Freie Fahrt in Stuttgart nur für Vehikel, die mit einer grünen Umweltplakette ausgestattet sind. Foto: dpa

Seit 2012 dürfen nur noch Fahrzeuge mit einer grünen Umweltplakette ins Stuttgarter Stadtgebiet fahren. Dadurch soll sich die Luft verbessern. Doch das interessiert offenbar nur wenige. Allein im vergangenen Jahr hat die Stadt mehr als 18.000 Verstöße gezählt.

Stuttgart - Die italienische Touristengruppe ist sichtlich aufgeregt. An ihrem Auto, das die Besucher im Stuttgarter Westen geparkt haben, hängt ein gelber Zettel. Er teilt auf Deutsch mit, die Umweltplakette fehle. Sie hätten ohne den kleinen grünen Kleber nicht in die Stadt fahren dürfen. Eine Passantin muss beim Übersetzen helfen, denn die Gruppe spricht nur Italienisch und Englisch. „Umweltzone? Was soll das sein?“, fragt eine Frau. Und überhaupt: Woher sie das denn wissen sollten? Sie seien schließlich Touristen. Mit 80 Euro Bußgeld wird die Urlaubskasse jetzt belastet.

Die Formel Gnade vor Recht dürfen die Italiener nicht erwarten. „Wir müssen alle gleich behandeln“, sagt Joachim Elser, Leiter der städtischen Verkehrsüberwachung. Wer mit dem Auto ins Ausland fahre, müsse sich vorher nach den dortigen Bestimmungen erkundigen. Dass Touristen, die in der Landeshauptstadt Station machen, das nicht tun, komme immer mal wieder vor. Besonders bei Schweizern, die auch demnächst wieder zahlreich zum Weihnachtsmarkt nach Stuttgart fahren werden, könne dies festgestellt werden. Wer keine grüne Plakette kauft oder keine bekommt, weil die Abgaswerte des Autos nicht der Norm entsprechen, muss draußen bleiben.

Kaum Beschwerden bei den Tourismus-Verantwortlichen

Den Tourismuswerbern der Stadt sind bisher keine großen Probleme wegen der Umweltplakette bekannt. „Im i-Punkt gibt es kaum Beschwerden deswegen“, sagt eine Sprecherin von Stuttgart-Marketing. Allerdings erkundigten sich tatsächlich immer wieder Gäste vor der Anreise nach der Regelung. „Die Kollegen geben dann Tipps, wo man die Plakette bekommt oder wie man auf sie verzichten kann.“ Zum Beispiel, indem man außerhalb parkt und mit der S-Bahn in die Stadt fährt.

Wer allerdings glaubt, dass nur noch Autofahrer, die von weit her kommen, so ihre Müh und Not mit der grünen Umweltplakette haben, täuscht sich. „Das sind nicht nur Auswärtige“, sagt Joachim Elser – und hat erstaunliche Zahlen parat. Im vergangenen Jahr hat das Ordnungsamt allein im ruhenden Verkehr, also an parkenden Autos, 18 414 Strafzettel verteilt, weil keine grüne Plakette vorhanden war. In diesem Jahr sind es bis Ende Oktober bereits wieder 15 199. Noch vor zwei Jahren waren es lediglich 10 103, im Jahr 2012 sogar nur 257. Dazu kommen noch Bußgelder, die die Polizei bei herkömmlichen Verkehrskontrollen wegen Plakettenverstößen verteilt.

Der explosionsartige Anstieg liegt vor allem an einer Gesetzesänderung. Zu Beginn durfte die Stadtverwaltung nämlich im ruhenden Verkehr nur Strafzettel verteilen, wenn sie bei der Kontrolle den Fahrer angetroffen hat. Seit April 2013 gilt dagegen die sogenannte Halterhaftung. Jetzt genügt es, wenn die Plakette fehlt. Seitdem schießen die Zahlen in die Höhe – zumal die Stadt die Kontrollen intensiviert hat. „Stuttgart hat ein massives Feinstaubproblem. Da achtet man besonders auf die geltende Regelung“, sagt Elser. Man habe zusätzliches Personal bekommen und setze es auch für dieses Thema ein. Elser: „Wir kontrollieren mehr als früher und auch in den Außenbezirken.“ Doch die vielen Verstöße sind für ihn auch ein Zeichen, dass „die Fähigkeit, sich an Verkehrsregeln zu halten, oft nicht besonders ausgeprägt“ sei.

Aufschrift ist oft unleserlich

Auf rote oder gelbe Plaketten, mit denen man seit Jahren nicht mehr nach Stuttgart darf, stoßen die Mitarbeiter bei den Kontrollen nur noch vereinzelt. Die meisten Plakettensünder haben schlicht gar keine. Es gibt aber auch die Fälle, in denen sie unleserlich ist, im Handschuhfach liegt – oder es gar richtig kompliziert wird. Wer beispielsweise ein Auto mit grüner Plakette außerhalb der Stadt kauft und es dann in Stuttgart zulässt, muss auch eine neue Plakette aufkleben, weil das eingetragene Kennzeichen sonst nicht mehr stimmt – das gilt ebenfalls als sogenannter Kennzeichnungsverstoß, obwohl das Auto die Abgasnorm erfüllt.

Von all dem wissen die italienischen Touristen im Stuttgarter Westen nichts. Sie haben inzwischen ein neues Problem: „Wir wollen weiter nach Frankfurt. Droht uns da auch eine Strafe?“ Die Antwortet lautet Ja. Auch am Main kostet der Verstoß 80 Euro.