Der Pilot eines russischen Jagdbombers wirft über Syrien Bomben ab (das kleine Bild zeigt den angeblichen Einschlag einer russischen Bombe auf ein IS-Lager. Foto: dpa/Russisches Verteidigungsministerium

USA und Nato werfen Russland vor, die Stellungen von Gegnern des syrischen Regimes zu bombardieren. Und liegen falsch: Die Raketen trafen vor allem Terroristen eines El-Kaida-Ablegers.

Istanbul - Russland spielt nach Einschätzung der Nato wieder einmal mit dem Feuer. Die Verletzung des türkischen Luftraums sei kein Versehen gewesen, heißt es. An diesem Donnerstag treffen sich die Verteidigungsminister der Bündnisstaaten.

Türkische Piloten wollen am Wochenende einen zweiten russischen Kampfjet im Himmel über der Türkei abgefangen haben. Das ließ das türkische Außenministerium verlautbaren. Nach dem Vorfall, der sich bereits am vergangenen Sonntag ereignet haben soll, sei der russische Chefdiplomat einbestellt worden. Bereits am Samstag hatten türkische Abfangjäger einen russischer Jagdbomber vom Typ SU-30 über der südtürkischen Provinz Hatay an der Grenze zu Syrien gestellt und zurückgedrängt. Der Grund laut russischem Verteidigungsministerium waren „schlechte Wetterverhältnisse“. Dies werde sich nicht wiederholen.

Dieser Darstellung widersprachen die USA, die Türkei und die Nato. Deren Generalsekretär Jens Stoltenberg wirft Russland vor, absichtlich in den türkischen Luftraum eingedrungen zu sein. „Für uns sah das nicht wie ein Versehen aus“, sagte er. Die Verletzung habe „lange Zeit im Vergleich mit vorangegangenen Verletzungen des Luftraums gedauert, die wir anderswo in Europa gesehen haben“. Es handle sich um „eine schwerwiegende Verletzung des Luftraums“. Solche Vorfälle könnten zu „gefährlichen Situationen“ führen. Die Nato habe von der Regierung in Moskau „keine wirklichen Erklärungen“ der Vorfälle erhalten.

Die USA kritisieren die russischen Luftangriffe

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warnte Russland vor einem Ende der guten Beziehungen. Russland werde viel verlieren, wenn es die Freundschaft aufs Spiel setze, sagte er und warnte zugleich: „Ein Angriff auf die Türkei ist ein Angriff auf die Nato, das sollte man wissen.“ Zudem kritisieren das westliche Militärbündnis und die USA vehement die russischen Luftangriffe in Syrien. Sie dienten der Vorbereitung einer Bodenoffensive syrischer Regierungstruppen und träfen nicht die Terroristen des Islamischen Staates (IS). Menschenrechtsaktivisten in Syrien bestätigten unserer Zeitung, dass syrische Streit- und Polizeikräfte sowie sie unterstützende Hisbollah-Kämpfer aus dem Libanon und Revolutionsgardisten aus dem Iran im Raum nördlich der inzwischen nahezu vollständig zerstörten Industriestadt Homs aufmarschierten. Die Oppositionellen zählten in dieser Region seit dem 30. September einen bestätigten und drei vermutete Bombenabwürfe russischer Luftstreitkräfte.

Bis zum Dienstagabend stiegen deren Jagdbomber mindestens 26-mal auf und bombardierten Ziele in Syrien. Dabei erweist sich allerdings die Deutung der Nato, die Attacken würden vor allem moderaten syrischen Aufständischen wie der Freien Syrischen Armee (FSA) gelten, als Propaganda: So trafen Angriffe nahe der Stadt Dschisr asch-Schughur nahe der türkischen Grenze laut FSA Kämpfer des El-Kaida-Ablegers Jabhat al-Nusra. Dessen Einheiten wurden auch bei einem Bombardement des Städtchens Kafr Zaita zwischen den Städten Idlib und Homs getroffen. In Darat-Izza, einer Kleinstadt nahe der Grenze zur Türkei, traf es Dschihadisten, die erst vor drei Wochen den Treueeid auf die Jabhat al-Nusra abgelegt haben.

Unterschlupf für IS-Kämpfer

Erdogan hatte in der Vergangenheit die IS-Terrormiliz logistisch unterstützen lassen und deren verwundeten Kämpfern Versorgung und Unterschlupf in der Türkei gewährt. Zudem soll er den IS mit Waffen ausgerüstet haben. Von der türkischen Luftwaffe in Syrien und dem Irak im Rahmen der Anti-IS-Operationen geflogene Angriffe treffen vor allem Kämpfer der kurdischen PKK.

Insbesondere die Rolle der kurdischen Kämpfer in Syrien verstärkt in Ankara die Sorge, die syrische Kurdenpartei PYD könnte in Nordsyrien versuchen, einen eigenen Kurdenstaat zu gründen. Westliche Waffenhilfe für die PYD, die bei den USA als verlässlicher und durchsetzungsfähiger Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat gilt, wird von der Türkei deshalb scharf kritisiert. Bei seinem Besuch in Brüssel betonte der türkische Präsident, die mit der türkisch-kurdischen Rebellengruppe PKK verbündete PYD sei genauso eine Terrororganisation wie der IS.