Susanne Heydenreich Foto: Theater der Altstadt

Die Intendantin des Theaters der Altstadt im Westen, Susanne Heydenreich, über die Herausforderung, gleichzeitig Geld für eine Probebühne zu sammeln, einen Loriot-Abend zu proben und ein Theaterstück in Reutlingen zu inszenieren.

Stuttgart - Frau Heydenreich, Stuttgart hat ein Bühnenproblem – den freien Gruppen fehlt ein Spielort, die Bühnentechnik im Schauspielhaus funktioniert nicht gut – auch Sie sind in Probebühnen-Not. Wie kam es dazu?
Unser Probebühnenmietverhältnis war von Anfang an auf fünf Jahre begrenzt, falls der Vermieter wegen Stuttgart 21 seine Räume bei den Wagenhallen aufgeben müssen sollte. So kam es auch. Die Raumvorschläge, die wir von der Stadt bekamen, waren entweder nur als Lagerraum genehmigt, wegen eines absehbaren Umzuges aufgrund von Stuttgart 21 nur kurzfristig nutzbar oder zu weit weg und zu teuer. Die Probebühne, die uns Anfang des Jahres angeboten wurde, liegt in unmittelbarer Nähe zum Theater, sollte aber, so der Wunsch des Vermieters, möglichst rasch bezogen werden. Nur – der alte Mietvertrag ließ sich nicht vorzeitig auflösen, und fast ein Jahr lang doppelte Miete bezahlen, das erlaubt unser auf Kante genähtes Budget nicht.
Proben Sie nun bald auf der Straße?
So weit kommt es glücklicherweise nicht! Aber wir waren wirklich in existenzieller Not, was zum ersten Mal den Ausschlag gab, unser Publikum für uns selbst um Geld zu bitten. Konkret um eine Überbrückungsfinanzierung von fünf Monaten: 16 500 Euro. In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich das Theater der Altstadt immer wieder sozial engagiert, für uns selbst zu bitten, das ist immer ein merkwürdiges Gefühl. Wie sich betteln anfühlt, weiß ich jetzt.Wenn ich nach der Vorstellung erklärte, worum es geht, war es jedes Mal mucksmäuschenstill im Saal. Aber wir haben eine Woge der Motivation, vor allem aber der Wertschätzung bekommen – das hat mich sehr berührt.
Und ?
Innerhalb weniger Wochen haben wir rund 13 000 Euro gesammelt, das ist sensationell. Nun können wir den Mietvertrag unterschreiben. Es wird auch noch ein Benefizkonzert geben, mit Musikern des Staatstheaters. Ich bin optimistisch! Im Juli wollen wir in den neuen Raum, und vielleicht findet sich ja noch eine freie Gruppe, die bis November Interesse an unserer alten Probebühne hat. Denn die steht jetzt leer.
Wie stemmt man den Theateralltag angesichts solcher Organisationsquerelen? Sie haben an diesem Freitag ja auch noch mit „Loriots dramatische Werke“ eine Premiere.
Gerade Loriot zu proben ist eine hervorragende Ablenkung für uns sieben Darsteller und den Regisseur Uwe Hoppe. Für diese Komik sind absolute Exaktheit und entsprechende Konzentration nötig.
Gibt es in einer Krise wie der mit der Probebühne einen Moment, sich zu überlegen, warum man immer im festen Hafen – im selbem Theater – geblieben ist?
Ich habe schon zwischendurch mit dem Gedanken gespielt zu gehen. Das ist auch gut, sein Tun immer wieder infrage zu stellen – ist dieses Theater, bin ich erwünscht, oder sind wir überflüssig, lästig? Und dann erlebe ich diese ungeheure Bestätigung, wo das Publikum sagt, dass sie genau dieses Theater schätzen und behalten wollen. Probleme sind verkleidete Möglichkeiten, das bestätigt sich überall immer wieder. Vor allem, wenn man vorne steht. In diesen entscheidenden Momenten weiß ich, hier ist der Platz, an dem ich gebraucht werde. Ich mache das sicher nicht ewig. Irgendwann ist jemand da, der dieses Theater hoffentlich weiterführen wird. Ich glaube, dass ich mich lösen kann. Nichts ist schlimmer, als irgendwann gesagt zu bekommen: Danke, jetzt machen wir lieber ohne Sie weiter.
Haben Sie eine Idee, was danach kommt?
Ich versuche mich in Gelassenheit zu üben – bereite mich, wenn ich Zeit habe, gedanklich natürlich vor, weiß aber noch nicht, ob ich in einer Stadt bleiben will. Vielleicht irgendwo im Süden. Es sollte ein Ort sein, wo Wasser fließt. Wäre in Stuttgart der Nesenbach offen durch die Stadt geführt worden statt der Bahnhof untendurch, hätte ich das richtig gut gefunden und dem Geld auch nicht so nachgetrauert . Es wäre etwas gewesen, was die Stadt individualisiert und ökologisch aufgewertet hätte. Zu viele Baustellen vertreiben das Grün in der Stadt. Da hat das Theater der Altstadt mit seinem Platz am Feuersee und dem immer wieder überraschend für einige Tage – allerdings immer noch allein – auftauchenden Schwan einen der schönsten Stadtorte.
Und für welche Rollen würden Sie dann wieder zurückzukehren? Schauspieler gehen ja nicht wirklich in Rente, oder?
Schön, dass Sie das sagen. Ein paar Rollen sollten schon noch kommen. Aber welche? Meist liebt man die am meisten, die man gerade spielt. Na ja, Loriot praktizieren wir ja ohnehin alle ein bisschen, aber drüber hinaus, so auf die Schnelle . . .? Dürrenmatts „Die alte Dame“ oder „Harold und Maude“, „Lear“, na ja, eine Traumrolle wäre „Der Theatermacher“ von Bernhard. Aber die Verlagsrechte erlauben nicht, dass eine Frau die Rolle spielt. Heikles Thema: Verlage und Urheberrechte. Das erlebte ich gerade im Reutlinger Naturtheater, wo ich zu „Don Camillo und Peppone“ vier kurze Szenen neu schreiben wollte – keine Chance. Ebenso wie mir Brechts Solidaritätslied am Schluss untersagt wurde.
Warum das denn?
„Ob ich einen Skandal wie Castorff mit seinem ‚Baal‘ in München provozieren wollte“, war die Frage. Bei „Don Camillo und Peppone“ . . . natürlich nicht! Ich wollte das Stück damit auf den Punkt bringen und einen Abend inszenieren, der über die Unterhaltung hinaus auch eine nachdenkenswerte politische Aussage hat. Aber wir haben einen Ausweg gefunden.
Wie finden Sie Zeit, andernorts auch zu arbeiten?
Bei Theaterleuten wird das Privatleben kleingeschrieben. Man organisiert und probt tagsüber und steht abends auf der Bühne. Viele Künstler arbeiten an mehreren Orten, weil sie es sich nicht leisten können, es nicht zu tun. Selten ist da ein Abend mal frei zur eigenen Verfügung. Eleonore Duse, eine zu Recht berühmte italienische Schauspielerin, hat wunderschöne Briefe geschrieben. Darin findet sich auch dieser Satz: „Wie viele Sonnenuntergänge habe ich nicht gesehen, weil ich ins Theater musste?“ Ja, das sind Dinge, die uns Künstlern manchmal fehlen. Trotzdem ist das Theater eine der schönsten und vielfältigsten Berufungen.

„Loriots dramatische Werke“: Premiere an diesem Freitag im Theater der Altstadt um 19.30 Uhr (ausverkauft), nächste Termine am 30., 31. Mai. Kartentelefon: 07 11 / 61 55 34 64. „Don Camillo und Peppone“ im Naturtheater Reutlingen, Premiere: 20. Juni. Kartentelefon: 0 71 21 / 2 67 27 62.