Szene aus Marie Chouinards Stück „Henri Michaux: Mouvements“ Foto: Sylvie-Ann Paré

Eric Gauthier mit „Colours“ wieder Bewegung in den Stuttgarter Festivalsommer. Marie Chouinard, den großen Star seiner Heimatstadt Montréal, wollte Gauthier unbedingt bei „Colours“ aufleuchten lassen; dass Marie Chouinard im Rahmen des Festivals an diesem Freitag sogar ein neues Stück präsentiert, macht das Glück perfekt.

Stuttgart - Die kanadische Choreografin ist das Verbindungsglied zum anderen Tanzfestival, das Stuttgart einmal hatte. 1997 war Marie Chouinard der Star von „Sprachen des Körpers“, gleich mit zwei Programmen war ihre damals noch junge Kompanie zu Gast bei der dritten und letzten Stuttgarter Tanzbiennale, kurz darauf hatte die Stadt das Festival weggespart. Jetzt bringt Eric Gauthier mit „Colours“ wieder Bewegung in den Stuttgarter Festivalsommer; und dass Marie Chouinard, inzwischen zur „Grande Dame“ von Kanadas Tanzszene gereift, aufs Neue mit dabei ist, hat auch ein wenig mit Nostalgie zu tun. Den großen Star seiner Heimatstadt Montréal wollte Eric Gauthier unbedingt bei „Colours“ aufleuchten lassen; dass Marie Chouinard im Rahmen des Festivals an diesem Freitag sogar ein neues Stück präsentiert, macht das Glück perfekt.

Die Stücke von damals hat Marie Chouinards Kompanie bis heute im Repertoire; immer noch dabei ist auch die Tänzerin Carole Prieur, die vor kurzem ihr 20-Jahr-Jubiläum feiern konnte. Verblüffend war die animalische Energie, mit der sie und ihre Kollegen in „Le sacre du printemps“ die archaischen Ursprünge des Menschen ergründeten. Stampfend und schnaufend, mit Spornen, Krallen und Geweihen bewehrt, als seien sie ein Stück Natur, hatte sich Marie Chouinards Kompanie 1997 in Stuttgart vorgestellt. Später kamen die Kanadier mit Stücken wieder, die wie „Le cri du monde“ die Ursprünglichkeit des japanischen Butoh-Tanzes zelebrierten, die wie „body-remix“ Tänzer mit Krücken, Gehhilfen und Gurten zu seltsamen Wesen verformten, um von der Hinfälligkeit des Körpers und seiner Disziplinierung zu erzählen.

Nach der Energie gefragt, aus der sich die so unterschiedlichen Stücke speisen, muss Marie Chouinard nicht lange nachdenken. „Es ist die Liebe für den Tanz und die Tänzer, die das alles verbindet, für den Körper im Raum, seine Beziehung zum Licht, zum Atem, zur Musik, zu anderen Körpern“, zählt die Choreografin auf. Ja, und dann sei da noch die Lust am Schaffensprozess selbst: die Freude daran zu sehen, wie ein Kunstwerk Form annimmt.

Ganz in Schwarz gekleidet sitzt Marie Chouinard auf einem Sofa im Theaterhaus. Eine Diva war angekündigt, gekommen ist eine gut gelaunte, vor Energie sprühende Künstlerin, die trotz ihrer 60 Jahre mädchenhaft wirkt und den Moment der Entspannung genießt, um über das eigene Tun nachzudenken. „Ja, vielleicht bin ich eine verhinderte Malerin“, sagt sie, auf die Analogien ihrer Arbeitsweise zur Bildenden Kunst angesprochen. Ausstellungen interessieren die Choreografin, die selbst auch andere Medien ausprobiert, die Filme gedreht hat und die, wenn sie Muße hat, an einem Buch schreibt. „Nimmt man die Malerei, dann ist das eine sehr musikalische Kunst, und Cy Twombly organisiert die Räume seiner Bilder wie ein Choreograf“, sagt Marie Chouinard, die den gemeinsamen Nenner aller Kunst für sich gefunden hat: Sie muss den Betrachter berühren, einen Moment des Glücks auslösen, wenn man sich annähert und das Zusammenwirken versteht.

Die Auseinandersetzung mit den Mitteln der Bildenden Kunst bestimmen auch den Abend, den die Kompanie von Marie Chouinard bei „Colours“ zwei Mal tanzt. Als deutsche Erstaufführung ist „Henri Michaux: Mouvements“ zu sehen, ein Stück, das auf einem Gedicht und Tuschezeichnungen basiert, die der belgische Künstler 1951 unter dem Einfluss der Droge Mescalin schuf. Harter Industrial-Metal erklingt dazu. „Louis Duforts Musik ist brutal und präzise wie Michaux’ Zeichnungen, sie hat denselben harten Rhythmus und eine Dringlichkeit, die Bewegung erzwingt und bis zum Äußersten führt“, sagt die Choreografin.

Diesem treibenden Tempo setzt der Komponist, mit dem Marie Chouinard seit 18 Jahren zusammenarbeitet, im neuen Stück einen schwebenden Klangraum entgegen. „Soft virtuosity, still humid, on the edge“ heißt die Uraufführung. „Der Titel war wie ein Geistesblitz da“, sagt Marie Chouinard, eigentlich spricht sie französisch. Er tauge auch für ein Gemälde, meint die Choreografin, deren Leinwand die Gesichter ihrer zehn Tänzer sein werden. Projektionen vergrößern ihre Mimik und zeigen, was einen Menschen bewegt, der in sich hineinhört, welche Emotionen er aus der Tiefe befördert. „Ihre Gesichter werden sich wie eine Quelle bewegen, wie Wellen im Meer, schließlich ziehen sie den ganzen Körper hinein. Sie sind wie das Leben immer im Fluss: Man kann es verlangsamen, aber nicht aufhalten“, sagt Marie Chouinard. Es ist diese Suche nach den Mysterien des Lebens, nach seiner Energie, seinen Kämpfen und seiner Kreatürlichkeit, die Marie Chouinards Kunst ausmacht.

Bei der Gala an diesem Donnerstag zeigt Marie Chouinard einen Auszug aus „Mouvements“. Für die Vorstellungen am Freitag und Samstag gibt es noch Restkarten.