Abschnittskontrolle: Gemessen wird die Geschwindigkeit entlang einer bestimmten Strecke Foto: ACE

Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD) wollte Vorreiter sein bei einer neuen Form der Tempo­kontrolle: Faire Blitzer, die nicht im Hinterhalt lauern, sondern auf einer längeren Strecke das Durchschnittstempo messen. Die Abschnittskontrolle machen jetzt andere.

Stuttgart - Der Autofahrer hatte nicht damit gerechnet, dass man ihn erwischen würde. Selten genug wird an der B 27 bei Möhringen stadtauswärts geblitzt, also fuhr er mit Tempo 172 statt 100. Die klassische Form der Jagd auf Raser: Gibt es keinen stationären Starenkasten, legen sich Polizei oder kommunale Verkehrsüberwacher mobil auf die Lauer. Die Methode hat indes einen Nachteil: Viele Sünder erkennen die Falle, bremsen vorher ab, geben danach wieder Vollgas. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass viele auf diese Weise durchgekommen sind“, sagt Polizeisprecher Jens Lauer.

Es gibt noch eine andere Methode: die Abschnittskontrolle, wie sie in Österreich, Frankreich und der Schweiz bereits praktiziert wird. Dabei wird nicht das augenblickliche Tempo an einem einzelnen Punkt gemessen, sondern die Durchschnittsgeschwindigkeit auf einer längeren Strecke.

Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD) wollte Vorreiter sein – doch er muss nun zum Jahresbeginn erkennen, dass er beim Bund abgeblitzt ist. Das Pilotprojekt für die Abschnittskontrolle soll 2015 anderswo gestartet werden: in Niedersachsen – auf der Bundesstraße 6 zwischen Laatzen und Gleidingen, südlich von Hannover.

Dabei hatte Gall mit Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) seit 2012 beim Bundesverkehrsministerium darauf gedrängt, den Weg für Baden-Württemberg mit einer Gesetzesänderung frei zu machen. In all den Jahren gab es aber nie eine Antwort. Und nun das. „Das war kein freundlicher Akt“, heißt es in Galls Ministerium, „allein die Höflichkeit hätte es geboten, dass wir wenigstens eine Antwort bekommen.“

Im August wurde Gall von der Berichterstattung unserer Zeitung überrascht, wonach eine Bund-Länder-Gruppe offene Fragen klären sollte. Gall hatte bis dato nichts gehört – „trotz mehrfacher Nachfrage auf Referentenebene“. Sein Protestschreiben an Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) blieb erneut unbeantwortet.

Das System der Abschnittskontrolle wirft freilich ein Datenschutzproblem auf: Um das Tempo eines Fahrzeugs messen zu können, muss das Kennzeichen erfasst werden. Eine Gretchenfrage. Damit stehen alle Fahrer unter Generalverdacht. „Wir hatten daher schon 2012 den damaligen Verkehrsminister Ramsauer gebeten, eine bundesrechtliche Vorschrift zu schaffen“, sagt Galls Sprecher Günter Loos.

Die kam aber nie. „Das Problem ist der ständige Wechsel im Bundesministerium“, sagt Landesverkehrsminister Hermann, „das läuft viel zu träge“. Dobrindts Ministerium sei eben mit Autobahn-Mautplänen beschäftigt. Die Landes-Pläne für ein Pilotprojekt seien jedenfalls ausgearbeitet: „Wir halten die B 10 nach Ulm mit der Tunnelstrecke für sehr geeignet“, sagt Hermann. Innenminister Gall dagegen würde einen Abschnitt der A 8 zwischen Kirchheim/Teck und Ulm favorisieren. In Stuttgart könnte man sich die feinstaubbelastete B 14 im Bereich Neckartor oder die B 10 im Neckartal vorstellen – oder die B 27 im Süden.

So kam Hannover dem Land zuvor: Bei der Konferenz der Innenminister in Köln legte Niedersachsen seine Pläne vor. Innenminister Boris Pistorius (SPD): „Wir starten im Frühjahr 2015.“ Die Überwachung bedürfe keiner neuen Gesetze. Die Daten von Kennzeichen werden verschlüsselt und automatisch gelöscht, Aufnahmen des Nummernschilds am Heck machen ein Erkennen der Insassen unmöglich. Nur wer zu schnell ist, wird geblitzt und gespeichert.

Der Test an der B 6 bei Hannover soll 18 Monate dauern. Vor 2017 wird es im Südwesten also kaum etwas werden. Ob die Minister Gall und Hermann eine zweite Chance bekommen, ist ungewiss. Davor blitzt ihnen die Landtagswahl ins Werk.