Der Schauspieler Manuel Harder (44). Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Der Stuttgarter Schauspieler Manuel Harder verrät, warum es befremdlich ist, in Carsten Brandaus Stück „Die Anmaßung“ Künstler und Kunstwerk gleichzeitig zu sein.

Stuttgart - Dass Dramatiker reale Schauspieler als fiktive Figuren adeln und verewigen, kommt eher selten vor. Immerhin gibt es ein berühmtes Beispiel: Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss, deren Nachnamen den Titel eines Stückes von Thomas Bernhard bilden. Der Dramatiker Carsten Brandau, 1970 in Hamburg geboren, hat es ebenfalls getan – im Personenregister seines Dramas „Die Anmaßung“, das am 21. Januar im Nord in Stuttgart uraufgeführt wird. Wenn Brandau das Personal auflistet, heißt es: „Mindestens ein Manuel Harder“ und dass Manuel Harder ein „realer Schauspieler“ ist, der am 15. Oktober 1971 im chilenischen Valparaíso geboren wurde.

Seit dieser Saison ist dieser reale Schauspieler, der mit der Familie Mitte der siebziger Jahre nach Hamburg zog, Ensemblemitglied am Schauspiel Stuttgart. Als besonderer Egomane ist Manuel Harder einem da bisher nicht aufgefallen. Er wirkt eher in sich gekehrt. Zum Beispiel in Tschechows „Die Möwe“ zu Beginn der Spielzeit. Manuel Harder spielt den erfolgreichen Schriftsteller Trigorin, der eine schöne Lady an seiner Seite hat und in den sich dann auch noch ein junges Mädchen verknallt. Oft sieht man diesen Trigorin als überkandidelten Gecken über die Bühne stolzieren. Nicht so bei Harder. Mit seiner Sonnenbrille im Haar und mit seinem tigerhaften Schleichen verkörpert er das Bild eines Künstlers, der eine gewisse Coolness pflegt und sich seiner Wirkung bewusst ist. Auch scheinbare Nachlässigkeit kann ja größtmögliche Eitelkeit bedeuten, so wie Leute, die besonders leise reden, nicht unbedingt schüchtern sind, sondern erwarten, dass man ihren Worten mit besonders gespitzten Ohren lauscht.

Shakespeares Prospero im „Sturm“ als grimmer Rächer

Bei aller Pfauenhaftigkeit hat die Figur etwas absolut Ernstes an sich. Manuel Harder verkörpert den Künstler, als hätte der etwas ihn schwer Belastendes im Sinn. Einer, der die Lässiger-Dichter-Attitude zum Schutz vor sich herträgt und dem es in Wirklichkeit einigermaßen egal ist, was man von ihm hält. In seinem Monolog, in dem er darüber klagt, dass er kaum „einfach so“ unverstellt erleben kann, weil er immer gleich alles in Kunst verwandelt, wirkt er ehrlich bestürzt. Eine sehr eigene, autonome Spielweise.

Als ein freier Geist tritt er auch in Shakespeares „Der Sturm“ auf. Aus der berühmten Verfilmung von Greenaway kennt man Prospero als weisen Herrscher, der alles im Griff hat. Gar nicht auf Zuschauergunst spekulierend, interpretiert Manuel Harder den auf eine Insel geflüchteten Schmerzensmann. Prospero wird zum grimmen Rächer, der es nie verwunden hat, dass man ihn vom Herrschersitz gestoßen hat. Längst ist er selbst schier eines der wilden Wesen geworden, die er herumkommandiert.

Nach dem Autor und dem intellektuellen Magier spielt Manuel Harder nun einen weiteren Künstler, einen Schauspieler namens Manuel Harder. Man kann ihn zu für Schauspieler eigentlich nachtschlafender Zeit um 9 Uhr morgens in der Theaterkantine antreffen, auch wenn seine angeraute Stimme müde klingt.

Seine Wut führte Manuel Harder ans Theater

Wer ein Kind hat, ist frühes Aufstehen gewöhnt, sagt Manuel Harder mit einem Lächeln, während er Kaffee und Croissants an den Kantinentisch transportiert. Er nütze den Morgen oft, um Texte zu lernen. Wie den von Carsten Brandau. Harder schwärmt. „Der Autor schreibt poetische Texte, aber im Bewusstsein dessen, dass sie eben auch gesprochen werden.“ Tatsächlich ein toller, heftiger Stoff über Zumutungen, Anmaßungen, Behauptungen, übers Weggehen. „Eine Anklage ohne Urteil“, wie Harder sagt – und eine Art intime Anrede: „Hier geht es mir um dich / Dass sie dich sehen / Wie du bist / Was da atmet / In deiner Brust / Das bin ich . . . Heute schützt dich keine Rolle / Kein Kalkül / Kunststück / Höchstens ein Barhocker / Doch du wirst stehen.“

Harder kennt Brandau schon länger, hat selbst schon ein Stück von ihm inszeniert. „Stolz“ sei er natürlich, „Künstler und Kunstwerk in einem zu sein“, sich sozusagen professionell bespiegeln zu können. Die Selbstreflexion hat ihn auch ans Theater geführt. Sein Vater, ein Pastor, mit dem er als mit der autonomen Szene kokettierender Jugendlicher viele Diskussionen führte, habe ihn einmal gefragt: „Was willst du eigentlich mit deiner Wut erreichen?“ Nicht um die Welt zu verändern, sei er dann Schauspieler geworden, aber immerhin, die Clownsfunktion, das Spiegelvorhalten, sei ihm schon wichtig, sagt Harder.

Jetzt ist es auch ein Spiegel, den er sich selbst vorhält. Genau das habe ihn erst einmal „entsetzt“. Denn wie spricht man, spielt man jemanden, der so heißt wie man selbst? Befremdlich. Das Thomas-Mann-Zitat allerdings – „Ich-süchtig ist alles Außerordentliche, sofern es leidet“ – aus „Die Anmaßung“ habe der Regisseur Florian von Hoermann gestrichen. Es sagt zu viel schon darüber aus, worum der Text kreist, vermutet Harder. Er stellt aber sogleich klar, dass der Abend keine Selbstzerfleischungs-Ego-Show sei, die Figur Manuel Harder ja nicht Manuel Harder selbst sei. Und dass jeder andere Schauspieler auch die Rolle spielen kann, nur dann eben mit dem eigenen Namen.

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Info: Carsten Brandaus „Die Anmaßung“ feiert am 21. Januar um 20 Uhr Uraufführung im Nord. Weitere Aufführungen: 23., 29. 1. und am 5 . 2. jeweils um 19 Uhr. Außerdem ist Manuel Harder zu erleben im Schauspielhaus Stuttgart in „Der Sturm“: 22., 30. Januar; 3., 9., 26. Februar; 14., 25. März. Und in „Die Möwe: 25. Januar, 14. Februar, 19. März. Karten: 0711 /202090. www.schauspiel-stuttgart.de