platz, eine erhöhte Plattform und ein Wasserbecken. Die Nerze haben sich sichtlich wohlgefühlt, Spielsachen, Plattform und Wasserbecken eifrig genutzt. Als man den Tieren die Spielsachen wegnahm und den Zugang zur Plattform und dem Wasserbecken sperrte, stellte sich heraus, dass Spielsachen und die erhöhte Plattform kaum einen Einfluss hatten. Die Tiere hatten zwar alles genutzt, aber ein Fehlen störte sie kaum.

Das verschlossene Wasserbecken hingegen versetzte die Tiere in heftigen Stress und führte zur Freisetzung von Stresshormonen – so sehr, als würde man ihnen die Nahrung entziehen und sie hungern lassen. Darauf wäre man nicht gekommen, wenn man nur das Verhalten der Tiere zugrunde gelegt hätte. „Das Wasserbecken gehört somit zum Wohlbefinden eines Zuchtnerzes und ist mittlerweile auch bei deren Haltung vorgeschrieben“, berichtet Stefanski über dieses bemerkenswerte Ergebnis.

Schweine lieben es zu wühlen

Auch bei den Hohenheimer Schweinen geht es darum, zu untersuchen, unter welchen Bedingungen es ihnen gut geht – indem die Schweine dies möglichst selbst zu erkennen geben. Es soll nicht darum gehen, was der Mensch denkt, was das Schwein gerne hätte. „Meist möchte man den Tieren sehr viel mehr Platz verschaffen, doch man weiß nicht, ob das auch das Schwein möchte“, so Stefanski. Beispielsweise hat sich in den Versuchsställen deutlich gezeigt, dass genügend Wühlmaterial wichtig für die Tiere ist – wichtiger etwa als ein Wasserbecken, Spielbälle oder Spielketten. Das Wohlergehen eines Schweins wird an der Uni Hohenheim nicht nur durch das Beobachten des Verhaltens der Tiere beurteilt. Vielmehr geht es auch um physiologische Parameter und damit um körperlich messbare Faktoren. Stefanski und sein Team untersuchen das Immunsystem der Tiere, ein wichtiger Indikator für das Wohlergehen. Im Labor wird die Konzentration der Hormone und diverser Zellen des Immunsystems erfasst. Unter Stress schüttet der Körper unter anderem die Stresshormone Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin aus.

Stress zeigt sich, in dem die Körperabwehr der Tiere auf Hochtouren läuft

Das körpereigene Abwehrsystem reagiert zunächst mit der Freisetzung diverser Immunzellen, wie etwa Fresszellen und Granulozyten. „Diese Zellen sind wie Soldaten auf einem Kriegsfeld, die sofort reagieren können, wenn etwa schädliche Bakterien in den Körper eindringen“, erklärt Stefanski. Die besten Stressindikatoren seien die sogenannten neutrophilen Granulozyten, eine Variante der weißen Blutkörperchen. Sie sind verantwortlich für die unspezifische Abwehr von Infektionen mit Bakterien und Pilzen und zudem an Entzündungsreaktionen beteiligt.

Deutlich erhöht seien diese Zellen aber auch, wenn ein Schwein beim Abtransport auf einen Anhänger geladen werde. Allerdings wirke sich die veränderte Konzentration der Immunzellen auf Dauer schlecht auf den Körper aus. Zudem hätten Stresshormone, vor allem Noradrenalin, einen wachstumsfördernden Einfluss auf Bakterien. Dies sei fatal, weil ein gestresstes Tier demnach ideale Bedingungen für schädliche Mikroorganismen biete. Zudem setze jeder dieser pathogenen Organismen diverse Substanzen frei, die wiederum auf das Immunsystem des Tieres wirken.

Daher untersuchen Volker Stefanski und seine Kollegen in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt nun die Wechselwirkungen zwischen Immunzellen und den pathogenen Mikroorganismen unter dem Einfluss diverser Stressfaktoren.

Zur Person Volker Stefanski

Dem Stress auf der Spur

Als Verhaltensphysiologe hat sich Volker Stefanski schon immer für die Wirkung von Umwelteinflüssen auf das Immunsystem interessiert, vor allem für die Folgen von Stress. So wollte er auch für seine Doktorarbeit auf diesem Gebiet forschen und machte sich auf die Suche nach einem Immunologen, der diese Arbeit betreuen könnte. Allerdings war das Interesse in Deutschland zu Beginn der 90er Jahre gering, den Forschungszweig der Psychoneuroimmunologie gab es noch nicht. Stefanski ging daher nach der Promotion in die USA, an die Universität von Kalifornien in Los Angeles, um auf diesem Gebiet zu arbeiten.
Mittlerweile interessierte man sich auch in Deutschland für grundlegende Forschungen zu diesem Thema. Die Volkswagenstiftung förderte Arbeiten beispielsweise im Bereich „Neurobiologie, Verhalten und Befinden“. Das junge Fachgebiet der Psychoneuroimmunologie hat sich inzwischen etabliert. Seit 2009 untersucht der 52-jährige Volker Stefanski an der Universität Hohenheim, wie sich verschiedene Stressfaktoren auf das Verhalten und die Physiologie von Nutztieren auswirken, messbar zum Beispiel an den Zellen des Immunsystems.