Strittig: Soll Tempo 30 in geschlossenen Ortschaften die Regel oder die Ausnahme sein? Foto: dpa

Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) will mehr Tempo-30-Zonen im Bereich von Kitas, Schulen und Altenheimen. Doch seine Kollegen in anderen Bundesländern sind nicht alle seiner Meinung.

Stuttgart - Am Donnerstag haben sich in Worms die Verkehrsminister der Länder bei ihrer regelmäßigen Konferenz mit Tempo 30 befasst. „Wir wollen bundesweit erreichen, dass an sensiblen Punkten Tempo 30 gilt, um die Unfallgefahr zu verringern“, sagte der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Roger Lewentz (SPD). Lewentz und seine Amtskollegen hatten sich schon bei ihrer Konferenz im April in Rostock einstimmig auf mehr Tempo-30-Zonen geeinigt. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) signalisierte damals Entgegenkommen. Für eine wesentlich höhere Zahl von Tempo-30-Zonen an sensiblen Stellen müsste allerdings die Straßenverkehrsordnung geändert werden. Die Minister debattierten deshalb nicht die generelle Einführung von Tempo 30 in geschlossenen Ortschaften, sondern die Möglichkeit für die Kommunen, Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen zu erleichtern.

„Die Verkehrsminister wollen Tempo 30 vor Schulen, Kitas und Pflegeheimen erleichtern“, sagte Winfried Hermann am Donnerstag. Baden-Württemberg setze sich darüber hinaus dafür ein, dass soziale Einrichtungen und deren Umfeld mit einbezogen würden. Mit Blick auf andere Länder, die Tempo 30 vor wenigen Einrichtungen begrenzen wollen, sagte Hermann: „Es darf nicht das Schild an der Tür über Verkehrssicherheit entscheiden .“

Baden-Württemberg will es generell den Kommunen erleichtern, Tempo 30 zu verhängen, wenn es um die Verkehrssicherheit geht. „Wir schöpfen alle Spielräume aus“, sagte ein Sprecher des Verkehrsministeriums am Donnerstag dieser Zeitung und verwies auf den Ermessensspielraum innerhalb des geltenden Rechts. Das Land sei allerdings nicht für flächendeckend Tempo 30 in geschlossene Ortschaften. Minister Hermann fordert es vielmehr als Regelgeschwindigkeit, will aber an Durchgangsstraßen 50 km/h als Ausnahme ermöglichen.

ADAC dagegen, VCD dafür

Aus Sicht der baden-württembergischen Regierung trägt Tempo 30 auch zum Lärmschutz bei. „Wir haben heute die absurde Situation, dass an bestimmten Straßen Lärmschutzwände gebaut werden müssen, Tempo 30 dort aber nicht angeordnet werden darf“, kritisiert Hermann.

Bei den Interessensverbänden geht die Einschätzung über Sinn und Unsinn verkehrsberuhigter Zonen teils weit auseinander. Der ADAC ist gegen Tempo 30, weil es „weder aus Sicherheits- noch aus Umweltgründen zielführend“ sei. Auch für Wohnstraßen wird es nur dort empfohlen, wo ein „Zonenbewusstsein entstehen könnte“. Der ökologische Verkehrsclub VCD, das deutsche Kinderhilfswerk und die Aktionsgemeinschaft Robin Wood für Natur und Umwelt fordern dagegen sogar die Novellierung der Straßenverkehrsordnung, „damit die bisherige Ausnahme Tempo 30 zur Regel werden kann“.

Die Universität Duisburg-Essen hat sich mit Tempo 30 befasst und stellt fest: Innerorts seien zu hohe Geschwindigkeiten die Hauptursache für Unfälle mit Verletzten. Die kürzeren Brems- und Anhaltewege in Tempo-30-Zonen führten dazu, dass es rund 40 Prozent weniger Unfälle gebe als in 50er-Zonen. Nach Einführung der 30er-Zone gehe nach bisher vorliegenden Untersuchungen die Zahl der getöteten und schwer verletzten Personen um 60 bis 70 Prozent zurück. Das liegt daran, dass ein Aufprall mit Tempo 30 einem Sturz aus 3,6 Meter entspricht, bei Tempo 50 sind es zehn Meter.

Mehr Wohnqualität

Tempo 30, so die Professorin Maria Limbourg, reduziere das motorisierte Verkehrsaufkommen, weil mehr Menschen zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs seien. Und es bedeute weniger Lärm, weniger Abgase und mehr Wohnumfeldqualität.